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Rund um die Welt: Familie, Arbeit und neue Liebe

Zufall und Unternehmungsgeist haben Madeleine, geb. 1942 in Belgien, an viele Orte der Welt geführt, die durch Veränderungen der politischen Umstände, der Umwelt, der Familie und der Liebe inzwischen einen großen Wandel erfahren haben. Nach dem Leben im Kongo, der Ausbildung und Arbeit in Deutschland verliebte sie sich in einen Inder, lernte sein Land und seine Familie kennen und reiste nach Amerika, Asien und Europa.


In Alicante hat Madeleine eine schicksalhafte Begegnung... (Symbolfoto: armennano/Pixabay)


Luftholen in Amerika: Von New York bis San Diego

Nachdem wir zurück in Düsseldorf waren, wurde mein Mann von seiner Firma beauftragt, für einige Monate nach Amerika zu gehen, um in der Mutterfirma zu arbeiten. Ein paar Wochen später verbrachte ich dort meinen Jahresurlaub. Ich flog los für vier Wochen, ohne große Vorbereitung, ohne einen genauen Plan. Nicht einmal eine Aspirin befand sich in meiner Handtasche – diese Courage so zu reisen hätte ich heute nicht mehr. Es war eine wunderschöne Reise und ich bin froh, dass ich es gemacht habe.


Meine erste Station war New York, wo Bekannte meiner Mutter auf mich warteten. Ich wohnte bei der Familie und „Jimmy“ fuhr mich überall herum. Er zeigte mir quasi alles, was in New York sehenswert ist. Wir waren auch im Kino und sahen uns die Premiere des Films „Der Clou“ mit Paul Newman und Robert Redford an. New York ist total aufregend und interessant, eine Stadt, deren Besuch sich auf alle Fälle lohnt. Von dort aus flog ich nach Minneapolis/Minnesota, wo mein Mann als Chemiker arbeitete, blieb aber nur ein paar Tage, denn es gibt dort nicht viel zu sehen und mein Mann musste sowieso arbeiten. Er kam in Amerika sehr gut klar, fühlte sich wohler und war möglicherweise zufriedener und glücklicher während dieser Zeit als hier in Deutschland. Die Inder haben in Amerika einen sehr guten Ruf und ich glaube, er fühlte sich bei seiner Arbeit besser akzeptiert und anerkannt als hier.


Weiter ging es nach San Francisco – herrlich was für eine schöne Stadt wie auch die ganze Umgebung. Von San Francisco aus flog ich nach Las Vegas. Wiederum eine einmalige Stadt. Man hatte mir empfohlen ins "Kasino" zu gehen – „so etwas muss man tun in Las Vegas“, wurde mir gesagt. Also ging ich und spielte... und gewann! Spielte wieder und... verlor. „So ist es,“ sagte mir ein Herr an der Bar, mit dem ich mich ein wenig unterhielt. „Hier bekommt man kein Rheuma,“ sagte der Herr (zu trocken und zu heiß,) „dafür aber Falten.“ Jeder muss selber wissen, was er will. Ich blieb zwei Tage, aber zu besichtigen gibt es im Prinzip nicht viel, man besucht Konzerte, die Kinos, genießt die vielen Shows etc., dafür ist die Stadt bekannt, ansonsten geht man bei der Hitze am besten Schwimmen.


Mein nächstes Ziel war San Diego mit seinem fantastischen Zoo und dem kalifornischen Sonnenschein. Von dort aus kann man mit dem Bus einen Tagesausflug nach Mexico „Tijuana“ machen, mexikanischen Flair erleben und ein bisschen Spanisch aufschnappen.


Die Nummer 1 meiner Reiseerlebnisse: Grand Canyon, ein Wunder der Natur

Aber dann kam etwas, das mir den Atem raubte: der Grand Canyon. Oh Gott, so etwas hatte ich noch nie gesehen, was für ein Wunder der Natur, das lässt einen ohne Worte, es ist grandios, unfassbar, ein Erlebnis ohnegleichen.


Ganz erfüllt von diesem Naturerlebnis flog ich weiter nach New Orleans. Die Stadt mit ihrem französischen Charme und der überall spürbaren „joie de vivre“ (Lebensfreude) ihrer Einwohner unterscheidet sich sehr von anderen amerikanischen Städten. Der französische Akzent stammt aus einem Mix des vor etwa 350 Jahre eingewandertem alten Kontinental-Französisch und dem kanadischen „l’Acadien“. Hier ging mir das Herz auf. Ich genoss die französische Kultur und den abendlichen Besuch der lebhaften Jazz Keller. Die Ufer des Mississippi mit den alten Dampfschiffen gaben der Stadt etwas Magisches. In New Orleans findet man übrigens die älteste Apotheke der USA.


Anschließend ging es zurück Richtung Norden, zu den Niagara Fällen, auch ein unheimlich beeindruckendes Erlebnis. Dann waren die 4 Wochen Amerika um und ich „reicher“ in vielerlei Hinsicht. Mit meinen Freunden, die ich dort gefunden habe, korrespondiere ich heute immer noch.


Abschalten in England

Ich erwartete ein Baby, leider entwickelte sich das Ganze nicht gut, ich verlor das Kind und blieb zwei Monate in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Es war eine böse Geschichte. Wenig später fingen mein Mann und ich an, Probleme zu haben und ich fühlte mich unwohl.


Ich brauchte Veränderung, also ging ich nach England, wo ich drei Monate blieb. Ich arbeitete in einem schicken Restaurant als „waitress“, wobei ich kaum in der Lage war, zwei Teller auf einmal zu tragen! Die Arbeit war hart und dauerte oft bis spät in die Nacht. Zum Glück war die Kundschaft freundlich und hatte ein gewisses Niveau, daher machte ich den Job gerne. Ich teilte mir ein Zimmer mit „Liese“ aus der französischen Schweiz. Es war nicht gerade eine Luxusunterkunft: Was haben wir geputzt und gekratzt, um das Bad einigermaßen sauber zu bekommen. Aber zum Glück kam ich nur zum Schlafen dorthin.


Da ich in der Nähe von London wohnte, fuhr ich an meinen freien Tagen immer in die „City“ und konnte die Stadt mit allen ihren Facetten genießen: Big Ben, ein paar Museen, Madame Tussauds - und dank des guten Wetters auch die wunderbaren Parks. Ich ging spazieren, lernte Leute kennen, ging ins Kino – es war toll und ich liebte London in dieser Zeit mehr als Paris – und natürlich liebte ich die köstlichen „applepies“, die ich quasi jeden Tag aß, was sich bald gefährlich bei meinem Gewicht bemerkbar machte.


Heimkehr nach Düsseldorf: Zeit für den Sohn

Kurz nach meiner Rückkehr nach Düsseldorf zogen mein Mann und ich um in eine schöne und größere Wohnung. Die Zeit verging, ich war 32 und wurde nach drei Jahren wieder schwanger. Ostersamstag kam unser Sohn zur Welt (übrigens bin ich auch Ostersamstag geboren), daher gaben wir ihm den Namen Pascal. Der kleine Pascal wurde krank und musste zwei Monate im Krankenhaus bleiben. Die Zeit war hart, denn wir durften nicht zu ihm und konnten ihn nur durchs Fenster sehen. Dann endlich, im Juni ´75 konnten wir ihn schließlich mit nach Hause nehmen und ihn glücklich in unseren Armen halten!

Ich blieb fast vier Jahre mit dem kleinen Mann zu Hause, bis er in den Kindergarten kam. Damals gab es keine Krippen und all diese Möglichkeiten, wie Müttergruppen oder Gesprächskreise, die heute zur Unterstützung junger Mütter existieren. Meine Familie wohnte zudem weit weg, so war ich auf mich allein gestellt und das war oft nicht leicht. Eine nette Nachbarin aus dem Haus passte morgens ab und zu auf Pascal auf. Aber unsere Freunde wohnten nicht in der Nähe und ich hatte kein Auto, um z. B. zu einer guten Freundin nach Oberhausen zu kommen. So trafen wir uns nur am Wochenende mit anderen Familien. Auf dem Spielplatz waren natürlich noch andere nette Mütter. Meistens fehlte mir aber die Zeit, um gemütlich mit ihnen auf der Bank zu sitzen und zu plaudern, denn mein Sohn war sehr lustig und pfiffig, er war unablässig in Bewegung und ich war immer die einzige, die nicht sitzen konnte, weil ich ständig auf der Suche nach ihm war: „Wo ist mein Kind? Wo ist mein Kind?“ Pascal kannte die ganze Welt rund um den Spielplatz, insbesondere die kleinen Gärten - und die Mama rannte nur. Glücklicherweise kümmerten sich manchmal ein paar ältere Mädchen um ihn, so hatte ich ein paar Minuten Luft. Später spielte er Fußball und ich sah ihm auf dem Fußballplatz zu. Pascal wuchs dreisprachig auf, da mein Mann und ich uns anfangs auf englisch unterhielten. Benny sprach zwar ein hervorragendes Deutsch, das er am Goethe-Institut in Delhi gelernt hatte, aber Englisch fiel mir leichter.


Deutscher Pass für Pascal

Unser Sohn war im indischen Pass seines Vaters mit eingetragen. Das war zu Reisezwecken sehr kompliziert und zeitaufwändig und da für jede Reise nach Frankreich oder Belgien ein Visum benötigt wurde, versuchte ich, einen eigenen Pass für ihn zu beantragen, was allerdings abgelehnt wurde. Die einzige Lösung war, dass wir alle drei die deutsche Staatsangehörigkeit beantragten. Meinem Mann gefiel diese Idee anfangs gar nicht. Er plante zwar nicht, wieder nach Indien zu gehen – eher vielleicht nach Amerika –, aber er war durch und durch Inder und sah sich nicht als Europäer. Er meinte, es passe doch gar nicht zum ihm und seinem indischen Aussehen, ganz anders als zu mir, die ich mit meinen blonden Haaren und blau-grünen Augen natürlich europäisch wirkte. Letztlich konnte ich ihn mit praktischen Argumenten überzeugen. So wurden wir eines Tages alle drei Deutsche und Pascal erhielt seinen eigenen Pass.


Engagement und Geldverdienen

Um unter Leute zu kommen engagierte ich mich unter anderem bei Amnestie International und leitete eine eigene Gruppe; wir trafen uns alle ein bis zwei Wochen, immer abends, diskutierten, informierten, klärten auf... Allerdings nahmen mich die Geschichten der unter der Pinochet Ära in Chile und der im Iran verschwundenen Menschen so sehr mit, dass ich meine Arbeit aufgeben musste. Archäologie, mein Studientraum von damals, blieb ein geliebtes Hobby. Der älteste Bruder meines Mannes, Borda, der Museumsdirektor, ermöglichte mir, mich wieder stärker mit Archäologie zu beschäftigen. Er sandte mir englische Dokumente zu, damit ich sie ins Französische übersetzte und sie in einem französischen Verlag veröffentlicht werden konnten. Thema war z. B. „der Kult des Phallus“ und alles Mögliche, was für ihn wichtig war. Eine Zeitlang gab ich Unterricht an der VHS, bei Inlingua und Berlitz und dabei versuchte ich immer genügend Zeit für unseren Sohn zu haben. Während der Sommerferien fuhren Pascal und ich nach Frankreich zu Nelly, viele Jahre verbrachten wir die Zeit zusammen in Channay, in der Nähe von Tours. Das war herrlich. Ich konnte pausenlos Französisch sprechen und stundenlang mit Nelly über unsere Vergangenheit reden.


Irgendwann wurde mein Mann sehr krank und musste zwei bis drei Mal ins Krankenhaus. Am Ende fanden wir für ihn eine kleine Wohnung bei mir gegenüber, so dass er seinen Sohn täglich sehen konnte. Die beiden kochten am Wochenende oft bei mir zusammen indisch. So blieb es, bis mein Mann vor etwa 15 Jahren wieder krank wurde und im Krankenhaus verstarb.


Koreanisches Abenteuer

In der Zwischenzeit wartete bezüglich meiner Arbeit ein neues Abenteuer auf mich. Ein Bekannter von mir befand sich im Zug Frankfurt-Düsseldorf und lernte während der Fahrt einen gewissen Mr. L., Koreaner und Direktor einer koreanischen Firma in Düsseldorf kennen. Mr. L. erzählte meinem Bekannten, dass er „verzweifelt“ aber bisher erfolglos eine Mitarbeiterin mit sehr guten Englischkenntnissen für das Büro in Düsseldorf suchte. Mein Bekannter dachte an mich und ein paar Tage später rief Mr. Lee mich an.

Kurz danach trafen wir uns in der Firma, die anderen Herren aus Korea wurden mir vorgestellt (es gab übrigens nur Herren). Unser Gespräch dauerte ca. eine Stunde, dann bot mir Mr. L. eine Stelle an.



Die koreanischen Kollegen

Foto: Madeline B.


Mir war klar, dass es sich um eine Herausforderung handelte, nicht nur wegen der Mentalität, sondern auch bezüglich meiner Tätigkeit. Kurz gesagt, ich sollte das Büro leiten mit allem was dazu gehört: Behördengänge, Schule für die Kinder, Wohnungen...

Da die Herren kein Deutsch sprachen, musste alles übersetzt werden. Koreaner sind relativ kompliziert und verlangen sehr viel von einem. Man musste pünktlich in der Firma sein, wusste aber nie, wann man wieder rauskommt. Und hin und musste ich meinen Sonntag opfern. Aber ich tat es gerne.

Es war eine gute Erfahrung, die alles von mir verlangte. Ich begann, mich in diese, für mich ganz neuen Kultur langsam einzufügen, dank meines wunderbaren Kollegen Mr. Ahn. Dieser bemühte sich seinerseits, die deutsche Mentalität zu verstehen und sich anzupassen.

Was für ein Glück für mich! Durch ihn fand ich mich besser zurecht in dieser schwierigen Lage, er sprach Englisch und sogar Deutsch. Ich lernte seine Familie kennen und einige Male wurden mein Sohn und ich bei der Familie Ahn zum Essen eingeladen. Das Essen schmeckte köstlich und wir verbrachten schöne Stunden zusammen. Als ich aufhörte zu arbeiten weinten wir beide, Mr. Ahn und ich, wir mochten uns so sehr und ich denke heute noch oft an ihn, an seine Frau und seine beiden Söhne und ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass sie alle gesund und glücklich sind! Mr. Ahn war bzw. ist einer der besten Menschen, die ich je in meinem Leben getroffen habe. So endete mein „Koreanisches Abenteuer“.


Spanien, oh Du schönes Land!

In der Zwischenzeit war auch mein Vater verstorben und mein Sohn in eine eigene Wohnung gezogen. Meine Mutter und ich mochten die Kälte immer weniger und da sie in Belgien lebte und dies auch nicht vorhatte zu ändern, entschieden wir uns, ab Ende September 2003 für 6 Monate gemeinsam nach Spanien zu ziehen. Spanien, das Land von Don Quijote, von süßen Orangen, von wunderbarer Kultur und von Sonne und Wärme, wie sehr ich Dich liebe.


Ich flog das erste Mal nach Alicante an die Costa Blanca, traf da auf Mutter und fuhren von dort zu unserem Ziel mit dem Bus. Eine Freundin meiner Mutter, die schon seit 20 Jahren in Spanien lebte, hatte für uns ein Quartier gefunden und erwartete uns. Unsere Unterkunft war ein Aparthotel mit Restaurant, Swimmingpool, Garten, Terrasse und Bar. Die „apartamentos“ hatten sogar Zentralheizung - im Winter das Wichtigste für Mama und mich. Dort herrscht zwar ein Micro-Klima, aber manche Wintertage können ganz schön frisch, sogar kalt sein, hauptsächlich früh morgens und abends. Am Tag, wenn die Sonne herauskommt, so ab 10 Uhr, kann es sich bis auf 18° C erwärmen (nicht immer, man muss sich auch mit 14°-15° C zufriedengeben, immerhin, besser als die Winter hierzulande).


Das Wetter war wunderbar, so ein gutes Klima, viel Sonne auch im Winter, genau das wollten wir doch. Die Luft ist gut, der Himmel fast immer blau (es sei denn, es regnet – das aber nur ein bis zwei Tage, länger so gut wie nie). Das Meer schien mal grün, mal blau, mal grau und es gibt zwei etwa 7 km lange Strände, die durch die Altstadt getrennt sind. Der Sand ist weiß und sehr fein. Es dauerte nur ein paar Tage bis wir uns eingewöhnt hatten. Wie glücklich man sein kann, wenn man Sonne, Meer und Palmen hat anstatt Kälte und ständigem Regen. Es gab allerdings ein kleines Problem: Weder meine Mutter noch ich sprachen Spanisch. Ich ging zum Rathaus und erkundigte ich mich, wie, wo und wann man einen Spanischkurs für Ausländer belegen konnte.Bald konnte ich zwei Mal pro Woche zur Schule gehen.


Die Klasse, bestand aus Leuten verschiedener Länder: Holländer, Engländer, Russen, Afrikaner, die alle Spanisch lernen wollten. Ich fand es aufregend, denn wir durften uns während des Unterrichts ausschließlich auf Spanisch „unterhalten“, wenn auch nur mit zwei bis drei Worten. Es machte mir es sehr viel Spaß, außerdem hatten wir eine fantastische Lehrerin, Teresa, die uns ihre Sprache wunderbar vermitteln konnte. Jeder von uns ging gerne zur Schule und nach dem Kurs gingen wir zusammen einen Kaffee trinken. Dann sprachen wir unter uns meistens Englisch. Es war eine schöne Zeit.


Für meine Mutter wurde auch eine Lösung gefunden. Wir kannten eine Spanierin, Constanza, die relativ gut Französisch sprach und sie fand in der Bibliothek einen Raum, wo sie Spanisch für Frankophone unterrichten konnte, somit fing meine Mutter mit fast 84 Jahren ebenfalls an, Spanisch zu lernen.


Wir machten uns das Leben so angenehm wie möglich: zwei Mal pro Woche ging meine Mutter abends tanzen. Sie liebte das Tanzen sehr, schließlich hatte sie früher – auch im Opernhaus – Ballett getanzt. Es war immer amüsant, wenn Mama tanzen ging. Ihr Tanzpartner hieß „Peter“, war ein in Spanien lebender Neuseeländer, der genau wie meine Mutter für sein Leben gern tanzte. Es war eine sehr schöne Zeit – meine Mutter lebte wieder auf und freute sich ihres Lebens. Ich blieb meistens zu Hause, las oder guckte Fernsehen und verbesserte so meine Spanischkenntnisse.


Selbstverständlich lernten wir mit der Zeit auch verschiedene Leute kennen. Zum Beispiel Wendy, eine sehr nette und angenehme, hübsche Frau. Da sie damals allein war, verbrachte sie ihre Zeit gern mit uns und erzählte uns von ihrem Liebeskummer; sie mochte meine Mutter besonders gern und vice versa. Mit ihrem kleinen Auto fuhren wir durch die Dörfer und entdeckten dadurch die schönsten Ecken der Costa Blanca.


Dann gab es Peter, den Neuseeländer, Deanna, Muriel, Maria, alle wurden Freunde - leider sind viele von ihnen inzwischen verstorben. Bei schlechtem Wetter versammelten wir uns meistens in unserer kleinen Wohnung, spielten Karten oder Scrabble, tranken Tee, Kaffee und später einen Schluck Wein. Maria brachte einen Berg Crêpes mit und wir verbrachten herrliche Stunden zusammen und es wurde viel gelacht.


Nach Beendigung des 2. Spanischkurses war ich in der Lage, mich zu verständigen und konnte mich einigermaßen mit Spaniern unterhalten – zumindest solange sie nicht in ihrer normalen Geschwindigkeit sprachen.


Zurück in das Jahr 2004: Eines Tages im Mai – Mama hatte Namenstag – gingen wir in ein Restaurant. Nach dem Essen ging Mama zu den Toiletten und kam zu meiner Beunruhigung nicht mehr zurück. Ich suchte sie: Sie war die Treppe heruntergefallen und kam nicht mehr durch eigene Kraft hoch. Sofort kamen zwei Mitarbeiter und halfen ihr aufzustehen und die Treppe hochzusteigen. Sie hatte sich ganz schön weh getan und war noch zittrig von dem Schock.


Als wir draußen waren, kam ein großer blonder Spanier auf uns zu, er war einer der „Helfer“, der am Strand arbeitete. Seine Arbeit bestand darin, sich dort um verschiedene Problemfälle zu kümmern, wie Unfälle, verlorene Kinder, Polizei oder Ambulanz herbeirufen etc. Sofort half er meiner Mutter, sich hinzusetzen und rief einen Arzt an. Mama wurde ins Krankenhaus gefahren und geröntgt. Zum Glück fand man „nur“ einen kleinen Riss in der Hüfte. Sie konnte Laufen, also gingen wir am nächsten Tag wieder zu unserem üblichen Sektor an den Strand. Mama ruhte in ihrem Liegestuhl, als der große Blonde vom Vortag sich erkundigte, wie es Mutter ging. Die Verständigung war etwas schwierig, sein Englisch war nicht besonders gut, Mamas Spanisch ebenso wenig, aber irgendwie war die Sympathie zwischen den beiden groß. Einen Tag später kam er mit einer neuen Salbe für meine Mutter wieder, eine bessere, meinte er, sie sollte sich die Salbe schön einmassieren. Mama war von ihm so angetan, dass sie seinen Namen wissen wollte. „Jesús“ sagte er. Mutter fiel fast von ihrem Stuhl und erwiderte: „So ein Zufall, wir haben ein „Bibel Remake“, denn meine Tochter heißt zufällig Marie-Madeleine (Maria Magdalena)!“ Zufälle gibt es in der Tat.

Meine Mutter war so begeistert von Jesús, dass sie mich ständig aufforderte, mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen, sozusagen aus „Dankbarkeit“ für seine Liebeswürdigkeit; ich denke, dass sie einen Ersatzsohn für sich gefunden hatte, da sie meinen Bruder nicht sehr oft sah und wenn, nur ganz kurz.


Anfangs war ich nicht so interessiert daran, mich mit Jesús zu treffen. Ich wollte lieber im Meer schwimmen, die Sonne genießen und sicherlich nicht an Männer denken! Aber Mama hatte recht, dieser Mensch, der außerordentlich nett war, hatte es verdient, dass man ihm etwas „zurückgab“ - sei es nur einen Kaffee. Außerdem meinte meine Mutter, er sei nicht nur nett, höflich und aufmerksam, er sähe auch noch gut aus (was ich bis dahin nicht richtig festgestellt hatte). Also ging ich doch mit ihm nach seiner Arbeit aus, um irgendwo ein Bier trinken. Die Situation war schon ulkig, da wir uns kaum verständigen konnten. Ich hatte ein kleines Wörterbuch bei mir und versuchte damit etwas zu „formulieren“, was mir nicht sehr gut gelang. Im Lokal bestellte Jesús die Getränke, setzte sich neben mich und plötzlich fiel sein Kopf auf meine Schulter und er schlief ein - er hatte 10 Stunden gearbeitet, war die ganze Zeit auf den Beinen gewesen und dementsprechend sehr sehr müde. Damals arbeitete er 6 Tage pro Woche und hatte nur wenig Freizeit, um sich zu erholen. Als er eingenickt war, guckte ich ihn richtig an und fand, dass meine Mutter recht hatte... er sah gut aus! Nach ein paar Minuten erwachte er und trank sein Bier. Danach gingen wir ein wenig spazieren.


Es wurde schon Abend, die Sonne schien rot am Horizont, die Luft war warm aber angenehm frisch. Ich fühlte mich jung, fast wie ein Mädchen, das ein „Rendez-vous“ hatte und das mit 62 Jahren! Plötzlich nahm Jesús zärtlich meine Hand und seufzte einen „muy bien“ (sehr schön) dabei. Und da war es mit mir geschehen... dieser Mensch hatte meine Seele berührt und bis heute bin ich auf keine andere Erklärung gekommen. Das ist fast 16 Jahre her. Wie dem auch sei, ich ging ganz brav „nach Hause“.



Madeleine und Jesús

Foto: Madeleine B.


Wieder in Deutschland: Sehnsucht und Verliebtsein

Zwei Tage später flogen wir zurück nach Hause, ohne Jesús nochmal gesehen zu haben. Er hatte mir zwar seine Telefonnummer gegeben, ich rief ihn aber nicht an. Zurück in Düsseldorf hatte ich viel zu tun. Nach 6 Monaten hat man allerhand Post zu lesen und Sachen zu erledigen. Mein Sohn kümmerte sich immerhin um die Blumen und sorgte schon dafür, dass in der Wohnung alles soweit in Ordnung blieb (abgesehen vom Staub...).

Ich fühlte mich aber nicht wohl, war unruhig und kam mir selbst fremd vor. Etwas war mit mir passiert, was ich mir nicht direkt erklären konnte. Da rief mich eine Freundin an, sie wollte wissen, wie es mir ging und wie der Urlaub gewesen war. Nervös erklärte ich ihr, dass ich mich „komisch“ fühlte und plötzlich fing ich an zu weinen. Nachdem sie einiges gefragt hatte, sagte sie einfach: „Madeleine Du hast Dich doch verliebt!“

Ich wollte es nicht glauben, nichts davon wissen, in meinem Alter? Es schien mir unmöglich, aber gleichzeitig, spürte ich, dass sie die Wahrheit erfasst hatte. Was tut man in so einem Fall? Meine Freundin sagte mir: „Du musst so schnell wie möglich zurück nach Spanien fliegen und Dir Klarheit verschaffen, so kannst Du nicht weitermachen, denn die Ungewissheit ist schlimm. Du musst wissen woran Du bist.“ Ich dachte kurz darüber nach und entschied mich, zurück nach Spanien zu fliegen, zwar mit Herzklopfen und dem Gefühl, dass ich mich wie ein Teenager benahm, aber für meinen inneren Frieden musste das sein.


Also buchte ich sofort einen Flug und flog im Juni 2004 zurück nach Alicante. Ich hatte eine ganz kleine Wohnung für zwei Wochen gemietet, wusste aber noch nicht, wie ich verfahren sollte, um Jesús wieder zu sehen. Sollte ich es lieber sein lassen? Ich wollte aber wissen, was mit meinen Gefühlen passiert war und überhaupt - was war mit mir passiert? Er sagte mir etwas, was ich nicht verstand, aber immerhin verstand ich, dass ich ihn um 19 Uhr bei der Arbeit abholen sollte. Es gab jetzt kein Zurück mehr, ich musste hin.


Wir gingen in der Altstadt, um dort etwas zu trinken und Tapas zu essen. Aber plötzlich fragte er mich: „¿Qué quieres?“ (Was willst Du überhaupt?) Oh Gott, ich war wie gelähmt, was sollte ich auf so eine Frage antworten? Ich fühlte mich schrecklich, fand keine Worte und wusste auch nicht, was er wirklich meinte, da die Sprachbarriere immer noch zu groß war. Dann endlich, mit meinem wenig Spanisch, wagte ich zu fragen, ob er Lust hätte, sich nochmals mit mir zu treffen.

Oh Himmel, er sagte JA! Im Grunde wusste ich von ihm privat nichts, außer, dass er geschieden war und eine erwachsene Tochter in Andalusien hatte. Trotzdem konnte ich nicht so vernünftig sein und ihm Adieu zu sagen, warum auch immer, es ging einfach nicht. Also trafen wir uns hin und wieder. Die zwei Wochen gingen zu Ende und ich flog zurück nach Düsseldorf mit einem seltsamen Gefühl im Bauch. Ich wusste, dass ich zurückkommen würde, und zwar spätestens im September - wir sprachen aber nicht über „später“.


Es war im September, als Mutter und ich wieder nach Spanien geflogen waren und uns erneut in unserer kleinen Wohnung mit unseren Freunden befanden, meinte Mutter beiläufig: „Du wirst sehen, Jesús finde ich ohne Probleme wieder.“

Was meinte sie damit? Zwei bis drei Tage später gingen wir zum Strand, wo wir Lisa trafen. Lisa ist Engländerin, sie ist mit einem Spanier verheiratet, arbeitet heute noch als Inspektorin und spricht perfekt Spanisch. Wie üblich unter Spaniern, umarmten wir uns und dann erfuhr ich, was meine Mutter sich hatte einfallen lassen. Sie hatte an die Polizei-Behörden geschrieben, die Geschichte ihres Unfalls erzählt und dass sie Hilfe von einem so netten Helfer namens Jesús bekommen hatte und dass sie wünschte, ihm ein Geschenk zu machen. Sie wüsste aber weder seinen Nachnamen, noch seine Adresse und ob man ihr diese Informationen zukommen lassen könnte und zudem den Brief, der auf Englisch geschrieben war, übersetzen würde.

Zufälligerweise hatte Lisa den Brief an Jesús übersetzt! Zwei Tage später drängte meine Mutter: „Komm mit, wir suchen ihn, ich möchte ihn unbedingt wiedersehen.“

Ich sah meine Mutter auf ihn zugehen und auf seine Schulter klopfen. Die Überraschung war groß, er guckte verwirrt, nahm Mama in die Arme und fragte: „¿Dónde está Madeleine, dónde?“ (Wo ist Madeleine, wo ist sie?) Ich trat aus meinem Versteck und ging zittrig auf ihn zu. Er gab mir einen Kuss links und recht (vor anderen Menschen ist er in dieser Hinsicht immer sehr reserviert) und sagte: „Schön Euch zu sehen, bleibt doch ein wenig hier.“

Mama

fragte, wie es ihm ginge und er antwortete: „Viele Probleme, Mama,“ und sah in der Tat sehr besorgt aus. Wir luden ihn zu uns ein, damit wir uns besser unterhalten konnten. Mama fragte ihm ein Loch in den Bauch (das konnte sie...) und so erfuhren wir, dass er etwas an der Lunge hatte und unter Asthma litt.


Wir erfuhren auch, dass er Beethoven sehr mochte und sehr gut zeichnete, dass er seine Mutter sehr geliebt hatte und sie bis zu ihrem Tod gepflegt hatte. Bei ihm zu Hause waren sie 8 Geschwister, der Großteil war schon aus dem Haus, den Vater sahen sie nur einmal im Jahr an Weihnachten, da er außerhalb Spaniens arbeitete. Meine Mutter wurde schnell eine Art „Ersatzmutter“ für ihn. Wir lernten einen Bruder und eine Schwägerin kennen und bekamen so eine vage Idee von seiner Familie, die zum größtenteils in Toledo wohnt, seiner Geburtsstadt. Im Dezember, kurz vor Weihnachten erfuhren wir, dass er zur Kur musste. Wir sahen ihn lange nicht, er schrieb zwar Briefe und schickte immer Zeichnungen mit, und ich antwortete fleißig. Zwei bis dreimal pro Woche rief er an, immer ein paar Minuten, immer um die gleiche Zeit - für nichts auf der Welt hätten wir seinen Anruf verpassen wollen!

Wir fühlten uns ihm so sehr verbunden. Dann mussten wir zurückfliegen, ohne ihn wiedergesehen zu haben. Ich bekam Anrufe von ihm in Düsseldorf, wie gesagt, immer nur ein paar Minuten, während derer ich versuchte, ihn aufzubauen, in der Hoffnung, dass wir uns irgendwann bald wiedersehen würden. Bis dies geschah, dauerte es sehr lang. Auf einmal hörten wir nichts mehr von ihm, er war verschwunden. Wir sprachen mit seiner Schwägerin, der Gattin seines ältesten Bruders, der kurz davor verstorben war. Sie berichtete uns von seinen Sorgen, doch leider hatte auch sie in der letzten Zeit nichts von ihm gehört. Aber wir wollten ihn nicht aufgeben – er gehörte zu uns.


Die Zeit verging und verging, und eines Tages, wir waren wieder in Spanien, hörte ich jemand rufen: „Madeleine geh zum Balkon und guck, wer da unten ist!“ Ich trat heraus und sah – ihn – etwas dicker, auch im Gesicht - wahrscheinlich durch die Medizin, die er hatte nehmen müssen. Ich lief runter und lachte vor Freude. Später gingen wir, Mama, er, sein jüngerer Bruder, die Schwägerin und ich ins Restaurant zum Essen. Ich freute mich, obwohl ich spürte, dass etwas anders war als sonst. Jesús war sehr ernst und ein wenig distanziert, sprach kaum und ich wagte nicht, zu fragen.


Auf dem Heimweg erklärte er uns, dass er keine Arbeit mehr habe. Während seiner langen Abwesenheit hatte man einen Ersatz gefunden. So ist es in Spanien eben in manchen Bereichen. Es war nichts zu machen, ich sollte versuchen, alles zu vergessen, was gewesen war, es tat weh, aber zu jener Zeit sah ich auch keine andere Lösung.


Mutter und ich waren nie besonders froh nach Hause zurückzukommen, sie nach Belgien und ich nach Düsseldorf, das Leben in Spanien gefiel uns besser. Das Klima spielt natürlich eine enorme Rolle und wir kamen auch mit dem Charakter der Spanier ziemlich gut klar. Sie haben zudem viel Respekt Senioren gegenüber, das gefiel meiner Mutter natürlich sehr – und mir übrigens auch. Außerdem freute uns die Ausgelassenheit der Einheimischen. Es gibt jederzeit „Fiestas“ in Spanien: „Los Moros y Christianos“, „La Fiesta Medieval“, „Las Fallas“ usw. Diese Feste sind wirklich sehr schön und man fühlt sich in eine andere Epoche versetzt. Die Spanier sind meistens fröhlich und feiern gern und viel. Ich habe es immer genossen.


Wegen der Wirtschaftskrise sind leider viele Leute heute nicht mehr ganz so lebenslustig wie früher, zu viele haben ihre Arbeit verloren, manche sogar ihr Haus, können nicht mehr zum Zahnarzt gehen etc. Sie versuchen trotz allem, ihre Misere nicht zu zeigen und meckern extrem wenig.


Ende 2008 kam unsere Krise, die alles veränderte: Mama fiel im Bus, der wegen eines Motorradfahrers, der ihm den Weg schnitt, stark bremsen musste. Sie musste zum Röntgen ins Krankenhaus. Angeblich hatte sie nichts außer Quetschungen und blauen Flecken, die ihr allerdings starken Schmerzen verursachten. Der Arzt gab ihr Pillen gegen die Schmerzen, die ihr aber nicht bekamen. Gehen konnte sie nicht, sie blieb den ganzen Tag auf dem Sofa. Kurz vor Weihnachten war sie sehr schwach. Ich rief den Arzt an, er sollte bitte kommen, meine Mutter kam mir irgendwie „merkwürdig“ vor. Der Doktor kam und stellte fest, dass Mama uns verlassen hatte. So stand ich da, ganz allein!

Ich wusste, dass meine Mutter in der Sonne unter Palmen für die Ewigkeit ruhen wollte, also nahm ich alles in die Hand und organisierte ihre Feuerbestattung in Spanien. Dann kam endlich mein Bruder und später mein Sohn. Im Januar flog ich wieder nach Düsseldorf. Dann fing die Arbeit an: Notar, Formalitäten aller Art, Wohnung aufräumen, zum Verkauf aufgeben etc. Das Ganze dauerte fast ein Jahr, bis mein Bruder und ich alles geregelt hatten.


In der Zwischenzeit war die Wirtschaftskrise im Gange und als ich zur Bank ging, erfuhr ich, dass ich etwa die Hälfte meiner Ersparnisse, wofür ich so viel gearbeitet hatte, weg war. Aber das Leben geht weiter, egal wie. Meine Mutter war nicht mehr da, aber meine Liebe zu Spanien war nicht mit ihr gestorben.


Es zog mich wieder in den Süden, und ich traf Jesús, was mir wichtig war, denn nachdem so viel passiert war, wollte ich nicht gern allein sein und wir hatten, dank meiner Mutter, in gewisser Art eine Beziehung zwischen uns aufgebaut. Meine Wohnung lag vor einem Park am Meer. Das war und ist mein liebster Platz, es gibt dort Palmen, Blumen, Bänke und Künstler aller Art. Viele Feste finden in diesem Park statt, nicht weit entfernt von dem kleinen Hafen des Ortes. Und genau da trifft man auf Menschen aus Galicien, Kantabrien und Asturien, die alle zusammen Lieder aus Nordspanien singen. Auf der anderer Seite wird mit einer Sportlehrerin und Musik Gymnastik gemacht und jeder kann gratis teilnehmen. Es lässt sich leichter leben und man kann seine Sorgen wenigstens eine Zeitlang vergessen, wenn man die Sonne genießen kann und die Menschen um einen herum gut gelaunt sind und sich darüber freuen, im Urlaub zu sein.


Schön und gut, jetzt war es mir leider nicht mehr möglich, jedes Jahr 6 Monate dort zu verbringen, wie ich es mit meiner Mutter gemacht hatte, denn davor gab es zwei Renten, jetzt nur noch eine: meine. Das erste Mal, nachdem meine Mutter verstorben war, habe ich es mir noch geleistet. Danach flog ich meistens ein bis zwei Mal im Jahr für drei bis vier Wochen außerhalb der Hauptsaison hin, wenn die Mieten nicht mehr so hoch waren. Jesús versuchte wieder, eine feste Anstellung zu finden, erfolglos, sein Alter war ein Handicap. Es frustrierte ihn sehr.


Trotzdem unternahmen wir gemeinsam eine Reise nach Toledo. Toledo ist wunderbar. Vor ein paar hundert Jahren war diese Stadt die Hauptstadt Spaniens, in der Juden gemeinsam mit Christen und Muslimen in Frieden lebten. Es ist auch die Stadt des Malers „El Greco“, man kann dort sein Museum besichtigen. Da Jesús aus Toledo stammt, konnte er mir alles zeigen und erklären und das war so viel schöner, als hinter einem Stadtführer und einer ganzen Schlange Menschen herzugehen. Es ging noch weiter, nach La Mancha, dem Lande von Don Quichotte, wo man all die berühmten Mühlen sieht und das Gefühl bekommt, in der Zeit von Cervantes zu leben. Diese Reise mit ihm werde ich sicherlich nie vergessen.


In dem Ort, in dem ich die meisten Zeit blieb, lernte ich neue Menschen kennen, darunter drei Familien aus Asturien. Bis heute treffen wir uns dort – immer im Oktober – quasi jeden Nachmittag. Wir sitzen am Strand unter „unseren Palmen“ und sie erzählen mir, wie ihr Leben früher war, in der Zeit von Francos Diktatur, obwohl die Spanier nicht besonders gerne über dieses Kapital reden. Ich erfahre viel darüber, wie das Leben seinerzeit im Allgemeinen war, als Spanien noch relativ arm war. Wenn ich in Deutschland bin, schreiben wir uns SMS oder E-Mail. So halten wir den Kontakt, was ich sehr genieße.


2016 hatte ich das Glück eine Reise nach Granada zu machen. Ein Juwel! Die Lage mit der Sierra Nevada im Hintergrund ist traumhaft. Das ständig wechselnde Licht erzeugt eine ganz besondere Atmosphäre, fast übersinnlich. Diese Stadt ist einmalig und ich verliebte mich sofort in sie. Gern hätte ich mehr als zwei Augen gehabt, um bloß gar nichts zu verpassen, so wunderbar ist diese Stadt. Ich ging in der „Alhambra“ stundenlang spazieren und besichtigte alles, worüber ich vorher gelesen hatte – und es gibt so viel zu sehen! I


Mit meinem Freund Jesús halte ich Kontakt per Telefon bzw. SMS und wenn ich in Spanien bin, sehen wir uns jeden Tag, wir essen zusammen, treffen Bekannte beim Tapas essen und reden, reden, reden – Spanier reden viel und gern. Ich kann mir nicht vorstellen, dort zu sein, ohne ihn zu sehen und bei ihm zu sein, obwohl wir uns ab und zu auch ganz schön streiten (gehört dazu), aber ohne einander geht es anscheinend auch nicht.


Als wir uns das erste Mal über unser Alter unterhielten, erfuhr ich, dass er 15 Jahre jünger ist als ich. Er schien sich weniger den Kopf darüber zu zerbrechen als ich, wichtiger war für ihn, dass er ohne feste Arbeit meinte, mir nicht das bieten zu können, was er gerne wollte. Seine Wohnung wäre eigentlich groß genug, dass ich dort wohnen könnte, aber er hat Untermieter (natürlich Männer), damit er mit den Kosten klarkommt, somit gibt es keinen weiteren Platz für mich. Wie es weitergeht, wissen wir nicht. Der Tod wird uns irgendwann endgültig trennen, das ist sicher, aber bis dahin: „carpe diem“!


Mein Leben in Düsseldorf läuft dazwischen weiter... mein Tagesablauf besteht aus regelmäßigem Yoga, hin und wieder unterrichte ich Kinder von Bekannten, die mit Französisch Probleme haben, mal gehe ich ins Kino, treffe mich zum Kaffee oder auf ein Eis mit einer Freundin (die immer weniger werden, da einige leider schon ins Paradies gegangen sind, andere sehr von Enkelkindern oder der Familie beansprucht werden). Man muss sich immer wieder Gedanken machen, damit man nicht zu oft allein und einsam ist, immer am Ball bleiben. Durch das Internet hat man gewisse Möglichkeiten jemanden kennenzulernen, man kann recherchieren und sich weiter bilden. Mein Sohn meldet sich ab und zu zum Essen an und ich koche, was er besonders gerne hat.


Ich schätze mich glücklich, dass ich die Chance hatte, im Laufe meines Lebens so viele schöne Reisen zu machen  – auch mit meinem Mann. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich nie nach Indien gegangen  –- schon gar nicht so lange – jedenfalls nehme ich das an. Ebenso Amerika: Wäre ich dort gelandet und hätte das schöne Land erlebt, wenn er dort nicht für längere Zeit gearbeitet hätte? Who knows! Ich bin nun 78 Jahre alt und es ist, das kann man schon so sagen, ein „relativ“ langes Leben. Aus meiner Generation hatten viele Menschen nicht das Glück, so viel von der Welt zu sehen, warum auch immer, denn bei mir lag es nicht daran, dass ich sehr viel Geld gehabt hätte, es ergab sich einfach durch viele Zufälle und sicherlich auch durch meine Neugier, die immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat.


Es gibt noch eine Reihe von Erzählungen über meine Freunde, die mir ganz wichtig sind. Und auch über meine Reisen in andere fremde Städte und Länder gibt es noch einiges zu erzählen. Doch das ist eine andere Geschichte…


Auszug aus „WAS, WO, WIE ich gelebt habe …", erzählt von Madeleine B., aufgeschrieben von Madeleine B. und Anne P. (2020), bearbeitet von Barbara H. (2024)


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