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Ein DKW mit Ladefläche – mit Vollgas ins Berufsleben

Horst wurde 1926 in Lautawerk/Niederlausitz (1) geboren. Er und seine ältere Schwester wurden von der Mutter, die einen Tabakwarenladen betrieb, und dem in einem Aluminiumwerk arbeitenden Vater großgezogen. Als 17-Jähriger wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, kämpfte an der Kanalküste und kehrte nach Gefangenschaft zurück in seine Heimat. 1947 lernte er Ilse kennen. Als er sich drei Jahre später aus der DDR nach Westdeutschland absetzte, folgte sie ihm nach Krefeld, von wo aus sie, nach ihrer Heirat 1952, gemeinsam die ganze Welt bereisten.



Kaufmann ohne Führerschein und Auto wird Taxiunternehmer

Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft war ich 1946 wieder zuhause in Lautawerk, aber Arbeit hatte ich nicht. Meine kaufmännische Lehre im Eisenwarengeschäft in Senftenberg hatte ich wegen meines Kriegsdienstes abbrechen müssen. Ich ging zu meinem ehemaligen Ausbildungsbetrieb und fragte, ob ich meine Ausbildung fortsetzen könnte. Aber in der Zwischenzeit waren Frauen im kaufmännischen Bereich eingestellt worden; Männer durften in dem Beruf nicht mehr arbeiten. Die Frauen sollten im Büro arbeiten und die Männer ordentliche Arbeit verrichten!

Da war guter Rat teuer. Ich hatte keine Idee, welche Arbeit ich mir nun suchen sollte.


Ich weiß heute nicht mehr, wie es kam, aber eines Tages stand ein DKW (2) mit Ladefläche vor unserer Haustür. Vater hatte das Auto organisiert, ich weiß nicht woher. Ich besaß keinen Führerschein; was sollte ich also mit dem Auto machen? Ein Nachbar von uns besaß ein Auto und fuhr damit durch die Gegend. Ich fragte ihn „Kannst du mir nicht das Fahren beibringen?“ Für meine Fahrübungen fuhren wir in den Wald. Als ich gut genug mit dem Auto umgehen konnte, ging ich nach Senftenberg zur Fahrschule. Zwar hatte ich einen Militärführerschein gehabt, aber der war mir abgenommen worden. „Ich will einen neuen Führerschein!“ machte ich dem Fahrlehrer klar. Nach ein paar Fahrstunden bekam ich den Führerschein Klasse 3.


Nun besaßen drei Leute im Ort einen PKW. Die Autobesitzer mussten sich immer in Senftenberg bei der Kommandantur melden und in Bereitschaft stehen. Mit den Fahrten wechselten wir uns ab. Ich fuhr zum Beispiel Offiziere mit Gepäck nach Frankfurt an der Oder, Berlin oder Potsdam.


Ende 1947 kam ein Bekannter, der mir immer bei der Wartung des DKW geholfen hatte, zu mir und sagte: „Ich habe jemanden mit einem Möbelgeschäft. Der braucht ein Auto mit Ladefläche, weil er oft etwas transportieren muss. Er selbst hat einen Mercedes, der dafür vollkommen ungeeignet ist. Willst du nicht tauschen, deinen DKW gegen den Mercedes?“ Weil ich als Taxifahrer galt, konnte ich den Mercedes beim Landratsamt anmelden und wurde dadurch zum Taxiunternehmer. Der Besitzer des Möbelgeschäftes aus Kamenz konnte zu Recht den Lieferwagen anmelden. So war uns beiden geholfen.


Fahrer für Offiziere – Einer wollte mir an die Gurgel

Jetzt war ich Taxiunternehmer! Das war wunderbar! Ich chauffierte oft die Russen, die Frauen nach Dresden zum Einkaufen und die Offiziere hauptsächlich nach Potsdam. Am Ziel musste ich draußen auf meine Fahrgäste warten. Die Fahrten wurden ordentlich abgerechnet und bezahlt; ich hatte also ein sicheres Einkommen. Fürs Benzin bekam ich Gutscheine, oder die Russen stellten gleich das Benzin zur Verfügung.


Einmal fuhr ich mit einem Offizier und einem Landser nach Potsdam. Es war kalt, das Auto besaß keine Heizung und wir drei hatten dicke Jacken angezogen. Auf dem Berliner Ring gab es nur für die Russen die Raststätte Rangsdorf. Da sollte ich Pause machen. Der Offizier und der Landser nutzten die Pause, um etwas zu trinken.

Eigentlich hätte der Offizier dem Landser keinen Schnaps geben dürfen. Aber es war ja so kalt! Auch ich genehmigte mir einen Schnaps. Mehr oder minder betrunken machten wir uns wieder auf den Weg Richtung Heimat.

Der Offizier saß neben mir, der Landser schlief auf der Rückbank. Nach einiger Zeit wurde der Landser wach, zückte ein kleines Messer und wollte mir von hinten die Gurgel durchschneiden! Weil ich den Kragen der dicken Jacke hochgeschlagen hatte, ritzte der Landser mich aber glücklicherweise nur leicht. Der Offizier wehrte den Angriff ab und schlug den Landser k.o.; der fiel auf die Rückbank zurück und schlief weiter. Mir kam es so vor, als hätte der Landser mich wie im Traum angegriffen.

Unsere Rückfahrt nach Senftenberg verlief ohne weitere Zwischenfälle. In Lautawerk ging ich vorsichtshalber doch ins Krankenhaus, um die Wunde nachsehen zu lassen. „Schwester, gucken Sie bitte einmal nach? Hier hat mich meine Freundin gekratzt.“ – „Von wegen gekratzt! Geschnitten ist das!“ Die Wunde musste tatsächlich versorgt und genäht werden. Am nächsten Tag fand ich im Auto ein kleines Messer. Mit dem kleinen Messer hatte der Landser mich nicht großartig verletzen können, aber mit einem größeren Messer hätte die Geschichte schlimm enden können.

Wegen des Vorfalls wollte ich kein großes Palaver machen, denn die Offiziere waren immer gute Kunden und hätten wegen der freigiebigen Weitergabe von Alkohol Schwierigkeiten bekommen. Wenn ich für die Offiziere fahren musste, boten sie mir immer Wodka an. Ich wies darauf hin, dass ich doch fahren müsste, aber eine Scheibe Brot zum Wodka war in Ordnung. Mit den Offizieren kam ich gut aus!


Expansion mit zwei Autos

Wieder von meinem Vater organisiert konnte ich einen Ford Eifel dazukaufen. Jetzt hatte ich zwei Autos und ein Taxiunternehmen! In der Zwischenzeit hatte ich meine Freundin Ilse kennen gelernt, die bei der Post arbeitete. Ich sagte zu ihr „Schatz, du musst den Führerschein machen. Wenn ich mal nicht da bin, musst du die Fahrten übernehmen.“


Weil es in Lautawerk keine Fahrschule gab, musste sie für den Führerschein nach Senftenberg. Sie sollte einige Fragen zum Auto beantworten, z.B. zum Getriebe. Danach musste sie eine kleine Strecke fahren. Mit ihr machten noch zwei weitere Schüler die Fahrprüfung und jeder musste mit dem Fahrschulwagen ein Stück fahren. Ihre Aufgabe war es, einen Berg hinunter zu fahren, zu wenden und den Berg wieder hoch zu fahren. Das war alles, was sie 1949 tun musste, um die Fahrprüfung zu bestehen. Einige Zeit später konnte sie den Führerschein abholen und für mich mit dem Taxi fahren.


Lange führte ich das Taxiunternehmen mit den beiden Autos nicht. Mein Vater meinte: „Das bringt alles nichts! Hier in der DDR hast du keine Zukunft! Hau ab!“

Über Pfingsten fuhr ich mit meiner Freundin und einem Cousin zu Onkel und Tante nach Görlitz, und am Pfingstdienstag 1950 setzte ich mich in die Bahn und fuhr ab nach dem Westen. Meiner Freundin hatte ich den Auftrag gegeben, die beiden Autos zu verkaufen. Über eine Annonce und mit Vaters Hilfe veräußerte sie den Mercedes und den Ford Eifel.


Mit unverhofften LKW-Führerschein durch die Kiesgrube

Mit einem Bekannte schlugen wir uns in Richtung Westen durch, hielten auf der Autobahn den Daumen hoch und kamen mithilfe freundlicher Lastwagenfahrer tatsächlich ans Ziel. Ich landete bei meiner Tante in Wülfrath und versuchte, dort Arbeit zu finden. Das Problem war nur, dass ich noch nicht wusste, nach welcher Arbeit ich suchen sollte.


In der DDR-Zeit wurden die alten Führerscheine ausgetauscht. Damals hatten wir nur einen einzigen Führerschein. Hier im Westen waren auf dem Führerschein die einzelnen Klassen aufgelistet. Bei einem Wohnungswechsel in eine andere Stadt musste der Führerschein in der DDR auf die neue Adresse umgeschrieben werden. Eines Tages dachte ich „Da stimmt doch was nicht!“ Da stand auf meinem Führerschein nicht die Fahrberechtigung für die Klassen 1 und 3, sondern die Fahrberechtigung für die Klassen 2 und 4. Als ich den Sachbearbeiter der Gemeinde auf den Fehler hinwies, meinte der: „Ach, das ist nicht schlimm. Ich schreibe die Fahrberechtigungen einfach alle auf einen Führerschein.“ So kam ich an einen Führerschein für die Klassen 1, 2, 3 und 4. Ich war glücklich, denn jetzt hatte ich auch einen Führerschein für LKW. Das war meine Rettung!


Weil ich in Wülfrath keine Arbeit fand, ging ich nach Krefeld. Als Anlaufadresse hatte ich die von den Familienangehörigen meines Bekannten aus Mülheim. Deren Schwiegersohn arbeitete bereits bei VW und ich hoffte, dass sie mir weiterhelfen könnten. Ich erfuhr, dass es in Tackheide ein Familienunternehmen gab, welches eine Kiesgrube betrieb. Das Unternehmen suchte einen Fahrer. Ich ging noch am gleichen Tag hin, bewarb mich und bekam tatsächlich die Stelle. In der Kiesgrube siebten wir das Material, warfen den Kies ab und lieferten den Sand in die umliegenden Städte. Da die städtische Müllabfuhr in Krefeld noch nicht richtig funktionierte, fuhren wir für die Edelstahlwerke auf der Oberschlesienstraße einmal in der Woche den Müll ab. Ich musste viel arbeiten, aber ich fühlte mich auch wohl.


Ich kündigte bei der Kiesgrube, auch, weil ich nicht viel verdiente und fing bei einem Taxiunternehmen auf der Steckendorfer Straße an. Ich spielte dort auch den Nachtwächter, der die Aufträge annahm, wenn der Chef unterwegs war.


Vom Handlanger zum Kranführer

Nach meiner Fahrerzeit beim Kiesgrubenbetreiber und dem Taxiunternehmen wechselte ich ins Baugewerbe. Auf dem Bau arbeitete ich bei mehreren Firmen, denn wenn ein Betrieb schloss, musste ich mir wieder einen neuen Arbeitsplatz suchen.


Auf dem Bau fing ich als Handlanger an. Ich war auch noch als Handlanger tätig, als ich bei einer Firma arbeitete, die auf dem Platz von Propangas angesiedelt war. Auf diesem Platz stand ein Kran, der zu der Zeit von oben von einem körperbehinderten Kranführer bedient wurde. Eines Tages hatte der Kranführer gerade den Kran verlassen, als noch eine Lieferung für unsere Firma kam, die abgeladen werden musste. Der Kranführer meckerte „Ich klettere da nicht mehr hoch! Klettere du mal da hoch!“ – „Ich habe doch keine Ahnung von einem Kran!“ – „Das macht nichts. Ich erklär dir das schon. Da gibt’s ganze drei Griffe: Einer runter, einer hoch, einer rechts und links.“ Also kletterte ich hoch und hatte zum ersten Mal Kontakt mit einem Kran!


Die Arbeit als Kranführer interessierte mich so sehr, dass ich bei meiner nächsten Arbeitsstelle zwar auch als Handlanger anfing, aber auch einen Kran bediente. Das war 1954 bei einer Firma, die einen zweiten Kran dazu kaufte, den ich gleich übernahm. 30 Jahre arbeitete ich für diese Firma.


Privat-Chauffeur der Ex-Cheffin

Als mein Arbeitgeber sich scheiden ließ und Frau H. heiratete, wurde diese meine neue Chefin. Sie veranstaltete Ausstellungen und Handwerkermessen und war deshalb viel unterwegs. Ich hatte dann den Auftrag, sie zu fahren. Das Komische war, dass Frau H. in einem Hotel übernachtete und ich mich darum kümmern musste, wo ich selbst unterkam. Einmal stellte sie sich selbst ein Beinchen. Ich hatte den Auftrag bekommen. „Nimm deinen Wagen und hole Frau H. in Münster ab. Die ist da im Rathaus zu einem Termin.“

Als ich sie nach dem Termin im Hotel ablieferte, fragte sie den Mann an der Rezeption „Wissen Sie, wo mein Fahrer übernachten kann?“ – „Aber sicherlich! Wir haben hier auch ein Zimmer für ihren Fahrer!“ Ich war selbst überrascht, dass sie dieses Mal reingefallen war und ich auch im Hotel übernachten konnte. Aber sonst verstand ich mich gut mit ihr.


Die geschiedene Frau wohnte auf der Wilhelmshofallee und wollte eines Tages ihre Eltern im Schwarzwald besuchen, wo diese selbst Urlaub machten. Ich wurde gefragt, ob ich sie in den Schwarzwald bringen könnte. „Da muss ich mal den Chef fragen, was er dazu sagt“, denn ich wusste nicht, wie ich mit dieser Bitte seiner geschiedenen Frau umgehen sollte. „Nö, das kannst du ruhig machen. Da habe ich nichts gegen.“ Also brachte ich seine Ex-Frau in ihrem Zweisitzer-Mercedes in den Schwarzwald, fuhr den Wagen wieder zurück, stellte ihn ab und ging nach Hause.

(1) Lautawerk ist der Name einer Gemeinde und späteren Ortsteiles der Gemeinde Lauta. Lauta (sorbisch Łuty) ist eine Kleinstadt im Norden des sächsischen Landkreises Bautzen. Lauta gehört historisch zur Oberlausitz, wurde jedoch in der DDR, gleichsam wie Hoyerswerda, zur Niederlausitz gerechnet. Die umliegenden Ortschaften, wie Ruhland und Hoyerswerda, bekennen sich heute wieder zur historischen Oberlausitz. In Lauta wird die Zugehörigkeit zur Niederlausitz betont.


(2) DKW (anfangs D.K.W. von Dampf Kraft Wagen) ist eine ehemalige deutsche Automobil-, Motorrad- und Kühlmaschinenmarke.


Auszug aus „Von Schlesien an den Niederrhein - und weiter in die ganze Welt“, erzählt von Ilse und Horst W., geschrieben von Marlies S., bearbeitet von Uwe S.


Foto: bernswaelz/Pixabay


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