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Mit Federbett und Köfferchen - Lagerleben in Rudolstadt


Edith, geboren 1934 in Eichhorn verbrachte ihr Kindheit in Stosnau. Im August 1944 wurden sie und ihre hochschwangere Mutter nach Rositten evakuiert. (1)

Es folgte ein weiterer Aufenthalt in Mylau bis sie schließlich in ein Lager nach Rudolstadt gebracht wurden. Dort verbrachte Edith – später in einem eigenen Zimmer in einer privaten Unterkunft - ihre weitere Schulzeit und Lehre, bis sie nach ihrer Gesellenprüfung nach Altenburg aufbrach.



Schwere Zeiten im Lager

Im August 1945 wurden wir nach Rudolstadt in Thüringen gebracht. Wir kamen in ein Lager, das in einer Schule errichtet worden war. Die Umstände waren fürchterlich. In einem leeren Klassenraum war rundherum Stroh aufgeschüttet und dort mussten vierzig Personen schlafen: Männlein, Weiblein, Kinder – alles durcheinander. Es waren unterschiedliche Leute von überall her und wir kannten keine Menschenseele. Jeden Morgen standen diese vierzig Leute Schlange um sich einer Katzenwäsche auf dem Schulflur zu unterziehen, eine andere Möglichkeit für die Körperhygiene gab es in diesem Lager nicht.


In der Zeit im Lager waren wir wieder einmal überglücklich, dass wir unser Federbett mitgenommen hatten, denn auf den Strohhaufen, die unsere Betten darstellten, lagen lediglich alte Pferdedecken. Meine Mutter und ich schätzten uns glücklich, uns abends unter unser Federbett kuscheln zu können.

Die Verpflegung im Lager war jämmerlich. Diejenigen, die noch etwas Wertvolles besaßen – Schmuck oder Wäsche oder sonst etwas Besonderes – sind zu den Bauern gegangen und haben für einen goldenen Ring eine Tüte voll Kartoffeln erhalten, die sie dann beim Bäcker haben garen lassen. Aus der Küche des Lagers erhielten wir statt einer anständigen Mahlzeit nur Kastanienmehlsuppe. Die Angestellten der Stadt, die uns versorgten, haben sich mit dem, was sie eigentlich für uns verwenden sollten, Kartoffelpuffer gebacken. Wir haben in dieser Zeit erstmals richtig Hunger gelitten und mussten auf den abgeernteten Feldern Kartoffeln stoppeln gehen um überhaupt genug zu essen zu bekommen. Wenn wir Pech hatten, erwischte uns der Bauer und jagte uns mit den Hunden vom Feld.


Begegnung auf dem Markt

Aus dem Lager ausziehen konnten nur diejenigen, die sich selbst ein Quartier suchten. Meine Mutter war hierzu nicht in der Lage. Sie hatte nichts gelernt und es fiel ihr unheimlich schwer sich zurecht zu finden und mit den Ämtern umzugehen. Mein Vater galt zu der Zeit als vermisst und wir hatten keine Ahnung, wo er war und ob es ihm gut ging.

Schule hatte ich zu der Zeit nicht, da die Schulen alle voll mit Flüchtlingen waren und kein Unterricht stattfinden konnte. Den Tag vertrieb ich mir damit, dass ich in der Stadt herumlief, auf dem Marktplatz unterwegs war, oder einen der sechs Aufgänge zu der wunderschönen Heidecksburg erkundete.


Irgendwann im Winter, den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, verhalf mir meine Hilfsbereitschaft schließlich dazu, dass ich uns aus dem Lager herausbringen konnte. Ich stromerte wieder einmal in der Stadt herum. Vom Marktplatz aus verlief eine kleine Gasse aufwärts Richtung Schloss. Dort sah ich eine ältere Frau, die mühsam einen Handwagen mit Kohlen zog. Ich sah sie, eilte zu ihr und schob ihr den Wagen die Gasse hinauf. Sie bemerkte, dass sie auf einmal leichter vorankam, drehte sich herum, sah mich und sagte: „Ach, das ist aber lieb.“

Ich schob den Wagen bis vor ihre Haustüre. Dort angekommen, begann die Frau mich auszufragen. Als ich berichtete, dass ich mit meiner Mutter im Lager wohne, bemerkte sie:

„Ach, dann hast du doch sicherlich Hunger.“

„Ja, schon“, gestand ich.

„Na, dann komm mal mit hoch.“


Endlich eine warme Mahlzeit - und ein eigenes Zimmer

Sie nahm mich mit in ihre Wohnung im obersten Stock des Hauses. Ihr Mann war auch da. Sie nahm einen Topf voll Pellkartoffeln vom Herd, kippte diesen auf den Tisch und sagte: „Nun iss mal.“ Es gab Pellkartoffeln; mehr nicht. Auch die Einheimischen haben gehungert, nicht nur die Flüchtlinge. Sie schüttete ein Häufchen Salz auf den Tisch, in das wir die Kartoffeln stippen konnten und ich machte mich über die Mahlzeit her. Als ich eine Kartoffel gegessen hatte und innehielt sagte die alte Frau gleich: „Nun iss mal noch eine!“

„Ich esse lieber keine mehr“, antwortete ich. „Aber darf ich die eine meiner Mutter mitnehmen?“

„Iss mal Mädchen, ich gebe dir für deine Mutti welche mit.“

So aß ich eine zweite Kartoffel, während sie mich weiter über meine Herkunft und meinen Vater ausfragte.

Sie selbst berichtete, dass ihr Sohn gefallen sei und dass sein Zimmer seither leer stehe. Sie zeigte es mir. Es war ein kleines Zimmerchen mit einem Bett, einem Kleiderschrank, einem Tisch und einem Stuhl. Das war alles.

Sie sagte: „Dieses Zimmer könnten wir euch beiden ja vermieten, wenn deine Mutti das haben will. Komm doch morgen mal mit deiner Mutti her.“

Sie gab mir noch einige Pellkartoffeln mit und ich eilte zurück ins Lager. Meine Mutter war überglücklich, dass sie sich an den Kartoffeln endlich wieder einmal satt essen konnte. In Ostpreußen waren Kartoffeln Grundnahrungsmittel gewesen, in Rudolstadt waren sie für uns ein Festmahl.

Ich erzählte meiner Mutter von der Begegnung mit der Frau und von dem Zimmer. Am nächsten Tag gingen wir gemeinsam zurück zu dem Ehepaar, erhielten das Zimmer und konnten endlich aus dem Lager verschwinden.


Auszug aus: „Und dennoch! Sie blüht!“,

erzählt von Edith SF., geschrieben und Auszug verfasst von Judith H.



Anmerkungen

(1) Von der Evakuierung von Stosnau nach Mylau berichtet Edith im Blogartikel:


Foto: Free-Photos/Pixabay



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