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Die große Liebe statt Kanada

Ella wurde in Halle/Saale an dem Tag von Hitlers Machtübernahme geboren, nämlich am 31. Januar 1933. Die Nachkriegszeit erlebte Ella in der ehemaligen DDR (1). Es gab noch einen Bruder und vier Schwestern. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sie mit 14 Jahren die 8. Klasse der Mittelschule verlassen, weil sie wegen Geldmangels aufgeben und stattdessen eine Lehre beginnen musste. Sie wurde Industriekaufmann und mit 18 verdiente sie, wie sie erzählte „richtig Geld“.


Flirt mit dem Tanzstundenpartner

Noch in der Lehrzeit besuchte ich eine Tanzschule. Ich hatte mir die vornehmste Schule in Halle dazu auserwählt. Finanziert hatte ich mir das durch Einsparungen. So ging ich beispielsweise zu Fuß statt mit der Bahn zu fahren. Das waren immerhin jeden Tag 30 Pfennig. Ich hatte einen sehr netten Tanzstundenpartner, Joachim, aber aus uns wurde kein Paar. Ich wollte ihn zuerst nicht. Und später, als ich merkte, dass er doch recht nett war und ihn dann doch wollte, hatte er kein Interesse mehr. Dabei hatte er sich so um mich bemüht. Als er herausgefunden hatte, dass ich – um Geld zu sparen – zu Fuß zur Arbeit ging, stand er früh morgens um 7 Uhr schon bereit, um mich mit seinem Auto abzuholen und zur Arbeit zu fahren. Aber das imponierte mir nicht so sehr, denn eigentlich war ich in einen anderen verliebt.


Verliebt in einen Musiker – vergeblich

Einer der drei Musiker, die bei einem Fest spielten, hatte mir gefallen. Den hätte ich am liebsten gleich geheiratet. Einmal fuhr ich mit Joachim in der Straßenbahn, da sah ich den Musiker dort sitzen. Ich war so elektrisiert, dass ich Joachim gar nicht mehr beachtet habe. Später wurde mir klar, dass ich mich nicht richtig verhalten hatte, aber da war nichts mehr zu ändern. Der Musiker war unerreichbar für mich und Joachim dann auch.


Weihnachtsfeier: Wir tanzten die ganze Nacht

Meinen Ausbildungsplatz hatte ich vom Arbeitsamt zugewiesen bekommen. Es war ein Fischverarbeitungsbetrieb. Ich blieb auch nach der Ausbildung dort. Auf einer Weihnachtsfeier zum 1. Advent lernte ich den Mann kennen, der schon bald mein Ehemann wurde. Seine Mutter war in der Fischverarbeitung der Firma beschäftigt, in der auch ich arbeitete. Sie brachte ihren Sohn zu der Feier mit. Ich hatte in der Firma schon etwas zu sagen. Die Organisation der Feier war meine Aufgabe gewesen und deshalb saß ich auch am Cheftisch mit den Fischhändlern zusammen.


Einer der Fischhändler wollte immer mit mir tanzen. Er war hässlich, ekelhaft. Nachdem ich alles organisiert und erledigt hatte, wollte ich nach Hause gehen, denn mit dem wollte ich nicht tanzen. Ich war schon fast am Ausgang, da sah ich meinen Mann an einem Tisch sitzen, zusammen mit einem meiner Kollegen, mit dem er befreundet war. Er musste mich wohl vorher schon beobachtet haben. Er forderte mich auf: „Fräulein, Sie wollen doch nicht nach Hause gehen! Einmal können wir doch miteinander tanzen!“ Er machte einen guten Eindruck auf mich, deshalb war ich einverstanden. Wir tanzten die ganze Nacht. Ich blieb, setzte mich zu ihm und seinem Freund an den Tisch. Dann gingen Erny und ich zusammen nach Hause, und zwar zur „künftigen Schwiegermutter“, die uns am nächsten Morgen Frühstück machte.


Nach Kanada wollte ich nicht mehr

Am nächsten Tag begann die Arbeit wie gewohnt. Als ich abends nach Hause kam, wer sitzt auf dem Sofa in der Wohnung meiner Mutter? Ernst, genannt Erny, mein späterer Mann. Er hatte geschellt, Mutter hatte ihm aufgemacht und dann begann die große Liebe.


Die Begegnung mit Erny hatte meine ganzen Pläne, die ich geschmiedet hatte, über den Haufen geworfen. Noch vor der Weihnachtsfeier hatte ich mir Gedanken gemacht, die DDR und mein Zuhause zu verlassen. Es ging mir gut, ich verdiente ordentlich, aber ich wollte aus den engen Wohnverhältnissen raus. Da hatte ich mir überlegt, einen Winterurlaub zu machen und danach gar nicht mehr zurückzukommen.

Über Berlin, so hatte ich es vor, wollte ich nach Kanada auswandern. Alles war schon organisiert. Ich war abenteuerlustig, eigentlich fehlte es mir an nichts. Doch als ich davon Erny erzählte, war klar, ich blieb. Auf seinen Wunsch hin stornierte ich die Reise. Er kam dann jeden Tag, verwöhnte mich. Sein Freund, der auch mit mir im Büro arbeitete, hatte mal gesagt: „Du heiratest mal einen meiner Freunde.“ Das hatte ich weit von mir gewiesen. Doch drei Monate später war ich tatsächlich verheiratet und ich war schon schwanger.

“Weißt du, dann heiraten wir doch besser,“ so reagierte mein Mann. „Wenn du meinst, heiraten wir", antwortete ich. „Am 10. Mai werde ich 21 Jahre alt, dann können wir heiraten", erklärte er mir. In der DDR durfte ich mit 18 Jahren heiraten, ohne Zustimmung der Eltern und ich war schon 19 Jahre alt. Bei Männern war das anders, die durften ohne Einwilligung der Eltern erst mit 21 Jahren heiraten.


Meine Hochzeit war wunderschön. Wir heirateten tatsächlich am 10. Mai 1952. Das war genau der Tag, an dem mein Erny 21 Jahre alt wurde. Er wollte das so und so wurde es gemacht. Ich hatte eine genaue Vorstellung davon, wie ich aussehen wollte. Ich wollte ein Brautkleid mit einem Schleier haben und ich wollte auch kirchlich heiraten. Die Wünsche erfüllten sich. Meine Schwiegermutter hat irgendwoher ein weißes Hochzeitskleid bekommen und ich bekam den Schleier ins Haar, der schon meiner Mutter gehört hatte, mit einem Kränzchen aus echter Myrte geflochten. Ich weiß noch gut, dass wir das Kränzchen in einem Blumengeschäft um die Ecke bestellt hatten und es nicht geliefert wurde. Sie hatten es vergessen, brachten dann aber doch noch rechtzeitig das Kränzchen. Meinen Erny wollte ich im Frack dabei haben. Das war nicht einfach, ihn dazu zu bewegen. Schließlich hatte ich es geschafft – nur den Zylinder wollte er nur in der Hand halten, zusammengeklappt.


Doch erst kam der Polterabend vor der standesamtlichen Trauung. Er wurde mit Familie, Freunden und Bekannten gefeiert, und zwar in der großen Wohnung meiner Mutter in Halle. Da waren alle Geschwister gekommen, der Bruder meines Mannes, der extra aus Düsseldorf angereist war, meine Oma Bertha, die mich aufgezogen hatte, Freunde meines Mannes und sogar meine Chefin.


Zur standesamtlichen Trauung kam nur die Familie. Ich trug ein Kleid, das wir haben nähen lassen. Es war eine Art Hänger, das ich mit einem Gürtel trug. Später habe ich es auch als Umstandskleid tragen können. Die Hochzeitszeremonie fand dann in einer evangelischen Kirche statt. Meine Schwiegermutter war sehr religiös und es war die Kirche, in die sie immer ging. Sie war dankbar, dass wir uns in ihrer Kirche trauen ließen.


Die Hochzeit war wirklich sehr schön. Als wir abends schlafen gehen wollten, waren unsere Betten bereits mit schlafenden Gästen besetzt und uns blieb nichts anderes übrig, als – jeder für sich – die Nacht in Sesseln zu schlafen. Das war eine ungewöhnliche Hochzeitsnacht. Flitterwochen fanden nicht statt, dafür hatten wir damals kein Geld.



(1) DDR

40 Jahre lang existierte die Deutsche Demokratische Republik (DDR) neben der Bundesrepublik Deutschland (BRD) als zweiter deutscher Staat, getrennt durch bewachte Grenzen und Mauern. Laut Verfassung waren in der DDR alle Bürger gleich. Der Staat übernahm Großteile des Privateigentums und verstaatlichte die Wirtschaft. Es galt das Prinzip des Sozialismus.


Auszug aus „Ella“, erzählt von Helga H. (2017), erstellt von Barbara H.

Foto: Gerd Altmann/Pixabay

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