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Über Umwege: Vom Kaufmann zum Techniker

Rolf-Rainer H., geboren 1941 in Düsseldorf, aufgewachsen in Flingern, absolvierte seine Mittlere Reife auf dem Lessing-Gymnasium. Sein Berufswunsch war Ingenieur, doch das Studium blieb ihm verwehrt. Nach wahren Lehrjahren – inklusive Nebenjobs – gelang ihm über eine kaufmännische Ausbildung der Sprung in einen technischen Beruf.



Berufseinstieg per Praktikum

Meine Schullaufbahn endete 1959 mit der sogenannten Mittleren Reife. Ich wollte Ingenieur werden, und dazu brauchte man nicht unbedingt das Abitur, aber zwei Jahre Praktikum. Zuerst machte ich ein Jahr lang ein Praktikum im Werk der Auto Union (Foto oben: Produktion eines DKW 3,6 Kabrio auf dem Fließband des Düsseldorfer Werkes an der Heinrich-Ehrhardt-Straße, ca. 1952 / Quelle: Stadtarchiv Düsseldorf), das heutige Werk von Daimler Benz (Foto unten: Luftaufnahme; Postkarte ohne Datum / Quelle: Stadtarchiv Düsseldorf), wo die Kleintransporter gebaut werden.

Dort hatte ich durch die Kontakte meines Vaters unmittelbar eine Praktikantenstelle bekommen.



Man musste alle Arbeitsvorgänge im Maschinenbau kennenlernen, u. a. Hobeln, Drehen, Schweißen. Löten, Fräsen, Feilen, Lehrenbau, Schmieden usw., alles, was auch Lehrlinge lernen mussten. Auch Arbeiten in der Elektro-Reparaturwerkstatt gehörten dazu.


In der Rheinmetall-Kantine für die Familie einspringen

Zu der Zeit führte mein Vater die Kantine bei Rheinmetall. Immer ,wenn jemand vom Personal ausfiel, musste ich, d. h. auch die Familie, einspringen. Ich servierte immer mit einem freundlichen Lächeln, das wurde von meinem Vater so erwartet. „Vergiss nicht, auf dem Rückweg etwas abzuräumen. Und die Gäste musst du immer im Auge behalten und merken, wenn jemand etwas will. Und immer freundlich sein!“


Meine Mutter wirkte oft in der Küche und/oder am Buffet mit, manchmal musste ich sie auch dort vertreten.

Mein Vater hatte Nierensteine und sehr hohen Blutdruck. Nach der Mittagspause in der Kantine legte er sich schon mal in einem kleinen Nebenraum aufs Sofa und erholte sich. Als Rheinmetall umstrukturiert wurde (nach der Fusion mit Röchling-Stahl) sollte die Kantine von Mitarbeitern der Firma geführt werden.


Damit endete Vaters Selbständigkeit in der Kantine von Rheinmetall, das war ca. 1957.


Meine Praktikumszeit – und nebenbei Führerschein gemacht

Nach meinem Praktikumsjahr bei der Auto-Union lernte ich zwei Monate lang die Gießereipraxis in der August-Küpper-Gießerei in Heiligenhaus kennen.

Durch einen Mitpraktikanten hatte ich im ersten Monat eine tägliche Mitfahrgelegenheit nach Heiligenhaus, im zweiten Monat musste ich den Bus nehmen.

Im dritten Monat des zweiten Praktikumsjahres wechselte ich zum Ernst-Brockhaus-Elektrobetrieb

auf der Ackerstraße in Düsseldorf, der spezialisiert war auf Elektromotoren, Ankerwickelei und dergleichen. Dort blieb ich drei Monate lang.

Auch dieser Kontakt lief über meinen Vater, der dann leider am Ende der drei Monate verstarb.

Er hatte inzwischen ein Lebensmittel- und Feinkostgeschäft samt Lager auf der Mittelstraße in Hilden gekauft. Dazu musste er Schulden machen. Oft half ich im Laden, obwohl ich schon im Praktikum war. Für das Einkaufen auf dem Großmarkt benutzte ich unser Auto.

Einen Führerschein hatte ich nicht, aber ich konnte fahren. Als ich einmal von der Polizei kontrolliert wurde, zeigte ich Vaters Führerschein vor. Das fiel nicht auf, denn ich sah meinem Vater damals sehr ähnlich. Man ermahnte mich nur, langsamer zu fahren.

Für den Führerschein habe ich später nur drei Fahrstunden gebraucht. Und das auch nur, weil mein Fahrschullehrer ein Freund meines Vaters war. Als ich zur Prüfung angemeldet war, ging er in Urlaub, weshalb ich bei seinem Vertreter noch einmal eine Fahrstunde nehmen musste. Etwa sechs Wochen nach meinem 18. Geburtstag wurde mir dann der Führerschein ausgehändigt.


Mein Nebenverdienst

Ich versprach, meiner Mutter jeden Monat 100 Mark zu geben, so dass erst einmal die halbe Miete gedeckt war. Ich musste mir dringend einen Nebenjob suchen. Nachts verdiente ich mir also bei den Düsseldorfer Nachrichten auf der Königsallee etwas hinzu. Ich arbeitete im Versand, packte die Zeitungen zusammen und legte bei Bedarf Reklame in die Ausgaben ein.

Immer da, wo mein Chef (Versandleiter) mich gebrauchen konnte, wurde ich eingesetzt. Oft musste ich auch beim Zeitungsausfahren helfen. Wenn meine Schicht zu Ende war, habe ich noch ca. 200 Zeitungen vorwiegend in Derendorf ausgetragen. Am Morgen kam ich schwarz vor Druckerschwärze nach Hause, wo ich erst einmal duschte.

Ich verdiente im Versand zwischen 16 und 18 Mark pro Schicht (zwischen 24 und 6 Uhr). Das war damals ein gut bezahlter Job, wenn auch sehr anstrengend.

Für mich war das sehr viel Geld, vor allem weil wir oft früher mit der Arbeit fertig waren.


Kaufmännische Lehre statt Studium

Die Fortsetzung meines Praktikums und damit die Voraussetzung für ein Studium war nach dem Tod meines Vaters nicht mehr möglich. Ich musste rasch einen Beruf erlernen, am liebsten wollte ich Technischer Zeichner werden. Aber eine freie Ausbildungsstelle gab es bei der Firma Lindemann in Lierenfeld, wo ich mich vorstellte, erst im nächsten Jahr. Die Firma Lindemann stellte Schrottpressen und -scheren her. Man bot mir stattdessen an, eine kaufmännische Lehre sofort ab 1. Oktober 1960 zu beginnen. Ich nahm das Angebot an.

Als Lehrling bekam man eine Schülermarke für die Rheinbahn im Wert von 5 Mark. Um das Geld zu sparen, fuhr ich aber jeden Tag bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad. Mit mir zusammen wurden zwei weitere Lehrlinge eingestellt, die älter als ich waren und bereits eine Berufsausbildung und auch ihre Militärzeit schon hinter sich hatten.

In der Firma habe ich mich für alle Arbeitsbereiche, insbesondere die technischen, interessiert. Zur Überraschung aller entwickelte ich einen innovativen Plan zur effektiveren Arbeitsablaufsteuerung.


Nach über zwei Jahren wurde ich aufgefordert, mein Berichtsheft vorzulegen. Das hatte ich allerdings in keinem vorzeigbaren Zustand. Ich suchte rasch alles Wesentliche zusammen und ließ es in dem Schreibbüro abtippen. Das Glück war mir wiederum gut gesonnen, denn eine Dame in diesem Schreibbüro schrieb die vielen Seiten in allerkürzester Zeit fehlerfrei herunter!

Mein Berichtsheft wurde anschließend dann sehr gelobt.


Die Lehrabschlussprüfung – mit Belohnung von 200 Mark

Die mündliche Prüfung fand an einem Vormittag bei der Konkurrenzfirma Schloemann auf der Steinstraße statt. Ich war in einer Vierergruppe, zusammen mit drei Lehrlingen von Jagenberg. Wiederum war mir das Glück hold, denn für alle Fragen, die die Prüflinge vor mir nicht zufriedenstellend beantworten konnten, hatte ich die richtige Antwort. Was die nicht wussten, wusste ich.

Und da ich auch mit Kopfrechnen und technischem Wissen keinerlei Probleme hatte, konnte ich die Prüfung mit einer „Zwei“ abschließen, was mir eine Belohnung der Lehrfrma in Höhe von 100 Mark einbrachte.

Meine beiden Lehrlingskollegen wurden am Nachmittag geprüft, bekamen aber nur eine „Drei“, obwohl in der Firma so große Stücke auf sie gehalten worden waren.


Im Beruf: Vertrieb, Kalkulation, technische Zeichnungen

Die anderen beiden ehemaligen Lehrlinge blieben bei der Firma Lindemann. Ich aber trat eine Stelle in der Schrauben- und Werkzeug-Handelsfirma Westendorf an, wo ich mehr verdiente als meine beiden Kollegen.

Durch einen Hinweis des Untermieters meiner Mutter wechselte ich zur Firma Schloemann und verdiente noch mehr als vorher.

Erst war ich im Vertrieb tätig und wurde dann zur Kalkulation versetzt, wo es erforderlich war, technische Zeichnungen zu lesen und mit Maßen, Gewichten und Kalkulationen umzugehen. Das war genau mein Metier!

Ich besuchte verschiedene Abendkurse wie „Technisches Rechnen für Kaufleute“ und „Elektrotechnik für Kaufleute“, um meine technischen Qualifikationen zu optimieren. Die Technik war ohnehin eher mein Interessensgebiet als das Kaufmännische.


Hochzeit, Umzüge, Jobwechsel

K. und ich verlobten uns 1964. 1966 wurde unser Sohn C. geboren. Als er drei Jahre alt war, bekamen wir über meine Zugehörigkeit im Betriebsrat der Firma Feldmühle, wo ich inzwischen arbeitete, eine Wohnung in Oberkassel.

Leider konnten wir diese Wohnung nicht kaufen, weil die Liegenschaftsverwaltung das nicht zuließ. Wir kauften uns stattdessen mit Hilfe eines Bausparvertrages ein Grundstück in Korschenbroich.

Als C. sechs Jahre alt war, fing ich in Langenfeld bei einer Firma an, wo ich für den Bereich Organisation zuständig war. Von dort wechselte ich später in die Vermögensverwaltung einer kleinen Firmengruppe.

In Langenfeld haben wir dann bis 1977 gewohnt.

In Korschenbroich hatte ich ein Einfamilienhaus gebaut.

Ich war inzwischen Vermögensverwalter einer Firmengruppe mit Sitz in Langenfeld.


1980 wechselte ich zu einer Firma in Mönchengladbach-Rheydt. Dort war ich für den Vertrieb von Fahrausweisautomaten zuständig.

1986 zogen wir auf Wunsch meiner Frau und meines Sohnes nach Düsseldorf-Oberkassel, wo wir ein Einfamilienhaus kauften, das noch nicht fertig ausgebaut war. Das Haus in Korschenbroich haben wir zwar gut verkauft, aber für das neue Haus brauchten wir eine Hypothek, da der Erlös nur etwa 55 % der Ausgaben des neuen Hauses in Oberkassel ausmachte.


Eheprobleme: Eines Tages verkündete meine Frau: „Ich ziehe mit C. aus.“ Nach langen Diskussionen beschlossen wir, dass ich ausziehe. Also mietete ich mir eine Zweizimmerwohnung in Rheydt, nicht weit entfernt von der Firma, wo ich tätig war.

Später zog ich wieder in unser Haus ein. Damals hatte ich mich schon in Renate verliebt, und wir beschlossen, gemeinsam in dieses Haus zu ziehen.


Unerwartete Kündigung und zu alt für den Arbeitsmarkt

Wir kamen gerade aus einem Urlaub auf den Seychellen zurück, da lag ein Kündigungsschreiben der Firma im Briefkasten. Man hatte mir eine Unregelmäßigkeit unterstellt, die ich zwar mit Hilfe eines Rechtsanwaltes ausräumen konnte, aber eine Kündigung zum späteren Termin blieb bestehen. Ich bekam dann eine ordentliche Abfindung. Ich war gerade erst 53 Jahre alt, aber für den Arbeitsmarkt schon zu alt.

Meine berufliche Situation war durch die Kündigung schwierig geworden. Jahrelang habe ich

Bewerbungen geschrieben und wurde zu einigen Vorstellungsgesprächen wiederholt eingeladen, bekam aber keine neue Stelle mehr.

Ich war einfach zu alt für den Arbeitsmarkt.

Mitte 1999 wurde ich bei der BfA vorstellig, um prüfen zu lassen, ob alle Unterlagen vorlagen oder ob noch etwas nachgereicht werden müsste. Als ich nach längerer Wartezeit das Büro betrat, sagte die Sachbearbeiterin zu mir: „So wie Sie hier hereinkommen, können Sie nicht ganz gesund sein.“

In der Tat hatte ich seit einiger Zeit starke Rücken- und Knieschmerzen. Außerdem litt ich an starkem Asthma, und mein Fuß- und Ellenbogengelenk waren durch Unfalleinwirkungen nicht in einem guten Zustand. Die Sachbearbeiterin riet mir, einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeit zu stellen. Sie wollte mir auch gern dabei helfen falls ich bei Ausfüllen des Antrages Hilfe benötigen würde.

Ich habe den Antrag dann gestellt und musste zum Amtsarzt, dessen Untersuchung sehr

schmerzhaft war. Aber er hatte gemerkt, dass ich nicht simulierte und bestätigte meine Erwerbsunfähigkeit.


Wie das Schicksal es so wollte, waren Renate und ich nun erwerbsunfähig. Ich bekam jetzt

keine Arbeitslosenunterstützung mehr, sondern eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Trotzdem haben wir nicht gespart, sondern wir plünderten unsere Sparbücher und fuhren weiterhin häufig in den Urlaub.


Als wir eines Tages aus dem Urlaub zurück nach Hause kamen, lag der Rentenbescheid im Briefkasten. Da die Zahlungen rückwirkend erfolgten, hatte ich nun einen fünfstelligen Betrag auf meinem Konto, was mich sehr erfreute, denn Freunde wiesen mich darauf hin, da ich 1999 schon erwerbsunfähig geschrieben wurde, wird diese derzeitige Rente ohne Wenn und Aber sofort in derselben Höhe in die Altersrente überführt.

Weil der Versorgungsausgleich bei meiner Scheidung bereits erfolgt war, fiel natürlich meine Rente doch erheblich kleiner aus.

Wir konnten die restliche Hypothek ablösen, da diese nur über zehn Jahre zunächst festgeschrieben war.

Und wir konnten später auch die dafür vorgesehene Lebensversicherung einsetzen.



Auszug aus „Lebensglück mit Dornenstellen“, erzählt von Rolf-Rainer H., aufgeschrieben von Rosi A., bearbeitet von Achim K.

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