Geboren in Krefeld: Eine gutbürgerliche mittelständische Familie
Dieter H. wurde 1927 in Krefeld geboren. Er beschreibt seine Herkunft und seine Kindheit sehr detailreich.
Die Vorfahren und die Wichtigkeit der (Vor-)Namen
Damals war es normal, dass man sich viele Gedanken um die Vornamen seiner Kinder machte. Zum Zeitpunkt meiner Geburt stand der Vorname Dieter noch gar nicht fest; eigentlich überlegten meine Eltern, mich Klaus zu nennen. Aber da wurde protestiert, denn aus dem Klaus konnte man ja schnell etwas abwertend Klooes (Nikolaus) machen. Also rangen meine Eltern mit sich, zumal auch der Namensgeber Franz mit dem weiteren Vornamen Klaus nicht glücklich war, und entschieden sich für Dieter. Folglich sollte mein Rufname Dieter sein, die weiteren Vornamen nahm man aus der Generation der Großeltern. So bekam ich als zweiten Vornamen den Heinrich, weil so der Vater meines Vaters hieß.
Zum dritten Vornamen Franz kam ich durch den Vater meiner Mutter. Zu diesem Vornamen stehe ich auch, weil Franz für mich eine wichtige Person ist. Franz S. war ein kleiner Bauunternehmer, dessen Firma vom Sohn weitergeführt und groß gemacht wurde. Er war eine ehrenwerte Persönlichkeit, dem viel Respekt entgegengebracht wurde, nicht nur, weil er sehr streng war. Ich hatte nicht viel Kontakt zu ihm, aber als ich älter wurde, erkannte ich, dass mein Großvater für mich ein Vorbild sein und ich mich bemühen konnte, ihm nachzueifern. Er war für mich eine Person, an der ich mich orientieren konnte. Darum ist der Vorname Franz für mich so wichtig, dass ich ihn auch bei meinem einzigen Sohn – neben dem Rufnamen Claus – berücksichtigt habe. Von Franz S. besitze ich noch einen Holzschnitt, der von Professor Schwarzkopf von der Düsseldorfer Kunstakademie angefertigt wurde. Der Holzschnitt zeigt ein Portrait aus dem Jahr 1928, angefertigt zu Ehren des 70. Geburtstags von Franz S., welches auch bei anderen Familienmitgliedern an der Wand hing.
Der vierte Vorname ist Josef. Warum Josef?
Dass ich zusätzlich zu meinen drei schon vorgesehenen Vornamen einen vierten bekommen sollte, daran waren die Nonnen von der Mädchenschule in Krefeld nicht unschuldig. Mein Vater war zur damaligen Zeit schon selbständig und installierte in einer Mädchenschule auf der Hubertusstraße, die damals von Nonnen geleitet wurde – heute das Gymnasium Marienschule – , eine Heizungsanlage. Da mein Vater oft vor Ort und die Nonnen neugierig waren, erfuhren sie bald, dass da ein Mann arbeitete, dessen Frau schwanger war. Es wurde immer nachgefragt, ob es denn schon so weit wäre.
Endlich war das Kind geboren und mein Vater wurde gefragt: „Wie heißt der Sohn denn?“ – „Der Sohn soll Dieter Heinrich Franz heißen.“ – „Kann das Kind denn nicht auch Josef heißen“, fragten die Nonnen und überreichten meinem Vater gleichzeitig ein Paket mit gehäkelter Babykleidung. Jetzt konnte mein Vater noch nicht mal Nein sagen, sondern musste mir aus Dankbarkeit den vierten Vornamen geben! So kam am 28.3.1927 – nach damaliger Berechnung mit einer Verspätung von zehn Tagen – Dieter Heinrich Franz Josef H. in Krefeld zur Welt.
Vater, Mutter, deren Eltern und Tanten und Onkel – meine Familie hatte viel Glück
Vater Heinrich, genannt Heinz, und Mutter Maria waren von jeweils fünf Geschwistern die letzten. Ich war als Enkel oder Neffe immer irgendwie am Ende des Rattenschwanzes. Meine Mutter hatte eine Schwester, die ungefähr fünf oder sechs Jahre älter war. Zu dieser Schwester hatte sie immer einen intensiven Kontakt. Diese Schwester hatte zwei Töchter. Verheiratet war sie mit einem Mann, der aus einer Familie von Seidenstofffabrikanten stammte, Friedrichs und Roelen. Die Familie war in Krefeld nicht so bekannt, aber im europäischen Raum ausschließlich für Krawattenseide tätig. Der Onkel reiste viel herum, der Familie ging es gut. Die hatten auch immer Glück, aber anders als ich. Im Krieg, als ich mit den Bomben von oben leben musste, ist bei der Familie eine Bombe im Garten gelandet. Und der Bombentrichter endete genau an der Hauswand.
Von Vaters Schulzeit weiß ich nichts. Erst ab dem Besuch der Schule für Ingenieurswesen in Köln bin ich informiert über seine Ausbildung. Allerdings weiß ich nicht, was er nachweisen musste, um diese Schule in Köln besuchen zu können. Bemerkenswert ist, dass seine Familie – „normale“ Handwerker – ihm ein Studium ermöglichte. In seiner Kölner Studentenzeit lernte mein Vater meine Mutter kennen. Wenn er am Wochenende nach Hause kam, holte Mutter ihn vom Bahnhof ab. 1922 haben sie geheiratet.
Der Vater meiner Mutter hatte keinen Krieg mitgemacht. Er war entweder zu jung oder zu alt für den Kriegsdienst. Die Familie meiner Mutter wohnte damals noch anders, noch nicht im Eigentum. Neben dem Baugeschäft, was hauptsächlich im Sommer lief, hatte der Großvater im Winter ein Kohlenlager. Der Großvater stand im Winter um 5 Uhr auf dem Hof und hackte Holz.
Fünf Kinder! Es musste Geld verdient werden. Zu der Zeit wurden noch Bündchen mit Anmachholz verkauft, und er musste gucken, dass rechtzeitig genug davon da war.
Symbolfoto: Alicja/Pixabay
Von der Ausbildung des Großvaters väterlicherseits weiß ich nicht viel. Ich weiß nur, dass er eine wichtige Ausbildung gemacht haben muss, denn er fand eine Anstellung bei der Krefelder Färberei Flores auf der Weyerhofstraße. Er war im Kesselhaus der „Allgewaltige“, der Kesselmeister. Damals wurde noch viel mit Dampf gearbeitet. Die Kessel sahen auch anders aus als heute: viel Messing und Kupfer.
Großvater Heinrich H. hatte einen Spitznamen, an den ich mich aber nicht mehr erinnere. Ich weiß nur, dass er den Spitznamen bekommen hatte, weil man in seinem Kesselhaus vom Fußboden hätte essen können. Er starb 1932, aber daran kann ich mich nicht erinnern, auch nicht an seine Beerdigung, denn ich war noch viel zu jung (aber an diesem Tag schlief ich erstmals mit einer Dame in ihrem Bett). Wir wohnten schon in der Brockerhofstraße, als die Großmutter starb. An sie kann ich mich erinnern, weil sie an den meisten Wochenenden vom Vater in ihrer Wohnung abgeholt wurde, damit sie den Sonntag bei uns verbrachte.
In der Brockerhofstraße hatten wir einen Garten, in dem wir im Sommer oft saßen. Es gibt noch Fotos davon, wie Familie H. den Garten nutzte. Ich glaube, Großmutter starb 1933 oder 1934.
Meine Eltern heirateten 1922. 1924 wurde mein Bruder geboren, den ich aber leider nie kennenlernte, weil er schon 1925 starb. Mir wurde erzählt, dass er eines Tages so krank war, dass man den Kinderarzt rief. Der Kinderarzt kam auch, gab meiner Mutter irgendwelche Verhaltensmaßregeln und kündigte an, dass er am nächsten Tag wiederkommen wollte. Als der Arzt am nächsten Tag wiederkam, hatte meine Mutter ein totes Kind auf dem Arm. Später wurde festgestellt, dass mein Bruder vermutlich eine Lungenentzündung gehabt hatte. Meine Mutter vertraute mir an, dass sie nach der Zeit der Trauer um ihr erstes Kind sehr bemüht darum war, wieder Nachwuchs zu bekommen. Das hat zwei Jahre gedauert, aber dann kam ich am 28.3.1927, der Dieter Heinrich Franz Josef.
Eigentlich hätte mein Vater lieber eine Tochter gehabt; den Namen hatte er schon ausgesucht: Ilse. In seiner zweiten Ehe bekam Vater noch zwei Töchter: Ilse und Doris.
Meine Mutter hatte eine Kusine, die mit einem Lehrer verheiratet war. Die Kusine lebte etwas außerhalb von Kempen. Damals gab es noch die Ein-Klassen-Schulen. Da unterrichtete der Mann meiner Kusine. Die drei Töchter waren natürlich gute Schülerinnen und gingen nach dem Abitur nach Aachen zum Studieren. Die jüngste Tochter der Kusine war ungefähr drei Jahre jünger als ich. Ich hatte damals schon mein erstes Motorrad, 1950 bei Kesseler in Krefeld gekauft, eine 250er Ardi aus Nürnberg. Damit fuhr ich öfter nach Aachen zum Besuch oder brachte irgendwelche Dinge der Mutter zur Tochter nach Aachen.
Wir fuhren natürlich auch so mit dem Motorrad herum, zum Entsetzen der Eltern. Die älteste Tochter heiratete später einen Lehrer, Herrn B., der wegen seiner Zusatzausbildung in Düren an der Blindenschule unterrichtete. Eigentlich wollte er promovieren, musste dazu immer von Düren nach Köln zur Hochschule. Da das zu anstrengend wurde, gab er das Promotionsstudium auf und unterrichtete weiter in Düren. Später ging Herr B. in die Lehrerausbildung, lehrte in Aachen, war in der Prüfungskommission und leitete diese sogar. Er war wohl der Einzige auf dieser Hierarchieebene ohne einen Doktortitel.
Die Welt ist klein! Eines Tages wurde uns aus Wesel eine junge Frau geschickt, die sich einmal unseren Betrieb angucken sollte. Diese junge Frau war ausgebildete Lehrerin, hatte aber wegen der Lehrerschwemme keine Stelle in der Schule gefunden. In einem privaten Gespräch erzählte ich, dass ich weitläufig mit einem Herrn verwandt war, der in Aachen unterrichtete. Die junge Frau kannte Herrn B. und hatte bei ihm studiert! Sie hatte ihn sogar schon einmal zuhause besucht! Die mittlere Tochter meiner Kusine heiratete keinen Lehrer, sondern einen Doktor der Jurisprudenz, der später Kämmerer oder Leiter des Rechnungsprüfungsamtes der Stadt Neuss wurde. Die Familie wohnte in Neuss in direkter Nachbarschaft zu einer hochrangigen Politikerin und profitierte gerne von den Sicherheitsmaßnahmen für diese Dame. Es war schon beruhigend, wenn die Polizei ihre Überwachungstouren auf der Straße fuhren.
Der erste Umzug – dem Betrieb meines Vaters ging es schlecht
Mein Vater hatte damals einen Abschluss in Köln als Ingenieur für Heizung, Sanitär und Lüftung gemacht. Nachdem mein Vater kurze Zeit als Angestellter in dem Bereich tätig gewesen war, tat er sich als Selbständiger mit seinem Schwager, dem Bruder meiner Mutter zusammen. Der Schwager war in dem Bereich als Handwerker tätig. Es war normal, sich um die Vornamen der Kinder Gedanken zu machen.
Normal war nicht, dass sich zu der Zeit die wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechterte, die Inflation die Kaufkraft schwächte und es daher dem Betrieb meines Vaters schlecht ging. Geld zu bekommen, es zu sparen oder auszugeben, das war eine Wissenschaft für sich. Ich merkte als Kind davon natürlich nichts. Das war zu der Zeit, als wir in der Schroersstraße wohnten.
Unser Haus war eines in einer Reihe von einer Art Siedlungshäusern. Unten wohnten die Eigentümer und wir wohnten im ersten Stock. Zu den Eigentümern hatten wir einen guten Kontakt, zumal diese einen Sohn hatten, der ein gutes halbes Jahr älter war als ich. Gerd B. war der ältere der beiden Söhne der Hauseigentümer. Gerd traf ich wieder, als ich 1937 in die Oberrealschule, das heutige Fichtegymnasium, eingeschult wurde.
Kaltblüter, ein Papagei und ein Wellensittich
Ich nehme an, dass wir aus wirtschaftlichen Gründen – vielleicht war die Miete zu hoch – von der Schroersstraße zum Nassauer Ring zwischen Blumentalstraße und Hülser Straße zogen. Damals sah die Straße ganz anders aus als heute. Früher wurde auf dem Mittelstreifen Markt abgehalten und die Straße war nicht besonders breit, weil da ja auch die Pferdefuhrwerke abgestellt wurden. Ich kann mich erinnern, dass einmal eine Marktkundin bei uns in der Küche im Erdgeschoss landete. Sie war von einem der Kutschpferde, einem Kaltblüter, in den Arm gebissen worden. In der Aufregung beschloss man, sie bei uns in der Küche zu versorgen, weil der Vorfall vor unserem Haus stattgefunden hatte.
Symbolfoto: Hans/Pixabay
Ich war damals drei Jahre alt und fing langsam an, meine Welt zu begreifen. Deshalb weiß ich, dass mein Vater sich damals einen Papagei hielt. Dieser Papagei hatte die Angewohnheit, mich morgens früh, wenn es noch gar nicht so erwünscht war, zu rufen: „Dieter komm, Dieter komm!“. Die Küche dieser Wohnung lag zur Straße hin, im hinteren Teil war das Wohnzimmer. Vom Erdgeschoss aus ging es in ein tiefer gelegenes Hof- und Gartengelände. Dahin kam man, wenn man vom Wohnzimmer aus eine Treppe hinunterging.
Eines Tages besuchte uns ein Onkel. Er war durch die Hoftüre gekommen und hatte ganz in Gedanken vergessen, die Türe zu schließen. Und husch … war der Papagei weggeflogen. Mein Vater lief zwar noch durch die Gegend und suchte den Papagei, aber der war weg! Das war eine ganz traurige Geschichte, auch weil ein Papagei zur damaligen Zeit keine preiswerte Angelegenheit war. Ungefähr 1950, als meine Mutter mit mir auf der Uerdinger Straße, Ecke Yorckstraße wohnte, ließ sie aus Versehen einen Wellensittich fliegen, der sich dann auf einer Teppichstange in der Nachbarschaft niederließ. Als ich das sah, stürmte ich durch den Metzgerladen im Erdgeschoss und rannte zu der Teppichstange. Der Vogel saß tatsächlich immer noch auf der Stange und ließ sich von mir anlocken. Er kam auf meinen Finger, und ich konnte ihn wieder heimbringen. Und meine Mutter war glücklich!
Ein Esszimmerschrank auf der Leiter
Auf dem Nassauer Ring wohnten wir ungefähr drei Jahre. Ich nehme an, dass wir auch diesmal wieder aus wirtschaftlichen Gründen, auch weil das Geschäft meines Vaters nicht gut lief, zur Brockerhofstraße zogen. Bemerkenswert war wohl noch der Umzug von der Schroersstraße zum Nassauer Ring. Meine Eltern hatten von der Familie ein Esszimmer geschenkt bekommen, massiv Eiche. Der Umzug wurde von der Firma Taaks mit Pferdefuhrwerk durchgeführt. Ich durfte vorne auf dem Klappbrett beim Kutscher sitzen. Um das Esszimmer aus der Wohnung zu transportieren, wurde eine Leiter außen an die Hausmauer gelehnt, und die Umzugsmitarbeiter ließen den Esszimmerschrank über diese Leiter herunter. Das ging aber nur bis zur Hälfte der Leiter gut, über das restliche Stück der Leiter sauste der Unterschrank ungebremst herunter. Die damaligen Möbel waren wohl etwas stabiler gebaut, denn der Schrank nahm keinen Schaden! Lediglich ein Türknauf musste daran glauben.
Toiletten und sozialer Status
Meine väterliche Verwandtschaft hatte vorher auf der Steckendorfer Straße gewohnt, ganz in der Nähe vom Kaiser-Friedrich-Hain. Sie mussten zur Toilette auf dem Hof. Für alle Fälle hatte man aber auch noch ein Thrönchen im Schrank. In unserer Wohnung auf der Brockerhofstraße hatten wir eine Toilette, die vom Treppenhaus aus zu erreichen war.
Das war ein Zweifamilienhaus, in dem wir unten wohnten und die Familie W. oben. Die Familie W. hatte einen Hund, klein, kurzhaarig und giftig bellend, Mira genannt. Wenn man die Treppe zu der Familie hoch ging, kam man auf eine Galerie, von der aus alle Zimmer zu erreichen waren. Durch die Holzstäbe der Galerie steckte Mira ihren Kopf und bellte fürchterlich, wenn sich unten im Haus etwas bewegte. Neben dem Treppenaufgang befand sich im Erdgeschoss und im ersten Stock die Toilette. Das war im Jahr 1933 schon etwas Besonderes.
Ich lerne den Wert des Geldes kennen
Die Häuser in der Brockerhofstraße waren meistens Eigentum, keine Mehrfamilienhäuser. Eher wohnten im Erdgeschoss irgendwelche Verwandte und die Eigentümer im ersten Stock. In unserem Haus wohnte die Eigentümerin, Frau B., auch im ersten Stock. Sie führte irgendwo in Krefeld einen Eisenwarenhandel mit Kleinteilen wie Schrauben und Ähnlichem.
Ein Onkel von mir war zur damaligen Zeit Standesbeamter. Er verheiratete seine Tochter im Wohnzimmer. Die Brockerhofstraße war damals eine reine Wohnstraße, auf der man als Kind ungefährdet spielen konnte. Ich erinnere mich, dass es an der Ecke Heimendahlstraße einen Tante-Emma-Laden gab. Ein kleines Mädchen wurde wohl einmal zum Einkaufen in diesen Laden geschickt und hatte zum Bezahlen eine Mark mitbekommen. Das Mädchen verlor die Mark und ich fand sie!
Ich hatte damals noch keine Beziehung zu Geld, war also auch nicht geizig. Deshalb zog ich mit einer Kinderschar zum Tante-Emma-Laden und ließ großzügig einkaufen. Es muss die Zeit vor Ostern gewesen sein, denn es gab Ostereier und Osterhasen. Mir gönnte ich einen Osterhasen, und auch alle anderen Kinder kamen nicht zu kurz. An diesem Tag verging nicht viel Zeit, bis ich zu meiner Mutter hereingerufen wurde. Ich wurde von ihr aufgeklärt, was passiert war und dass ich nicht richtig gehandelt hatte. Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit dem Mädchen die eine Mark ersetzt, was ihr sehr schwer gefallen war, da wir damals auch nur sehr wenig Geld hatten. Ich wurde auf den Küchentisch gesetzt und man machte mir klar, was eine Mark wert war. Der Osterhase, den ich immer noch in der Hosentasche hatte, überstand diese Belehrung!
Strafen, ganz individuell – Mutter hatte ein flottes Händchen
Auf der Brockerhofstraße hatten wir auch einen Garten und eine Terrasse. Die Terrasse war umbaut, hatte aber ein Glasdach. Von der Terrasse aus konnte man über einige Stufen in den Garten gehen. Auf der Terrasse stand ein Tisch mit einigen Stühlen, so dass man bei schönem Wetter draußen sitzen konnte. Auf dieser Terrasse vertrimmte mein Vater mich zum ersten Mal und zog mich von meiner Kopfseite des Tisches rüber zu seiner Kopfseite, mitten durch den Pfannekuchen. Mutter wollte eingreifen, aber Vater war zu schnell, und ich lag schon in den Pfannekuchen. Zweimal habe ich von meinem Vater Prügel bezogen. Meine Mutter bevorzugte ein dünnes Rohrstöckchen. Sie hatte ein flottes Händchen. Sie brauchte nicht zu warten, bis Vater zur Bestrafung kam, sie erledigte das selber. Bei einer Gelegenheit brach das Stöckchen durch. Sie schickte mich mit fünf oder zehn Pfennig zu einem Laden auf der Hülser Straße, einer Art Drogerie. Da bekam man solche Stöckchen, und ich musste ein neues kaufen.
Meine Tante meinte einmal zu meiner Mutter „Das, was du da mit dem Dieter machst, das ist nicht in Ordnung!“ Sie fand es nicht gut, dass meine Mutter mich auf dem Nassauer Ring vor die Haustür stellte oder in den Keller sperrte, denn ich war da ja erst drei oder vier Jahre alt.
Auszug aus „Meistens hab ich Glück gehabt“, erzählt von Dieter H., aufgeschrieben von Marlis S. (2019), bearbeitet von Barbara H. (2024)
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