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Kein guter Schüler, sondern Saisonarbeiter

Rolf-Rainer H. wurde kurz nach der Geburt (1941 in Düsseldorf) mit seiner Mutter nach Großbardorf in Bayern evakuiert. Für die Geburt der Schwester ging die Familie nach Düsseldorf zurück. Danach wurden die Familie nach Berghausen bei Marienheide im Bergischen Land evakuiert, kamen aber immer mal wieder nach Düsseldorf. Hier erlebte Rolf-Rainer auch diverse Bombenangriffe. Sein Vater organisiert die Schulspeisung, weshalb die Familie nicht hungern musste.



Schulessen in Thermosbehältern – aus Armeebeständen

Obwohl er kein Englisch sprach, konnte sich mein Vater nach Kriegsende mit den Engländern irgendwie verständigen und bekam die Genehmigung, um in einem nicht zerstörten Gebäude und einem nicht zerstörten Bunker der ehemaligen Firma Rheinmetall in Düsseldorf-Rath einen Betrieb für die Schulspeisung zu organisieren.

Mein Vater begann also, Schulspeisung kochen zu lassen und hatte von Halbjahr zu Halbjahr immer größere Bezirke in Düsseldorf zu beliefern; im letzten Jahr, in dem Schulspeisung noch ausgeliefert wurde, umfasste er alle Schulen in Düsseldorf.

Die Lebensmittel wurden von den Engländern, und auch Amerikanern und Franzosen in West-Deutschland (englische, französische und amerikanische Zone) zunächst hauptsächlich aus Armeebeständen zur Verfügung gestellt. Der weitere Nachschub wurde von den „Westmächten“ organisiert. Ich erinnere mich an große goldfarbene Konservendosen, z. B. mit Corned Beef oder Milchpulver und Säcke mit Hülsenfrüchten sowie Mehl, Zucker und Salz. Dafür gab es ein Lager neben der Großküche.


Für die Auslieferung besorgte sich mein Vater zuerst ein Motorrad mit Anhänger, auf die er die Thermosbehälter lud, und brachte die Speisen zu ihrem Bestimmungsort. Später ließ er einen Opel P4 (1) mit Anhängerkupplung umbauen, damit auf den Anhängern die Schulspeisung – abgefüllt in Thermosbehältern – ausgeliefert werden konnte.


Meine Familie hat also nie wie viele andere Familien gehungert. Man nannte meine Schwester und mich das „pausbäckige Geschwisterpaar“. Ich habe selbst gesehen, wie hungernde Menschen die Mülltonnen nach Kartoffelschalen abgesucht haben, um daraus eine Suppe zu kochen. Dank meines Vaters haben wir selbst diese Not nicht erlebt.


Meine ersten Schuljahre

Ostern 1947, also noch vor der Währungsreform (2), wurde ich in die evangelische Schule am Herrmannplatz [Foto oben, damals Volksschule] eingeschult. Mein erster Lehrer war noch jung und sehr sportlich. Er war später mit einer Klassenkameradin meiner Mutter verheiratet, die er auf einem Besuch bei uns kennengelernt hatte.

Um unsere Aufmerksamkeit in der Klasse zu erregen, schlug der Lehrer häufig mit dem Zeigestock fest auf ein Pult. Ich erinnere mich, dass er einmal einen Schüler aufforderte, seinen nass gewordenen Trainingsanzug auszuziehen. Aber der Junge weigerte sich.

Als der Lehrer aber sah, dass der Junge nur ein Unterhemd unter der Trainingsjacke trug, war er sehr betreten. Danach hat er diesen Jungen nie mehr bedrängt. Der Lehrer hatte den Jungen nur deshalb aufgefordert, die nasse Trainingsjacke auszuziehen, damit sich der Junge in den nassen Sachen nicht erkältete, aber er konnte ja auch nicht wissen, dass der Junge nichts anderes zum Anziehen hatte.


Im Sommer 1947 fuhr meine Familie mit dem Auto nach Grömitz an der Ostsee. Dort lernte ich das Schwimmen. Eine befreundete Familie, mit der meine Eltern gelegentlich Hausmusik machten, kam auch mit einem Auto nach Grömitz.


Am Ende der Ferien entschied mein Vater, dass wir noch eine Woche länger bleiben würden, obwohl die Schulferien zu Ende waren. Er informierte meinen Lehrer mit einer Postkarte. Damit war für ihn die Sache erledigt. Auch das wäre heute undenkbar.


Wechselunterricht wegen Platzproblem und zwei neue Lehrerinnen

Die Volksschule am Hermann-Platz hatte, wie viele andere Schulen in Düsseldorf auch, Platzprobleme, weshalb es Schichtunterricht gab. Der Wechsel fand zwischen der evangelischen und der katholischen Volksschule am Hermannplatz statt. Eine Woche hatte man vormittags und in der nächsten Woche nachmittags Unterricht, in der Vormittagswoche war auch samstags Schule.


Im zweiten Schuljahr bekam ich eine neue Lehrerin. Sie war sehr streng und schlug ungehorsamen oder faulen Schülern mit einem Lineal schon mal auf die Finger, zum Glück wurde ich davon verschont. So verhielt sie sich auch in den Mädchenklassen, das wusste ich von meiner Schwester.


Im dritten und vierten Schuljahr kam die nächste Klassenlehrerin, eine mütterliche Person, die ich sehr verehrt habe. Obwohl sie gar nicht an meinem Schulweg wohnte, habe ich ihr manchmal die Aktentasche – zum Beispiel, wenn sie viele Schulhefte in einer zweiten Tasche hatte – getragen und sie nach Hause auf der Worringer Straße begleitet. Sie hatte einen sehr positiven Einfluss auf mich und auch auf meine Schulleistungen.


Besuch der Höheren Schule

Nach dem 4. Schuljahr besuchte ich das Herder-Pädagogium, eine private Höhere Schule an der Grafenberger Allee/Ecke Beethoven Straße. Der „Schulhof“ befand sich auf dem ehemaligen Vorgarten des Gebäudes. Das Schulgeld war zwar teurer als das auf dem Gymnasium, aber die Klassen waren kleiner, und ich konnte zu Fuß zur Schule gehen.

In Latein hatten wir einen alten Professor aus Ostpreußen als Lehrer, der längst hätte pensioniert sein müssen. Er verteilte Backpfeifen oder schlug sogar mit dem Zeigestock. Damals konnten Lehrer noch handgreiflich gegen ihre Schüler werden.


In dieser Schule blieb ich ca. drei Jahre. Dann kam ich aufs Lessing-Gymnasium auf der Ellerstraße (Foto).


Die Aufenthalte im Schullandheim Hitzenlinde (3), das eigentlich dem Geschwister-Scholl-Gymnasium gehört, habe ich in guter Erinnerung. Das Allgäuer Schullandheim wurde auch von anderen Gymnasien benutzt.

Selbst mein Onkel war schon dort gewesen, als er noch auf dem Goethe-Gymnasium war, und das auch mit demselben Lehrer im Fach Chemie, der auf dem Lessing-Gymnasium damals unser Klassenlehrer (Mathematik und Sport) war.


In der Schule war ich nicht der Fleißigste, sondern eher ein sogenannter Saisonarbeiter. Immer wenn ein „Blauer Brief“ (4) drohte oder kam, musste ich aufs Fußballspielen, Schwimmen oder Eislaufen verzichten und mich auf die Schule konzentrieren, um nicht sitzenzubleiben.


Meine Schullaufbahn endete 1959 mit der sogenannten Mittleren Reife.


(1) Der Opel P4 war ein Automobil, von dem die Adam Opel AG zwischen September 1935 und Dezember 1937 im Stammwerk Rüsselsheim am Main 65.864 Stück baute. Das Fahrzeug bot Platz für vier Personen, hatte aber keinen Kofferraum.


(2) Die Währungsreform von 1948 trat am 20. Juni 1948 in der Trizone, den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, in Kraft. Ab 21. Juni 1948 war dort die Deutsche Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Die Währungsreform von 1948 trat am 20. Juni 1948 in der Trizone, den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, in Kraft. Ab 21. Juni 1948 war dort die Deutsche Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel.


(3) Seit 1945 wurde der Unterricht des Geschwister-Scholl-Gymnasiums an der Ellerstraße zusammen mit dem Lessing-Gymnasium im sogenannten Schichtunterricht durchgeführt. 1961 bezog die Schule das jetzige Gebäude an der Redinghovenstraße. Seit 1924 gehört dem Förderverein des Geschwister-Scholl-Gymnasiums das Schullandheim Hitzenlinde im Allgäu.

(4) Blauer Brief ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine Benachrichtigung, mit der die Schule den Eltern eines Schülers mitteilt, dass die Versetzung gefährdet ist.


Auszug aus „Lebensglück mit Dornenstellen“, erzählt von Ralf-Rainer H., augeschrieben von Rosi A., bearbeitet von Achim K.


Fotos

Quelle: Stadtarchiv Düsseldorf

Fotograf*in: Unbekannt

Technik: Silbergelatine auf Barytpapier, montiert auf Karton

Datierung: frühes 20. Jahrhundert

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