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Der typische Alltag in den 60er Jahren – mit vier Kindern

Helga B. wurde 1938 in Düsseldorf geboren, während des Krieges (1) nach Bayern verschickt und kehrte einige Wochen nach Kriegsende mit der Mutter und der jüngeren Schwester nach Düsseldorf zurück. Sie schaffte es, Karriere und Familienleben mit Mann und vier Kindern zu vereinen.


Erst ungewollt schwanger

Als junge Frau war ich gar nicht so auf Kinder aus. Meine Schwester blieb an jedem Kinderwagen stehen, begeisterte sich für Babys und kleine Kinder, ich hatte kein besonderes Interesse daran. Und dann wurde ich Mutter von vier Kindern! Alle vier sind ganz verschieden. Schon allein ihr Weg auf die Welt unterschied sich sehr.

Mein erstes Kind: Jörg

Unser erstes Kind kam sieben Monate nach unserer Eheschließung auf die Welt. Natürlich wusste „Muttchen“ – so wurde meine Oma genannt – Bescheid, und natürlich ging sie damit gelassen um.

Unser Erstling hatte sich in der sogenannten Beckenendlage (auch bekannt als Steißlage) eingerichtet und alle Bemühungen, ihn zu drehen, schlugen fehl.

Der Professor, der mich Anfang 1960 im Marien-Hospital in Düsseldorf untersuchte, war ganz entzückt vom formvollendeten Hinterkopf meines Sohnes. Man hatte eine Röntgenaufnahme gemacht, um die Lage des Kindes besser beurteilen zu können. Ja, es war damals üblich, dass Röntgenaufnahmen von Schwangeren gemacht wurden! Heute ist das undenkbar. Heute wäre es auch undenkbar, dass eine Erstgebärende ein Kind in Beckenendlage auf natürliche Weise zur Welt brächte; es würde mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kaiserschnitt gemacht.

Damals ließ mich die Hebamme Treppen steigen und dann Stufe für Stufe wieder hinunterspringen. Das tat ich bis zur Erschöpfung, schließlich durfte ich mich in der heißen Badewanne entspannen.

Als ich vor Schmerzen stöhnte, schimpfte die Hebamme mit mir: „Machen Sie nicht so ein Theater, was reingegangen ist, kommt auch wieder heraus!“

Ich fürchte, dass sich damals viele Gebärende solche Sätze anhören mussten. Natürlich durfte auch mein Mann nicht bei mir sein. Der Arme lief auf dem Flur auf und ab und schwitzte vor Aufregung.

Aber schließlich war es geschafft: Am 16. April 1960 kam unser gesunder Sohn zur Welt. Mein Mann platzte regelrecht vor Stolz. Die ganze Familie kam zu Besuch, um unseren Stammhalter zu besichtigen. Wir nannten ihn Jörg. Den Namen suchte ich aus. Damals schwärmte ich für den Schauspieler Hans-Jörg Felmy.

In dieser Zeit wurden viele Contergan-Kinder geboren. Ich war nicht sicher, was ich während der Schwangerschaft eingenommen hatte. Irgend etwas hatte mir der Frauenarzt auch gegeben, weil ich nicht schlafen konnte. So war ich sehr dankbar und glücklich, dass unser Sohn gesund war.

Nach der üblichen Zeit im Krankenhaus kamen wir zurück in unser Gartenhäuschen. Ich hatte keine Ahnung von Kinderpflege oder davon, was nach der Schwangerschaft zu tun ist, aber es klappte.

Das zweite Kind: Britta

Anderthalb Jahre später, am 3. Oktober 1961, erblickte Britta im Vinzenz-Krankenhaus das Licht der Welt. Obwohl sie kein Frühchen war, war sie außergewöhnlich klein und zart. Zu den Stillzeiten wurden die Neugeborenen in langen Wagen, in denen jeweils fünf Säuglinge lagen, zu ihren Müttern gebracht.

Unserer Britta wurde eine Sonderbehandlung zuteil. Ich werde nie vergessen, wie das winzige Wesen fast in den Falten des Habits einer großen starken freundlichen Nonne verschwand, die es behutsam an ihren wogenden Busen drückte und mir direkt ans Bett brachte. Es war ein rührendes Schauspiel. Auch unser zweites Kind wurde begutachtet und von der ganzen Familie willkommen geheißen. Wiederum habe ich den Namen ausgesucht. Unsere Tochter sollte Britta heißen, weil ich fand, dass dieser Name gut zu Jörg passte.

Das dritte Kind: Beate genannt Pucky

Unser drittes Kind wäre fast im Auto zur Welt gekommen. Und das kam so: Lutz, mein Ehemann, war mit seiner Mutter und mit Jörg in die Stadt gegangen, um Einkäufe zu machen. Es war der 7. September 1963. Ich war mit Britta allein, wir hatten kein Telefon.

Mir war morgens schon nicht gut. Es war die Zeit um den errechneten Geburtstermin. Es kam, wie es kommen musste: Die Wehen setzten ein. Wohin mit Britta? Meine Mutter und meine Schwester waren arbeiten, mein Mann war mit seiner Mutter unterwegs und für mich nicht erreichbar.

Ich rief bei meiner Schwester zu Hause an und erreichte ihre Schwiegermutter, diese versprach Hilfe. Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, stand ich mit Britta vor der Telefonzelle und heulte, weil die Wehen stärker wurden und ich nicht weiter wusste. Auch Britta weinte, weil ihr die Situation unheimlich war und sie ihre Mutter so gar nicht kannte.

Passanten boten ihre Hilfe an. Ich lehnte dankend ab und wartete inständig auf meinen Schwager. Buchstäblich im letzten Augenblick kam er, packte Britta und mich ins Auto und fuhr mit uns auf dem schnellsten Wege ins Evangelische Krankenhaus.

Mein Schwager nahm Britta mit nach Hause und ich begab mich zur Entbindungsstation. Dort begrüßte mich eine Hebamme mit den Worten: „Ausgerechnet jetzt, wo ich gerade alles fertig geputzt habe, kommt diese Frau und will entbinden!“ Mit einer passenden Erwiderung konnte ich mich nicht aufhalten, denn es ging dann alles sehr, sehr schnell und unser drittes Kind war da.

Am späteren Nachmittag kam endlich mein Mann und brachte zum Entsetzen der Schwester einen riesigen Strauß Gladiolen mit. Auf der Säuglingsstation ließ er sich unseren Spross zeigen. Lutz konnte gar nicht glauben, dass unser drittes Kind ein Mädchen war. Sie war im Gegensatz zu Britta ein sehr kräftiges Baby.

Ich wollte ihr den Namen „Katja“ geben, aber diesmal legte Lutz sein Veto ein. Er schlug den Namen „Beate“ vor und ich willigte ein. Als Beate später zu Hause von ihren Geschwistern besichtigt wurde, platzte Jörg heraus: „Sieht aus wie Pucky“. Pucky war die Titelfigur einer Bilderbuchgeschichte über einen kleinen frechen Waldgeist, der allerlei Unsinn anstellte. Von diesem Tag an wurde Pucky nur noch selten mit ihrem Taufnamen gerufen.

Das vierte Kind: Frank

Im Dezember 1966 sah ich meiner vierten Entbindung entgegen. Inzwischen wusste ich ja, was mich erwartete, deshalb plante ich eine Hausgeburt. Eigentlich war der Entbindungstermin für den Heiligen Abend ausgerechnet, aber es dauerte noch ein paar Tage, bis sich unser Jüngster bemerkbar machte.

Am 30. Dezember war es soweit. Sobald ich regelmäßige Wehen spürte, rief ich meine Schwester an und natürlich auch die Hebamme. Während meine Schwester im Nebenzimmer die Kinder unterhielt, wurde ich von einer sehr fürsorglichen Hebamme liebevoll betreut. Ich war ganz angetan von ihr, aber eines störte mich: Sie sang unentwegt und stundenlang „Großer Gott, wir loben dich“

Am Abend war es dann geschafft, und ich hielt den kleinen Frank in meinen Armen. Seinen Vornamen verdankt er einem netten und hilfsbereiten jungen Mann, der damals mit uns im Haus wohnte und dessen Vorname mir gefiel.

Natürlich ließen Franks Geschwister nicht lange auf sich warten, verlegen standen sie in der Zimmertür. Pucky traute sich als Erste näher heran, dann folgten auch Britta und Jörg. Andächtig betrachteten sie das jüngste Familienmitglied.

Unsere Vier haben mein Mann und ich oft das „Dreamteam“ genannt:

Jörg war ein bewegungsfreudiger Junge, dessen Temperament sich kaum zügeln ließ. Britta war unsere Lachtaube, sie konnte lachen, dass die Wände wackelten.

Pucky war sehr einfallsreich und gern zu Streichen aufgelegt.

Frank hatte von Anfang an ein ausgleichendes Wesen, war ein geschickter Streitschlichter, verfügte aber auch über Showtalent. Die Erzieherin prophezeite: Frank wird mal Schauspieler oder Pfarrer.

Ich habe mich immer bemüht, alle vier Kinder gleich zu halten. Jeder, der das einmal versucht hat, weiß, dass es sehr schwierig, wenn nicht gar annähernd unmöglich ist. Es gibt Zeiten, in denen der eine oder die andere mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die Kunst ist, alle anderen weiterhin im Blick zu behalten.

Ich komme mir immer vor wie dieser Jongleur im Zirkus mit seinen Stäben und Tellern. Er rennt von einem zum anderen, gibt hier oder dort wieder Schwung, immer auf dem Sprung, denn irgendein Tellerchen wackelt mit Sicherheit und so bleibt er ständig in Bewegung. So fühle ich mich auch heute noch. Inzwischen habe ich ja auch Enkelkinder, auch sie und ihren Schwung behalte ich im Auge. Noch mehr Tellerchen.

Das strukturierte Leben

Ein Sechs-Personen-Haushalt kann ohne eine gewisse Struktur nicht funktionieren. Ich war streng, ich konnte und kann keine Lügen leiden. Meine Kinder hatten klare Regeln, an die sie sich gehalten haben. Jedes Familienmitglied hatte seine festen Aufgaben im Haushalt.

Ich habe viel davon übernommen, wie meine Mutter meine Schwester und mich erzogen hatte. So wie ihre Hausmittel bei Erkältungen von Generation zu Generation weitergegeben wurden, so war es auch mit ihren Lerntipps. Am Vorabend einer Klassenarbeit lasen sich die Kinder den Stoff noch einmal durch und legten dann ihr Heft unters Kopfkissen.


Und es hat funktioniert! Alle vier Kinder waren gute Schüler, es gab nur ganz selten Grund zur Klage. Ich habe immer mitgefiebert, wenn sie Klassenarbeiten geschrieben haben. Oft stand ich am Fenster und habe aus Körperhaltung und Mimik der heimkommenden Kinder zu erraten versucht, wie ihnen die jeweilige Arbeit gelungen war. Wenn es Zeugnisse gab, habe ich einen Kuchen gebacken und es gab eine Kanne Kakao dazu.



Der typische Alltag im Hause Ende der 60er-Jahre und Anfang der 70er-Jahre sah so aus: Es ging niemand ohne Frühstück aus dem Haus. Wenn die Zeit auch noch so knapp war, das war wichtig. Diese Angewohnheit haben alle bis heute beibehalten. Es gab Prinzipien, von denen nicht abgewichen werden durfte. Erst Mittagessen, dann Hausaufgaben.

Die Hausaufgaben habe ich immer kontrolliert. Danach gingen die Kinder nach draußen zum Spielen. Die Jungen spielten gern in den Kämpen oder sie bauten ein Floss, um die Riesenpfütze am Gymnasium an der Koblenzer Straße zu überqueren. Die Mädchen waren beide Puppenmütter, saßen draußen auf der Wiese vor dem Haus, breiteten ihre Decken aus, spielten „Vater-Mutter-Kind“.

Wenn es dunkel wurde, kamen alle wieder heim, mussten die Schuhe vor der Wohnungstür ausziehen, dann Händewaschen und gemeinsames Abendessen. Bei Tisch wurden die Probleme des Tages besprochen. Wir haben viel gemeinsam Fernsehen geschaut. Zu dieser Zeit gab es am Nachmittag eine Kinderstunde. Manche Kindersendungen habe ich gern mitgeguckt, Augsburger Puppenkiste zum Beispiel.

Am Wochenende gab es manchmal Unstimmigkeiten, denn die Sportschau lief zur gleichen Zeit wie Lassie oder Fury. Ich habe immer darauf geachtet, was sich meine Kinder angesehen haben. Sonntags, wenn nicht gearbeitet wurde, kamen alle vier zu uns ins Bett geschlichen. Lutz und ich hätten gern noch ein wenig länger geschlafen, aber die Kinder waren munter.

Jörg zog seinem Vater gern die Augenlider hoch, um zu überprüfen, ob er schon wach war. „Ich wünsche dir….,“ kam dann eine Stimme aus Kissen und Decken hervor: „...dass du auch mal Kinder haben wirst und dass deine Kinder genau das gleiche auch mit dir machen!“ Daraufhin kicherten die Kinder, sie hatten ihr Ziel erreicht, die Eltern waren wach. Ich genoss diese Augenblicke ganz besonders.

Am Sonntagvormittag schickte ich die Kinder zum Kindergottesdienst in die Dietrich-Bonhoeffer-Kirche und gab ihnen auch immer ein paar Groschen für den Klingelbeutel mit. Erst sehr viel später erfuhr ich, dass die Groschen des öfteren in Süßigkeiten umgesetzt wurden.

Am Sonntagnachmittag gingen wir gern mit den Kindern spazieren. Sie mussten fein angezogen sein, das fanden sie nicht lustig. Wir sind nach Benrath gefahren, zum Rhein runter gegangen und durch den Schlosspark (2) spaziert. Das war damals so üblich, dass man sonntags nachmittags mit den Kindern unterwegs war.

Als die Kinder kleiner waren, habe ich ihnen abends immer vorgelesen. Vorlesen kann ich jeder Mutter sehr empfehlen! Zum einen schafft es ein Zusammengehörigkeitsgefühl, zum anderen fördert es die Sprachfähigkeit der Kinder und regt sie später auch zum Selbstlesen an. In der Zeit von 2012 bis 2017 war ich als Mentorin für Grundschulkinder im Einsatz, ich habe mit ihnen gelesen. In dieser Zeit konnte ich feststellen, dass es den Kindern durchaus Spaß macht, wenn sie richtig gefördert werden.

Meine vier Kinder teilten sich anfangs alle zusammen ein Zimmer. Dort standen zwei Stockbetten und jedes Kind lag bäuchlings auf seinem Bett, hatte das Kinn auf die Hände gestützt und lauschte. Manchmal las ich Märchen vor, oft erzählte ich sie auch frei. Die Kinder mochten Geschichten aus der Augsburger Puppenkiste und auch Tiergeschichten. Sie gruselten sich gern mal, wenn ich ihnen die Geschichte vom dunklen, dunklen Wald erzählte. Wir knipsten dann das Licht aus und ich erzählte mit dunkler geheimnisvoller Stimme.


Als die Kinder größer wurden, haben sie selbst viel gelesen. Außerdem war ihnen Musik wichtig, alle gingen zur Musikschule, die in unmittelbarer Nähe lag. Alle Kinder haben mit der Blockflöte begonnen, die Mädchen haben mit Querflöte weitergemacht, außerdem sangen sie im Chor. Frank hat Geige gespielt.

Sehr beliebt war auch die „Teestube“, die der damalige Pfarrer anbot. Es war eine Art Jugendtreff. Es gab Musik, einen Kicker, es wurden Spiele angeboten.

Die Rolle des Vaters



Mein Mann war den Kindern eher ein Freund, sie hatten keine Angst vor ihm, er war nicht streng. Er war kein Vater, der abends strafen musste. Ich erzählte ihm zwar, was tagsüber passiert war, betonte dabei aber immer, dass ich bereits alles geregelt hatte. Er war sehr stolz auf seine Kinder, hat sich auch gern mit ihnen beschäftigt. Er unternahm alle möglichen sportlichen Dinge, ging mit ihnen schwimmen, spielte Gesellschaftsspiele.

Und er schummelte! Und zwar so, dass die Kinder es auch merkten. Er beherrschte ein paar Kartentricks, die er ihnen immer wieder vorführen musste. Sie waren ganz fasziniert von seinen Künsten. Ihrem Vater hatten sie auch immer viel zu erzählen. Lutz ärgerte gern den Kleinen. Der konnte nicht verlieren und ging mit Fäusten auf seinen Vater los. Er hielt ihn am ausgestreckten Arm von sich weg, während der Kleine ihn zu boxen versuchte. Unsere Kinder haben ihren Vater sehr verehrt.


Er starb 2007. Mein Mann ist bei den Kindern gegenwärtig. Er wird oft zitiert. Zum Beispiel sein Rat bei Liebeskummer: „Andere Mütter haben auch schöne Töchter“ oder „In Wersten brennt es, in Wersten brennt es, Feuer, Feuer und wir haben kein Wasser zum Löschen“.

An jedem Morgen, an dem ich meine Medikamente nehme, werde ich an seinen Ausspruch erinnert, wenn er die Tabletten in seiner Hand betrachtete, bevor er sie mit einem Glas Wasser hinunterspülte: „Ihr wisst, wo Ihr alle hin müsst?“

Noch heute sprechen wir oft von ihm. Zusammenhalt war eines meiner wichtigsten Erziehungsziele. Wie in jeder Familie gab es auch schon mal kleinere Reibereien, aber wenn es einem schlecht ging, und das ist das Besondere an unserer Familie, stehen alle anderen wie eine Allianz zusammen. Das ist auch heute noch so. Darüber bin ich sehr froh.

Wenn man mich fragen würde, was ich meinen Kindern mit auf ihren Weg geben möchte, dann ist das folgendes: „Macht etwas aus Eurem Leben, genießt das Leben, lernt die Welt kennen. Es ist alles so schnell vorbei. Sitzt nicht auf Eurem Geld. Ihr könnt nichts mitnehmen. Ihr kommt allmählich in ein Alter, in dem Ihr auf Euch achten solltet. Es ist mir wichtig, dass ich Anteil nehmen kann an Eurem Leben.“



Als meine Kinder vor vielen Jahren ausgezogen sind, habe ich ihnen ein Album mit ihren Kinderbildern zusammengestellt, vorn stehen die Daten, wann und wo sie geboren sind. Jörg wurde Polizist, traf seine Hildegard und heiratete.

Die beiden bekamen vier Kinder. Britta wurde Finanzbeamtin, traf Peter und heiratete. Sie bekamen drei Kinder. Pucky wurde Rechtsanwältin, traf Christian und heiratete, sie bekamen ein Kind. Frank wurde Theologe und Lehrer für Religion und Deutsch. Ich mag als junge Frau zwar nicht so auf Kinder aus gewesen sein, aber das hat sich grundlegend geändert. Die vier wurden zu meinem Lebensmittelpunkt. Ich dachte mir: „Wenn ich schon Kinder habe, dann nichts wie ran!“ Mein Leben wäre ohne sie längst nicht so spektakulär geworden, wie in folgendem Gedicht, das mir die Rasselbande einmal zum Muttertag überreichte, beschrieben:

Wir wären nicht gewaschen und meistens nicht gekämmt.

Die Strümpfe hätten Löcher und schmutzig wär‘ das Hemd.

Wir äßen Fisch mit Honig und Blumenkohl mit Zimt.

Wenn du nicht täglich sorgtest, dass alles klappt und stimmt.

Wir hätten nasse Füße und Zähne schwarz wie Ruß.

Und bis zu beiden Ohren die Haut voll Pflaumenmus.

Wir könnten auch nicht schlafen, wenn du nicht noch mal kämst,

und uns, bevor wir träumen, in deine Arme nähmst.

Und trotzdem sind wir alle auch manchmal eine Last.

Was wärest du denn ohne uns? Sei froh, dass du uns hast.

Als meine Kinder dann selbst Eltern wurden, sagte ich zu ihnen: „Eure Kinder erzieht Ihr selbst. Ich bin dazu da, sie zu verwöhnen!“ Und so haben wir es auch gemacht. Ich war und bin begeisterte Großmutter. Gern flüsterte ich meinen Enkelkindern ins Ohr: „Du bist Omas Engelchen!“ Jahre später nahm meine älteste Enkelin den Telefonhörer ab, als ich anrief. „Wer ist denn dran?“ fragte ihre Mutter im Hintergrund. „Oma Engelchen!“ antwortete die Kleine und so war der Kosename geboren, unter dem mich mittlerweile nicht nur meine Enkelkinder, deren Partner und Partnerinnen, sondern auch viele andere Menschen kennen und mit dem mich sogar auch die Gemeindemitglieder ansprechen. Ich höre das gern.

Ein Vergleich: Früher und heute – Geldverdienen und Kinderbetreuung

Heutzutage sind berufstätige Mütter eher die Regel als die Ausnahme. Und auch wenn die angebotenen Plätze zur Kinderbetreuung längst nicht ausreichen, lässt sich das heutige Angebot mit dem von früher nicht vergleichen. Anfang der 60er-Jahre gab es zwar Kindergärten, aber keine Kinderkrippen, wie sie heute üblich sind. Junge Eltern hatten damals auch noch keinen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kita, auch Betriebskindergärten waren Mangelware. Soweit mir bekannt ist, gab es auch keine Tagesmütter, jedenfalls war dieses Konzept noch nicht weit verbreitet. Wenn junge Mütter Glück hatten und ihre Mütter nicht berufstätig waren, sprang die Oma zur Betreuung eines unter dreijährigen Kindes ein.

Dass ich mich nach der Geburt von Jörg, meinem ersten Kind, nach der Mutterschutzfrist entschied, wieder zur alten Firma zurückzukehren, hatte vor allem finanzielle Gründe. Mein Mann war davon nicht begeistert. „Was sollen unsere Freunde denken?“ fragte er. „Das sieht doch aus, als könne ich meine Familie nicht ernähren.“ Aber im Grunde war es so, denn sein Gehalt als Verkäufer reichte hinten und vorne nicht. Auch meine Schwiegermutter missbilligte meinen Entschluss, wieder berufstätig zu werden. Dennoch erklärte sie sich bereit, ihren Enkel während meiner Abwesenheit zu betreuen. Sie tat das mit aller Hingabe und war sehr fürsorglich. Mit unseren beiden Gehältern kamen wir ganz gut über die Runden. Aber bereits nach einigen Monaten teilte mir meine Schwiegermutter mit, dass sie sich überfordert fühlte und stand von einem auf den anderen Tag für die Kinderbetreuung nicht mehr zur Verfügung.

Ich war inzwischen mit Britta schwanger und wusste nicht mehr ein noch aus. Wir überbrückten einige Wochen, indem sowohl meine Schwester als auch ich unseren Jahresurlaub nahmen, um Jörg zu betreuen. Irgendwann musste ich die bittere Wahrheit akzeptieren: Außer mir war niemand bereit oder in der Lage, mein Kind zu versorgen.

Also musste ich meinen Arbeitsplatz kündigen. Auf die Gehaltsfortzahlung während der Mutterschutzfristen verzichtete ich somit. Erschwerend hinzu kam, dass ich bei meiner Firma einen Baukostenvorschuss geliehen hatte. Die Firma wollte das Geld natürlich zurück. Ich ließ mir meine Rente auszahlen, das war damals möglich. Und so konnten wir wenigstens unsere Schulden bezahlen.

Heutzutage wäre das kein Problem, da würden Familien in dieser Situation unterstützt. Vielleicht wäre das damals für uns auch möglich gewesen, aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, mich beim Sozialamt zu melden. Diese harten Jahre während unserer jungen Ehe haben uns beide sehr geprägt. Es waren wirklich bittere Zeiten. Dass wir es später so weit gebracht haben, ist erstaunlich. Beide gaben wir uns alle Mühe, die Situation zu meistern. Lutz war sehr fleißig, wagte den Quereinstieg bei einer Versicherung und machte später Karriere. Ich fand eine Putzstelle im Autohof auf der Erkrather Straße und konnte dort nachts arbeiten.

Auch heute noch: Sparfuchs

Ich wurde zu einem regelrechten Sparfuchs, suchte nach Sonderangeboten, kochte so preiswert wie möglich, verwertete alles. Obwohl ich es heutzutage nicht mehr nötig habe, bin ich noch immer sparsam. Ich kann das einfach nicht ablegen. Ich schaue mir die Prospekte an und überlege, welche Angebote ich für mich nutzen kann. Ich werfe auch nur sehr selten Lebensmittel weg. Ich versuche, alles einzufrieren oder zu verwerten. Als Jörg und Britta zur Grundschule gingen und Pucky und Frank in den Kindergarten kamen, konnte ich auch wieder in meinem Beruf arbeiten.

(1) Als Zweiter Weltkrieg (1939 – 1945) wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet. In Europa begann er am 1. September 1939 mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen … Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945.


(2) Das Benrather Schloss liegt im südlichen Stadtteil Benrath der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Erbaut wurde es von 1755 bis 1773 ... im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz als Witwensitz für die Kurfürstin Elisabeth Auguste. Das denkmalgeschützte Ensemble von Lustschloss, Jagdpark, Weihern und Kanalsystem gilt als bedeutendes architektonisches Gesamtkunstwerk von Düsseldorf.

Auzug aus „Liebe Helga – gutes Kind“, erzählt von Helga B., aufgeschrieben von Susanne H.(2017), bearbeitet von Barbara H. (2023)


Fotos: privat

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