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Ein paar Wunder später: Reisen und Herzensangelegenheiten

Doris P., geboren 1932 in Düsseldorf, hat mehr als einen Schicksalsschlag in ihren Leben hinnehmen müssen, z.B. die Kinderlandverschickung. Ihre Biografie erzählt von einer Frau, die nie aufgehört hat, neugierig zu sein. Diese Geschichte erzählt von vielen Rückschlägen, von neuen Chancen und ganz viel Mut und vor allem von einer Menge Herzblut.


Foto: Pixabay


Der Blinddarm

Drei Mal in meinem Leben bin ich dem Tod von der Schippe gesprungen. Das erste Mal mit 45 Jahren. Ich hatte starke Schmerzen in der Bauchgegend und Fieber. Der Frauenarzt stellte eine Eierstockentzündung fest und verordnete Bestrahlungen. Da es mir immer schlechter ging, suchte ich zusätzlich meinen Hausarzt auf. Er untersuchte mein Blut und tastete meinen Bauch ab. Er wies mich sofort in das Krankenhaus ein und hat mir dadurch das Leben gerettet. Ich hatte einen Blinddarmdurchbruch. Dank Penicillin und meiner starken Widerstandskräfte habe ich überlebt.


Umgang mit Trauer

Nach dem Tod von Klaus wurde ich depressiv. Cornelia lebte bereits in Bilk. Eine Bekannte bei Henkel empfahl mir eine Gesprächstherapeutin, damit ich meinen ganzen Schmerz aussprechen und damit bewältigen könnte.

Karl-Heinz sprach kaum noch. Das war seine Art, zu leiden. Wir konnten uns gegenseitig nicht trösten. Stumm liefen wir nebeneinanderher, es war grauenhaft, wir waren so verzweifelt. Durch die Felder in Itter ist Karl-Heinz alleine gerannt, ich glaube, danach ging es ihm besser. Doch ich wollte reden, aber ich wusste, Karl-Heinz konnte über seine schmerzhaften Gefühle nicht sprechen.

Einen Versuch war es wert, ich begann die Therapie. Lange bin ich alle 14 Tage regelmäßig zu meiner Therapeutin gegangen und habe mir alles von der Seele geredet. Sie hat es durchgesetzt, dass diese Stunden von der Krankenkasse bezahlt wurden. In dieser Zeit habe ich mit der Bauernmalerei angefangen. Das hat mir sehr gutgetan.

In diesem Kurs mit Frau S. lernte ich nette Leute kennen. Karl-Heinz begann die kreative Glasgestaltung, die Tiffany-Art, als Hobby zu entdecken. Er hat wunderschöne Arbeiten angefertigt, auch seine Laubsägearbeiten, die er machte, gefielen mir gut.


Neue Chancen

Meinem Frauenarzt erzählte ich bei der Routineuntersuchung vom Tod meines Sohnes und dass ich damit nicht fertig würde. Er war sehr verständnisvoll.

Ich sagte: „Ich hänge zu Hause rum wie Falschgeld.“ – „Ja, Frau P., wie wäre es denn mit Arbeit?“, antwortete er. „In meinem Alter nimmt mich doch keiner, ich werde 60.“ – „Doch, ich.“

Mir verschlug es die Sprache, so überrascht war ich. Er legte mir die Hand auf die Schulter: „Meine Frau lernt Sie an und dann helfen Sie mir hier.“

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum nicht? Wir besprachen die Einzelheiten. Ich verabschiedete mich mit den Worten: „Ich überlege es mir.“

Zu Hause konnte ich es kaum erwarten, Karl-Heinz davon zu erzählen. Auf meine Frage, ob ich das Angebot annehmen sollte antwortete er: „Musst du entscheiden.“ Ich habe es gemacht.

Vier Mal die Woche, mittwochs hatte ich frei, von 10 bis 12 Uhr war ich die neue Sprechstundenhilfe in der Frauenarztpraxis. Nachmittags arbeitete eine junge ungelernte Frau für ihn. Was nicht korrekt war, denn mein neuer Chef hatte Ulrike, seine Fachkraft, durch uns ersetzt, er wollte Geld sparen.


Das neue Arbeitsleben

Mein Chef war ein schöner Mann und liebte das feudale Leben. Jeden Tag ging er auf die Königsallee und trank dort einen Kaffee. Die Patientinnen himmelten ihn an, er tat ihnen den Gefallen scherzte und flirtete mit ihnen, dadurch florierte die Praxis.

In Holthausen hatte sich bald herumgesprochen, dass ich in der Frauenarztpraxis beschäftigt war. Viele Anrufe erhielt ich, auch von Henkel-Mitarbeiterinnen. Sogar mein Hausarzt meldete sich und wünschte mir alles Gute. Mir tat die Beschäftigung gut. Jeden Morgen erschien ich blütenweiß angezogen, mit fescher Frisur, dezent zurechtgemacht und freute mich auf die Arbeit: Karteikarten heraussuchen, Patienten betreuen, Blutdruck messen – ich war in meinem Element.

Mein Chef schaute mich anerkennend an und sagte: „Frau P. sie sehen wieder aus, wie frisch aus dem OP.“

Ende Januar bat ich meinen Chef, mich zu untersuchen, ich litt unter Blutungen. „Ach Kind, keine Sorge, das kommt von dem Hormonpflaster“, sagte er nur. Weiter geschah nichts.


Der Schock

Mein 60. Geburtstag stand vor der Tür, den wollte ich groß feiern. Mechthild war bei uns. Sie und meine Tochter machten sich Sorgen um mich und haben einen Termin bei einem anderen Frauenarzt für mich vereinbart. Das war meine Rettung.

Dieser Arzt schickte mich ins Krankenhaus. Ich hatte zwei kirschkerngroße Karzinome in der Gebärmutter. Der Krebs hatte zum Glück noch nicht gestreut. Mit Kobaltstrahlen wurden die Karzinome eingetrocknet, das dauerte lange 24 Stunden. Anschließend wurde ich nach Hause geschickt und im April wurden Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Die Ärzte entfernten auch 24 gesunde Lymphknoten – eine Vorsichtsmaßnahme. Vier Wochen lang lag ich im Krankenhaus fühlte mich elend und schwach, zum Glück hatte ich ein Zimmer für mich alleine.


Pflegestufe II

2009 suchte ich wegen Rückenschmerzen einen Orthopäden auf. Unter sterilen Umständen erhielt ich mehrmals eine dreier Ampulle Kortison, die in den Rücken gespritzt wurde. Doch es wurde nicht besser, im Gegenteil.

Wieder war es der Hausarzt, der die Noteinweisung in das Krankenhaus veranlasste und mir dadurch das Leben rettete. Ich kam in die Orthopädie der Universitätsklinik Düsseldorf. Es wurden Bakterien in der Wirbelsäule gefunden, doch die Ärzte vermuteten noch einen zweiten Entzündungsherd. Ich konnte mich entscheiden für eine Operation oder sechs Wochen absolute Ruhe, das heißt, das Bett durfte nicht verlassen werden.

Ich habe mich für die sechs Wochen und die klassische Behandlung mit Antibiotika entschieden. Aus der MNR-Klinik zogen sie einen Internisten hinzu, der den zweiten Entzündungsherd fand. Es war die Galle. Mir war zwar laufend übel, doch Schmerzen hatte ich keine.

In einer Notoperation nachts um 12 Uhr entfernten die Ärzte die Gallenblase und mit ihr einen großen Stein. Ich wachte in der Chirurgie auf und fühlte mich elend und schwach. Ich wollte keinen Besuch mehr sehen, nur noch meine Familie – Mann, Tochter und Schwiegersohn.

Mit Pflegestufe II wurde ich nach Hause entlassen. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus folgte eine Art Reha im alten Trakt des Martinuskrankenhauses. Er war unsauber. In einem kleinen Zimmer mit drei Personen verbrachte ich drei Wochen. Ich bekam eine Darminfektion, vielleicht waren es auch die Nebenwirkungen der Tabletten, auf jeden Fall wurden meine Beschwerden ignoriert. Es war die Hölle.

Ich habe teure Medikamente zur Absenkung der Entzündung bekommen – das Stück für 100 €. Die Entzündung ist weg, doch die Nebenwirkungen dieser Tabletten haben mein Gleichgewichtssystem zerstört. Es äußert sich folgendermaßen: Wenn ich auf der Straße bin und gehe, schwankt alles. Gesichter kann ich nicht erkennen. Ich habe eine bilaterale Vestibulopathie. Der Rollator hilft mir, das Gleichgewicht zu halten. In meinem Behindertenausweis steht GBH. H steht für hilflos. Ich kann hervorragend laufen, mir tut nichts weh, doch ohne Rollator falle ich um.


Kreuzfahrt über die Ostsee 2011

Diese Reise haben wir zusammen mit meiner Schwester gemacht. Ich hatte sie bereits gebucht, als ich noch gesund war. Mit dem Rollator fühlte ich mich inzwischen wieder sicher und ein Gespräch mit meinem Arzt unterstützte mich, diese Reise zu wagen. Sie dauerte zwölf schöne Tage.

In Kiel ging es an Bord. Wir hatten wieder, wie auf dem Kreuzfahrtschiff in Kanada, eine traumhafte Kabine. Auf diesem Schiff befand sich eine kluge Dame. Sie hat uns Passagieren jeden Abend vor dem Abendessen das nächste Land beschrieben, das wir mit dem Schiff ansteuerten. Diese Einführung hat mich die Sehenswürdigkeiten am nächsten Tag mit ganz anderen Augen betrachten lassen; viel intensiver, denn ich kannte jetzt den Hintergrund. Die Geschichte der Bäuerin Lena Grigoleit, die nach dem Krieg in Ostpreußen geblieben ist, wurde uns vorgelesen. Sie passte zu dieser Reise und hat mich berührt. Deshalb kaufte ich mir das Buch. Wenn ich an die Stadt Danzig denke, fällt mir die Marienkirche ein, der Dom zu Oliva, das Krahnentor und der Lange Markt.

Stockholm habe ich vom Meer aus betrachtet. Wir fuhren mit einem kleinen Schiff und konnten die Sehenswürdigkeiten von dort ansehen. Das war sehr angenehm für mich. In Helsinki konnte ich den weißen Dom schon vom Schiff aus entdecken. Er überragte das ganze Stadtbild und strahlte in glänzendem Weiß. Dort wurde eine Radtour angeboten, um die Stadt zu erkunden. Ich blieb an Bord. Mechthild hat diese 84 Tour mitgemacht und mir beim Abendessen die Stadt durch ihre Erzählungen nähergebracht. Doch besonders beeindruckend waren Riga und Sankt Petersburg. Wir haben eine Stadtrundfahrt mit dem Bus gemacht, wie geschaffen für mich, die nicht gut laufen kann. Die lettische Hauptstadt Riga wurde im Januar 2014 Kulturhauptstadt Europas. Der Winterpalast und die Eremitage in St. Petersburg erinnerten mich, ebenso wie die Kathedralen und Klöster, an die Zarenzeit. Der Newski Prospekt ist die Vorzeigestraße und präsentiert das moderne Russland. Es hat mir so gut getan, all diese imposanten Gebäude zu sehen, wieder unter Menschen zu sein. Diese Kreuzfahrt hat mir so viel Zuversicht geschenkt und mich wieder mutig werden lassen.


Ehrenamtlich engagiert: Frauenhilfe und Holthausen auf der Spur

Zwei Aufgaben fordern meine ganze Kraft und geben mir viel Freude. Das sind die Frauenhilfe und das Projekt Holthausen auf der Spur. Ich bin seit 58 Jahren Mitglied in der Frauenhilfe. Nach meiner Heirat trat ich in die Frauenhilfe ein. Wir treffen uns regelmäßig in der evangelischen Kirchengemeinde Düsseldorf, dem Klarenbachhaus.


Klarenbachhaus in Holthausen (2024)


Am 29. Mai 2011 feierte die Frauenhilfe ihr 100-jähriges Jubiläum. Ich möchte einen kurzen Überblick über den Hintergrund und die Arbeit der Frauenhilfe geben. Die Kaiserin Auguste Viktoria hat 1911 diesen Hilfsverein gegründet. Ihr Ziel war es, die Notstände in den Städten zu bekämpfen. Mit dem Bau von Gemeindehäusern schuf sie Begegnungsstätten. Hier fand ein Austausch, Unterricht und Geselligkeit statt. Damals nannten die Berliner die spätere Kaiserin liebevoll „Kirchenjuste“. Für die Feier im Mai 2011 haben wir ein Jubiläumsprogramm zusammengestellt. Wir Frauen stellten die Jahrzehnte seit dem Gründungsjahr auf der Bühne dar. Hier einige Beispiele der Aufführung: Zur Charleston Zeit und Rock ‘n Roll-Zeit haben jeweils zwei 86 Frauen getanzt.

Unser Pfarrer war wie ein Dandy angezogen und betätigte sich als Discjockey. Er legte zu den Jahrzehnten die entsprechende Musik auf. Die Bombenfrauen hatten Ziegelsteine in der Hand, zwei Frauen mit Eimern stellten den Wiederaufbau dar und ich – ich war die Kaiserin. Die Mitglieder der Frauenhilfe treffen sich jeden Donnerstagnachmittag von drei bis fünf Uhr. Der Pfarrer ist anwesend und hält eine kleine Andacht. Wir singen ein Lied zusammen, diskutieren, planen Ausflüge und Besichtigungen.


Eine Herzenssache

Unsere soziale Arbeit geschieht in aller Stille. Besonders im Krankheitsfall spenden wir Trost. Wir besuchen die Kranken zu Hause oder im Krankenhaus. Die Kontakte unter den Mitgliedern werden gepflegt, wir gratulieren zu Jubiläen und Geburtstagen. Die Nachmittage der Frauenhilfe waren früher immer gut besucht. Heute haben wir leider Nachwuchssorgen. Ich habe mich stets engagiert. Die Chronik geschrieben, Ideen eingebracht, Feste arrangiert, Ausflüge organisiert und Freundschaften gepflegt.

Die Düsseldorfer Weiberfastnacht war und ist immer lustig. Früher war unser alter Pfarrer dafür nicht zu haben. Selbst ein flottes Liedchen erregte sein Missfallen. Doch die Zeiten haben sich gelockert. Mit der katholischen Kirche haben wir ökumenischen Karneval gefeiert. Jeder, der etwas konnte, hat das eingebracht und zum Besten in der Bütt gegeben. Leider ist das eingeschlafen, es fehlten die Interpreten und auch die Einfälle. Voriges Jahr habe ich eine Sackparade aufgestellt. Ich habe die Frauen in Säcke gesteckt. Sie wurden zum Geldsack, Müllsack, Schlafsack und Saufsack. Dieses Jahr werde ich wieder in die Bütt steigen und das Klarenbachhaus aufmischen. Bis heute ist die Arbeit in dieser Kirchengemeinde für mich sehr wichtig. Ich fühle mich dort wohl und der Kontakt zu den anderen Frauen gibt mir viel Freude und Kraft.


Holthausen auf der Spur

Mein anderes Projekt ist: Holthausen auf der Spur. Wir erforschen unseren Stadtteil. Ich bin hier geboren und habe viele Erinnerungen, die ich mit Fotos belegen kann. Das hat mir so manchen Artikel in der Zeitung eingebracht. Wenn Originalschilder aufgestellt und eingeweiht werden, dann bin ich gerne dabei.

Es handelt sich zum Beispiel um die Mauerreste des Herz-Jesu Klosters, den Friedhof, alte Bauernhöfe, Schloss Elbroich, Haus Oberlin und natürlich das Klarenbachhaus.


Schloss Elbroich (2024)


Über jeden Tag, den ich noch da bin, freue ich mich. Ich habe glückliche und gute Tage. Die Zeiten – Tod der Eltern, Schwiegereltern und vor allem der Tod unseres Sohnes, das waren schlimmer Zeiten. Dagegen habe ich jetzt den Himmel auf Erden.


Auszug aus "Neugierig bin ich immer noch", erzählt von Doris P., aufgeschrieben von Veronika K, bearbeitet von Rebecca G.

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