Eine Frau mit Haltung und Visionen
Ruth W. geboren 1930 in Düsseldorf-Gerresheim, erlebte als Zeitzeugin eine bewegte Geschichte. Sie wuchs in schwierigen Verhältnissen auf, erlebte den Zweiten Weltkrieg und machte sich später einen Namen als engagierte Gewerkschafterin, Sozialarbeiterin und Autorin. Ihre Arbeit war geprägt von ihrem unermüdlichen Einsatz für Integration und soziale Gerechtigkeit.

Ein Leben im Wandel – Ruths Kindheit und Jugend
Mein Vater war Maler und Anstreicher und auch Polsterer, weil sein Vater eine Polsterei und ein Malergeschäft hatte. Trotzdem war es sehr schwierig Arbeit zu bekommen, denn die Menschen hatten kein Einkommen und konnten somit keine Aufträge erteilen. Meine Mutter war die Einzige, die nicht in der Kirche war. Mein Vater kam aus einer streng katholischen Familie und hat praktisch eine Freidenkerin geheiratet. Ich weiß, wenn wir zu meinen Großeltern fuhren, dann hatten wir das Gefühl, dass wir uns dafür entschuldigen müssten. 1939, am ersten Kriegstag, ist mein Vater sofort eingezogen worden und war dann ab dem 1. September 1939 Soldat. Es waren keine guten Jahre, die folgten.
Der Weg in die Unabhängigkeit
Meine Mutter war mit meiner Schwester für 1/2 Jahr in Main-Franken. Ich hatte gerade meine kaufmännische Lehrstelle bei einem Geschenkartikel-Großhandel bekommen und habe dort geschlafen und gelebt. Ich war das einzige Lehrmädchen und als 14-jährige bin ich hin und wieder von der Chefin „ausgenutzt“ worden. Ich musste öfters spülen, aber ich habe es gern gemacht und ich habe mich auch nicht ausgenutzt gefühlt, weil ich zugleich in eine andere Ebene geschaut und dadurch andere Dinge kennengelernt habe, die ich sonst nicht gesehen hätte. Wenn die Gespräche mit den Geschäftsleuten stattfanden, habe ich stets gut aufgepasst und immer ein Stückchen mehr gelernt. Fast drei Jahre habe ich in diesem Haushalt gelebt und dadurch einen Geschäftshaushalt kennen gelernt, anders als im Haushalt meiner Eltern.
Engagement für Integration und soziale Gerechtigkeit
Immer wenn ich denke, warum handle ich so oder warum handle ich so, kommt mir immer ein, weil ich in Gerresheim geboren bin. Ich bin so geworden, weil ich unter den Menschen, unter den Nachbarn und unter den Freunden in Gerresheim groß geworden bin. Ich hatte nie die Schwierigkeit, wenn ein Ausländer in meiner Nähe war. Daran muss ich immer denken, wenn wir heute über Integration sprechen, dass viele Dinge für mich normal waren, über die ich überhaupt nicht nachgedacht habe, weil es in unserer Familie alltäglich war mit Ausländern zu sprechen, umzugehen und als Freunde und Nachbarn zu haben.
Es ist die Geschichte der Gerresheimer Glashütte. Mein Opa war Glasbläser bei Heye. Ferdinand Heye war der Firmengründer, der, als er seinen Betrieb aufgebaut hatte, zugleich rund um die Hütte eine Siedlung für seine Arbeitnehmer errichtet hatte und eine Schule an der Heyestrasse und eine Kirche, die Gustav Adolf Kirche, so dass wir eine eigene Gemeinde wurden. Bei der Glashütte haben immer Glasbläser und Arbeiter aus aller Herren Länder gearbeitet. Es waren später nach dem zweiten Weltkrieg hauptsächlich die Italiener aber vorher waren schon Polen da tätig gewesen. Bevor ich in meiner Jugend ab Mitte der 30iger Jahre mit „Ausländern“ konfrontiert wurde, war mir „Fremdes“ gar nicht so fremd oder bewusst, denn von der Sprache oder dem „Aussehen“ in Kleidung, aber auch der Hautfarbe, kamen uns in Gerresheim stets Menschen entgegen, ohne dass wir dabei Nachteiliges über diese dachten. Durch die ausländischen Arbeiter konnten die Firmen die Produktion ausweiten, mussten sich aber auch um deren Betreuung kümmern in Form von Unterkünften, Werkswohnungen oder bei Umstellungen des Essens in der Kantine, wenn es um Essensangebote z.B. mit Schweinefleisch ging. Ich selbst war seit 1961 nicht nur Mitglied bei der Arbeiterwohlfahrt, sondern auch seit dieser Zeit Mitglied in der SPD Düsseldorf.
Nach meiner Prüfung zur Rechtssekretärin übte ich diese Tätigkeit im DGB-Landesbezirk aus, hatte Vertretungen auch vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf und dem Sozialgericht Essen. Dadurch bedingt konnte ich in meiner Arbeit innerhalb der Stadt Düsseldorf, z.B. im Sozialausschuss die Gelegenheit nutzen, meine Erfahrungen hinsichtlich des Zuzugs der ausländischen Arbeitskräfte mit einzubringen. Mit besonderer Freude wurden die eigens organisierten „Ausländerfeste“ angenommen, die der Begegnung dienen sollten, denn „gefeiert wird gerne miteinander“. Nur ein- bis zweimal wurde in der Philipshalle gefeiert, sonst fanden die Feste im Volksgarten statt, von Jung und Alt zahlreich besucht. Gerne habe ich dabei im Sozialausschuss die Veranstaltung mit vorbereitet, beim Fest durch das Programm geführt, bei der Musik mitgeschunkelt oder getanzt.
Nach den Beratungen im zuständigen Ausschuss beließen wir es schließlich nicht nur bei den Sommerfesten für Ausländer und Deutsche, z.B. im Düsseldorfer Volksgarten, sondern es entstand eine Zeitung für Ausländer in Düsseldorf, die wir auf meinen Vorschlag hin „Guten Tag“ in der deutschen Ausgabe nannten, dann „Guten Tag“ in der jeweiligen Landessprache „dobar dan“, „iri günler“, „buenos dias“, „buenos tardes“. In dieser Zeitung wurden alle zwei Monate die wichtigsten Nachrichten zum täglichen Leben und auch zum Arbeits- und Gesundheitsleben veröffentlicht, wobei mein kleiner Leitartikel den Tenor der Ausgabe vorgab. So erfuhren unsere „Gastarbeiter“ was z.B. hier ein Mietvertrag und eine Hausordnung bedeuten. Auch Schulfragen wurden in „Guten Tag“ besprochen, Ferienzeiten festgehalten, Impfzeiten des Gesundheitsamtes bekannt gegeben oder rheinische Festivitäten erklärt – es war eine arbeitsaufwändige, aber gut angenommene Hilfestellung.
Das Miteinander dieser Jahre ist heute fast zur Normalität geworden. Doch bei einigen Menschen ist inzwischen wieder eine latente „Ausländer-Empfindlichkeit“ herauszuhören. Erschwerend kommt heute in 2011/2012 hinzu, dass in Düsseldorf die Stahl- und Metallwerke wie auch die Glashütte in Gerresheim geschlossen sind. Die Kinder und Kindeskinder der in den 1950/60er Jahren Eingewanderten sind wie die hier Geborenen nun in derselben sozialen Situation hinsichtlich Arbeit und Einkommen etc. Unsere soziale Welt ist durch diese ganzen Verschiebungen so sehr ins Wanken geraten, dass wir wachsam sein müssen, um zu erkennen, dass nicht alles nur durch Geld zu regeln ist. Das Miteinander, den Respekt voreinander und vor der Arbeit den Kindern mit auf den Weg zu geben ist weiterhin unsere Aufgabe.
Auszug aus „Gelebte und geleistete Integration oder wir sind alle gleich – manchmal“, erzählt von Ruth W., aufgeschrieben von Barbara B., bearbeitet von Michael T.
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