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Leben im Kongo zwischen Paradies, Internat und Krieg

Zufall und Unternehmungsgeist haben Madeleine, geb. 1942 in Belgien, an viele Orte der Welt geführt, auf Kontinente wie Afrika, Amerika, Asien und Europa, die durch Veränderungen der politischen Umstände, der Umwelt, der Familie und der Liebe inzwischen einen großen Wandel erfahren haben. Auf der Suche nach Arbeit zog es nach dem Zweiten Weltkrieg (1) erst den Vater und dann ihre Familie nach Afrika – in den Kongo.


Foto: Madeleine B.


Füreinander da im Kongo

Es war ein unendlich langer Flug nach Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika, mit Zwischenlandungen in Casablanca/Marokko, Nigeria (Bundesstaat in Westafrika) und Khartum, der Hauptstadt der Republik Sudan in Nordost-Afrika.

Ich erinnere mich an den Anblick eines großen, tief in blaue Gewänder verhüllten Mannes auf einem Kamel, den ich während eines Zwischenstopps in Nigeria sah – es war ein Tuareg (2). Damals wusste ich das natürlich nicht. Sein Anblick bannte mich, insbesondere seine schwarzen Augen hinterließen bei mir, dem kleinem Mädchen, einen bleibenden Eindruck. Gott war es warm, heiß besser gesagt.


Mama, mein Bruder Jeannot und ich waren zuerst einige Tage in einem Hotel in Kinshasa untergebracht, um später mit einer kleinen Flugmaschine weiter nach Matadi, einer Hafenstadt der Demokratischen Republik Kongo, zu fliegen, wo Papa auf uns warten sollte. Da es so warm war, wollte ich nichts essen, nur trinken, trinken, trinken (ich trinke übrigens immer noch recht viel).

Na ja, irgendwann muss ich mich wohl doch dazu entschieden haben, etwas zu essen, sonst wäre ich heute nicht in der Lage diese Zeilen zu schreiben!


Wir kamen nach Tschela, ein Dorf, in dem einige Europäer lebten. Es waren etwa sieben Familien, darunter ein weiteres Mädchen, Cilly, die nebenan wohnte. Wir spielten den ganzen Tag zu dritt. Mit einheimischen Kindern hatten wir kaum Kontakt, das ergab sich nicht, sie lebten in ihrem Dörfchen und wir in unserem. Für uns Kinder gab es keine Schule. Mama gab uns Unterricht, sie hatte Schulbücher aus Belgien mitgebracht, so blieben wir nicht total „ignorant“.



Unterricht am Küchentisch

Foto: Madeleine B.


Wir lasen viel. Später brachte sie mir das Nähen bei, mit ihr habe ich mein erstes Kleid genäht. Es war meinem Vater wichtig, dass ich das lernte.


Für uns Kinder war es das Paradies

Wir lebten in einem tropischen Klima – nicht das Beste für die Gesundheit, aber die Vegetation war unglaublich grün und üppig und der Regen erst: Er war eine Wohltat. Wir Kinder rannten nur mit einem Slip am Körper durch die vielen dicken Tropfen und hatten so einen Spaß, kaum vorstellbar! Gefährlich waren für uns nur die Schlangen am Boden, ansonsten lebten wir frei und unbeschwert. Dies war ein Teil unseres Lebens, wir waren „Buschkinder“: sorglos und mit wenig zufrieden. Wir aßen Mangos, Papayas, Ananas, Banane, Guyave, Limetten, etwas, das schmeckte wie Erdbeeren - alles war praktisch vor der Tür und wuchs dort wild - was für ein Wunder.

Meine Mutter frühstückte jeden Morgen eine große halbe Papaya mit ausgepresster Limette. Ich liebe die frischen Früchte immer noch. Reife Papayas muss man in Düsseldorf, wo ich heute wohne, zwar suchen – aber für mich ist das Essen von frischem Obst eine schöne Erinnerung an meine Kindheit, ich bin damit groß geworden, da bin ich nicht so kritisch.

Die Europäer, die im Kongo lebten, egal ob Franzosen oder Portugiesen, versuchten natürlich, ihre traditionelle Küche beizubehalten. Meine Mutter hat sehr gut gekocht, nicht nur Nudeln, ein paar kongolesische Gerichte. Eintöpfe gab es auch bei uns. „Muymba“ mochte ich sehr, dafür wurden Palmenfrüchte gepresst und aus dem Saft mit Chili (Pili Pili) eine scharfe Sauce zubereitet. Dann wurde Hähnchenfleisch darin gekocht und das Ganze mit Reis gegessen. Das ist richtig typisch und wir aßen es furchtbar gerne mindestens alle zwei Wochen.

Das Nachkochen hier in Deutschland fällt mir schwer, die Zutaten finde ich wohl nur in afrikanischen Geschäften. Ein weiteres typisches kongolesisches Gericht war „Chingao“. Maniok wurde gepresst und gerollt, mehrere Tage in Wasser eingelegt, schließlich mit einer festen Panade gegessen – das stank unglaublich!

Getrunken haben wir filtriertes und abgekochtes Wasser. Die Männer, die abends ermüdet von der Hitze und der Arbeit nach Hause kamen, tranken oft einen kleinen mit Wasser verdünnten Whisky. Wir Kinder natürlich nicht. CocaCola oder ähnliches gab es für uns nur in Kinshasa, wo der Bruder meines Vaters später lebte. Ein Telefon hatten wir nicht, geschweige denn irgend etwas von dem, was heute nicht mehr wegzudenken ist: Computer, Fernseher, Handy etc.

Wir Kinder spielten halbnackt draußen, kletterten auf Bäume, Hütten wurde gebaut, in denen wir so taten, als sei dies ein Paradies. Es war unser Paradies.


Haustiere

Ja, und in Tschela gab es neben den zwei Hunden, die von irgendwo herkamen und mit denen wir spielten, „Chita“ unser Äffchen. Süß war sie, die Chita, und klug, sie war das dritte Kind im Hause. Sie imitierte uns in allem was wir taten. Saßen wir am Tisch, kam sie von „nirgendwo“ plötzlich her und stahl alles was ihr gerade gefiel und verschwand mit ihrer Beute unter dem Dach, wo sie ihre stille Zeit verbrachte (was relativ selten war). Wir hatten so viel Spaß mit ihr. Als sie von einem Pick-up überfahren wurde, weinte sogar mein Vater, es war eine kleine Tragödie.


Wir hatten einen Papagei namens „Coco“, der fabelhaft sprach. Er hatte ein ausgeprägtes Talent, andere zu imitieren. Er machte das so toll, dass wir oft nicht wussten, wer gerade sprach oder sogar lachte, es hätte genauso gut meine Mutter, mein Bruder oder jemand anderes sein können. Wir verbrachten schöne Stunden dank Coco, der immer auf der Veranda saß - und wir ein wenig abseits im Wohnzimmer (sonst hätte er nicht gesprochen). Später haben wir ihn nach Europa mitgebracht und er blieb bei meinen Großeltern.

Mit Opa, der immer sang und fröhlich war, fing sogar Coco an, Opern zu singen – köstlich. Dann gab es noch Oscar, unsere Ente. Die war groß mit dunkelgrün-schwarzem Gefieder. Sie sollte ursprünglich im Kochtopf landen (es gab selten Möglichkeiten, Fleisch zu essen). Es geschah nie, meine Mutter hätte mit Sicherheit einen Herzinfarkt erlitten - Oscar essen? Nie im Leben!


Ich hatte einmal die wunderschöne Aufgabe, eine Serval-Katze groß zu ziehen, deren Mutter erschossen worden war. Da ich noch mit Puppen spielte, hatte ich kleine Nuckelfläschchen, so konnten wir die Milch - das heißt, Milchpulver aus Amerika, denn

etwas anderes gab es nicht - in einem Fläschchen anrühren und so die Serval-Katze füttern. Eines Tages brachte man uns ein verwaistes Gorilla-Baby: Pungu, ein Mädchen. Es blieb ein paar Tage bei uns, bevor es in einen Zoo nach Antwerpen geflogen wurde, wo wir sie ein bis zwei Jahre später einmal besuchten. Einen Gorilla konnten wir leider nicht im Haus behalten.


Impfungen, Malaria und Gelbsucht

Wir blieben drei Jahre in Tschela, dann reisten wir für ein paar Monate Urlaub nach Europa zurück, denn wir hatten Anämie. Wir waren vollgestopft mit Chinin gegen Malaria, ohne über all die anderen vielen Impfungen zu sprechen, die ich als sehr schmerzhaft in Erinnerung habe: Gelbfieber, Tse Tse etc..


Irgendwann bekam ich trotzdem Malaria und wurde sehr krank, aber dank Chinin starb ich nicht. Malaria ist eine schlimme Krankheit, bei der man häufig ins Delirium fällt. Der Kopf und die Augen schmerzen so heftig, dass man es kaum ertragen kann. Also musste ich nach Boma, dort gab es ein „Mini-Hospital“ und einen Arzt, Dr. Platel, der mich bis zur Genesung behandelte. Später landete ich wieder dort, diesmal wegen Hepatitis Epidemica, Gelbsucht. Drei Monate war ich daran erkrankt und konnte nicht zur Schule. Afrika hat schon seine Tücken.


Feuerlöschen im Dschungel

Mein schlimmstes Erlebnis war ein Abend in Tschela, als mein Vater mit lauten Rufen „Monsieur, Monsieur, vite, vite!!“ zur Löschung eines Buschfeuers gerufen wurde. Da wir Kinder bei Dunkelheit prinzipiell nie allein gelassen wurden, verpackte man uns in den Pick-up und wir holperten durch den Dschungel mit zum Feuerlöschen. Dort sah ich einen Mann auf dem Boden liegen, er bewegte sich nicht und auf meine Frage, was er denn da täte, antwortete man mir: „Il est froid“ – er ist kalt. Wie das bei dieser Hitze passieren konnte, war für mich ein absolutes Rätsel und völlig unverständlich. Zurück in meinem Bett verkroch ich mich tief in meine Decke, um zu verhindern, dass auch mir so kalt werden könnte. Ich verbrachte eine Horror-Nacht. Diesen Anblick und diese Worte haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Das war meine erste Begegnung mit dem Tod.


Meine Mutter habe ich immer als sehr glücklich in Erinnerung. Ich frage mich oft: Wie hat diese Frau das geschafft, sich dort so glücklich zu fühlen? Sie mochte das Leben im Busch, ohne dass sie dort eine besondere Aufgabe gehabt hätte. Sie besaß so wenig und war mit so wenig zufrieden. Sie hat viel geschrieben, Briefe, Gedichte, das war ihre „Leidenschaft“ und da es seinerzeit keine andere Kommunikationsmöglichkeit gab, schrieb sie fleißig an ihre Eltern und Großeltern in Europa. Jede Woche mussten wir Kinder ebenfalls Briefe an unsere Großeltern schreiben, d.h. ein paar Zeilen, denn wir wussten oft nicht, was wir erzählen sollten. Es war aber eine gute Schule und ich habe bis heute diese Angewohnheit beibehalten. Meine Weihnachtspost schreibe ich immer noch per Hand.


Schulzeit im Internat

Die Zeit verging und wir wurden älter, wir Kinder mussten zur Schule, und zwar ins Internat. Erfreut war ich nicht (meinem Bruder hat es nicht so viel ausgemacht), denn ich empfand bereits eine große Traurigkeit bei der Trennung in Belgien von Opa und Oma und den Urgroßeltern. Alternativen zum Internat gab es aber in Tschela nicht, so mussten wir nach Kinshasa, ob es uns gefiel oder nicht. Beim Abschied gab es immer viele Tränen.


Wir flogen zur Scule mit einer kleinen Maschine, die heute wahrscheinlich nur noch in einem Museum zu sehen ist. Diese Fliegerei war jedes Mal ein Abenteuer, nicht vergleichbar mit heute: Je nachdem, wie die Wetterverhältnisse waren, flogen die Koffer durch die Gegend und der Magen fühlte sich auch nicht gerade wohl dabei... Wie gesagt, dreimal im Jahr flogen wir nach Hause: in den Weihnachtsferien, an Ostern und in den Sommerferien, das heißt etwa alle drei Monate - eine lange Zeit weg von zu Hause für Kinder.


Mir fehlte meine Mutter

Ich habe meine Mutter sehr vermisst, auch wenn das Internat gut, für die Zeit ziemlich modern und die Erzieherinnen alle sehr nett zu uns waren. Disziplin gehörte natürlich zum Tagesablauf, das zu akzeptieren fiel mir aber nicht schwer, denn auch mein Vater war zuhause immer streng mit uns. Im Internat durfte bei Tisch nicht geredet werden und bei Verfehlungen gab es Kinoverbot oder man erhielt keine Erlaubnis für den sonntäglichen Ausflug ins Schwimmbad nach Kinshasa, was noch schlimmer für mich war, da ich jedes Wochenende im Internat verbringen musste und der Schwimmbadbesuch am Wochenende stets eine willkommene Abwechslung bedeutete. Meinen Bruder sah ich im Internat auf dem Gang, da durften sich die Geschwister täglich kurz treffen. Manchmal ist er auch heimlich zu mir herübergeklettert, denn er war immer schon sportlich und so konnten wir uns länger unterhalten.


Das Bedrückendste für mich dort war, dass es keine Umarmungen abends vor dem Zubettgehen gab oder ein Küsschen von Mama, keine Geborgenheit, die Kinder in diesem Alter eben brauchen. Mir fehlte meine Mutter sehr. Die Schule lag in unmittelbarer Nähe des Internats. Jeden Morgen marschierten wir zu Fuß in Reihen dort hin, ohne sprechen zu dürfen.


Freundschaften im Internat und Besuch vom König

Die Schule gefiel mir gut, denn wir waren Kinder aus vielen Nationen. In der Klasse saß ich neben einer Pakistani, die ich bewunderte. Sie hatte blauschwarzes Haar und wunderschöne große Augen. Cécile, genannt Cilly, war im gleichen Internat. Ich habe sie später in Luxemburg besucht. Sie, ihr Mann und ihre zwei Mädchen sind inzwischen Zeugen Jehovas geworden und wir haben keinen Kontakt mehr. Unter den Schülerinnen war außerdem eine wunderschöne Portugiesin, Maria Concepción, sie war immer toll gekleidet und konnte hervorragend tanzen, die Jungs waren alle in sie verschossen. Es gab Feten und große Festivitäten auf der weiten Wiese vor dem Internat.


Eines Tages kam der König der Belgier zu Besuch, Baudouin. Der Kongo stand unter belgischer Kolonialmacht (3). Dafür mussten wir alle Ballett lernen und dann wurde das Stück zu Ehren des Königs aufgeführt.

Meine Mutter nähte mir zu diesem Anlass sogar ein Tutu (4)! Ich war begeistert. Zu dieser Zeit war ich ein „Scoutgirl“, ähnlich wie die deutschen Pfadfinderinnen, und so kam es, dass König Baudouin mir sogar die Hand gab, denn die Scouts wurden alle persönlich von ihm begrüßt – er interessierte mich bis dahin nicht sonderlich, aber als er dann vor mir stand und ich seine wunderbaren violetten Augen sah, war er mir doch sympathisch.


In der Schule hatte ich eine weitere Freundin, Monique, die mit ihrer Familie in Kinshasa wohnte, also nicht im Internat. Ihr Vater war „Procureur du Roi“ (5), und ich durfte sie ein paarmal an den Wochenenden besuchen. Sonntagmorgens holte mich also ein Chauffeur mit dem Auto zum Mittagessen ab – ich war so aufgeregt! Endlich konnte ich mal etwas anderes sehen. Sie hatten ein wunderbares Haus und es waren sehr nette Leute. Ich genoss diese Ausflüge.


Kinshasa war eine schöne Stadt, sehr gepflegt, überall Blumen, Alleen, Avenuen mit schönen Häusern und Geschäften, alles leuchtete, die Häuser waren hellblau und weiß bemalt. Leider soll heute genau das Gegenteil der Fall sein.

Wir blieben mehrere Jahre lang im Internat, wo wir, wie auch in der Schule, viel Sport machen konnten, wenn wir gerade nicht lernten. Vor allem mein Bruder war sehr talentiert.


Leben in der Hauptstadt Kinshasa und im Busch

Als ich etwa 12 Jahre alt war, wohnte meine Mutter ein paar Wochen bei meinem Onkel und seiner damals schwangeren Frau in Kinshasa. So konnten wir uns häufiger sehen. Das Haus hatte einen Garten und die Nachbarn waren nette Ungarn mit einem kleinen Sohn; ich erinnere mich gut an ihren lustigen Akzent, wenn sie französisch sprach. „Draga“ nannte ihr Mann sie, das bedeutet Liebling.


Einmal musste ich in Kinshasa zum Zahnarzt, für mich war das eine Horrorvorstellung. Schon bevor die Untersuchung begann, schrie ich aus Leibeskräften. Vor lauter Angst vor dem, was da denn nun kommen würde, brüllte ich immer wieder: „Ich habe Schmerzen, ich habe Schmerzen!“– „Ja, aber deswegen bist Du doch hier...“ versuchte die nette Zahnärztin mich zu beruhigen.

Zum Schluss hat sie es dann doch geschafft und mir tatsächlich geholfen. Zu dieser Zeit lebte unsere Familie (also wir Kinder nur während der Ferien) in Mawuma, noch tiefer im Busch, in einer besseren Hütte, ohne Strom und ohne fließendes Wasser. Unser Bad nannte sich „chateau d’eau“. Dieses „Badeschloss“ bestand aus zwei Fässern mit durch Permanganat desinfiziertem Wasser, das in unsere Wanne floss, in der wir badeten.


Um Radio hören zu können, mussten wir auf Papa warten, bis er mit seinem Pick-up nach Hause kam und dann mit Hilfe eines Kabels das Radio an die Batterie des Pick-ups anschloss. So folgten wir gespannt der „Tour de France“ im fernen Frankreich, die schon existierte. Nachts aufzustehen bedeutete: zuerst raus aus dem Moskitonetz, Taschenlampe greifen, Schuhe aufklopfen und aufpassen, denn es gab Skorpione, Spinnen etc. Obwohl das Leben relativ „primitiv“ war, waren meine Eltern sehr zufrieden. Mama nähte alle meine Kleider, denn im Busch gab es kein Geschäft, man musste sich selbst helfen können, egal in welcher Lage. Und man hat sich gegenseitig geholfen, das war selbstverständlich.


Ich kann mich daran erinnern, dass meine Schulfreundin Nelly aus Boma zu uns kam, um ein paar Tage Urlaub mit uns zu verbringen. Boma war eine kleine „Stadt“, besser gesagt ein größerer Ort mit etwa tausend Europäern; dort hatten die Eltern von Nelly ein Guest-House, wo man sich traf, wie damals in den Tropen üblich. Es gab Musik und man konnte auf der Terrasse tanzen.

Bei uns in Mavuma gab es nichts außer drei europäischen Familien, uns eingeschlossen. Trotzdem fanden wir immer etwas, womit wir uns amüsieren konnten, denn wir waren Kinder und erfinderisch. Eines Tages wollte meine Mutter einen Kuchen backen. Es gab leider keine Eier mehr (und, wie schon erwähnt, kein Geschäft), Mama hatte zwar ein paar Hühner, aber an diesem Tag hatten sie wohl keine Eier gelegt. Plötzlich verschwand unsere Nelly und kam etwas später mit einigen Eiern in den Händen zurück. Woher nur? Sie lachte, sagte aber nichts. Ein wenig von unserer „Hütte“ entfernt gab es ein „Village“ (kleines Örtchen), wo Einheimische lebten; vermutlich hatte Nelly die Eier von dort bekommen bzw. „stibitzt“. Bis heute bleibt die Geschichte ungeklärt... Der Kuchen wurde aber gebacken und Nelly ist eine Freundin fürs Leben geworden.


Zwei einheimische Männer kamen regelmäßig zu uns und halfen beim Waschen, denn es war draußen so heiß, meine Mutter hätte das nie alles allein erledigen können. Mama half den Frauen des Dorfes wiederum in vielerlei Hinsicht, z. B. brachte sie ihnen bei, besser mit der Hygiene bezüglich ihrer Babys umzugehen und sie richtig zu halten. Darüber hinaus lehrte sie den Frauen die vielen Handarbeitstechniken, z. B. Stricken und Häkeln. Es wurde viel gelacht und diskutiert; Mama hatte ihre Sprache, das „Kicongo“, ganz gut gelernt, dadurch konnten sie sich über dieses und jenes unterhalten. Karneval wurde nicht ausgelassen und auf der Treppe hinter dem Haus haben wir oft gespielt So verbrachte man seine Zeit.


Madeleines Familie feiert auch im Kongo Karneval Foto: Madeleine B.


Wir konnten die langen Trennungen von meiner Mutter irgendwann nicht mehr ertragen, also suchte sich mein Vater eine neue Stelle und so zogen wir alle nach Katanga, ein Hochplateau, ca. 2.000 km tiefer im Süden. Es war die Zeit von Tschombé (Kongolesischer Politiker 1919-69). Wir lebten in einem normalen Haus, es gab ein Gymnasium und auch eine technische Schule, wo mein Vater unterrichten konnte.


Foto: Madeleine B.


An meiner Schule gab es einige wenige Kongolesen, einer von ihnen, André, war der Beste in Latein.


Die Lage im Kongo wurde gefährlich

In Katanga (6) war das Klima viel besser und es gab auch eine Universität, an der ich hätte studieren können. Aber durch den ausbrechenden Krieg im Kongo kam alles anders. Ich habe Afrika geliebt und bewahre eine gewisse Nostalgie; als die „Indépendance“ (7) anfing, war ich 18 ½ Jahre alt. Wir mussten „raus“, denn die Lage war extrem gefährlich geworden. Da die „Indépendance“ in Katanga ein paar Tage später begann als in Tief-Kongo, mussten wir nicht flüchten, sondern konnten planmäßig für unsere „Ferien“ nach Europa fliegen.


Die Lage im Kongo nahm schnell kritische Ausmaße an, nach zwei Monaten Ferien ging mein Vater zwar zurück an seine Schule, konnte aber nicht mehr länger bleiben, so schlimm waren die Zustände dort. Leider gibt es zu wenig „Mandelas“ (8) und zu viel „Mobutus“ (9) in Afrika. Was für eine Tragödie. Dem Volk geht es schlechter denn je, das Land konnte sich nach dem Kolonialismus nicht lange genug eigenständig entwickeln. Es sieht so aus, als würde sich das auch leider nicht so schnell ändern und das tut mir einfach weh.



Abschlussklasse mit Madeleine, 1. Reihe sitzend oben links

Foto: Madelieine B.


Hier noch eine kleine Anekdote

Meine Mutter, mein Bruder und ich wollten für ein paar Tage eine Freundin besuchen. Monique lebte mit ihrem Mann André auf einer Plantage tief im Busch. Es gab nur die zwei „Weißen“ dort. Das Haus, in welchem sie wohnten, sah alles andere als toll aus: Innen gab es kein Dach, so dass ich nachts die „Fledermäuse“ über unseren Köpfen hören konnte. Sie flogen ganz wild hin und her und ich erinnere mich, dass ich Angst hatte. Zum Essen gab es Antilopenfleisch und wir Kinder wollten es nicht essen, denn es schmeckte sehr intensiv und mir wurde schlecht davon. Dazu aßen wir, soweit ich mich erinnere, Kartoffeln, Reis und das, was man dort in der Natur finden kann. Etwas vom Haus entfernt gab es einen kleinen Fluss. Ich war neugierig und ging hin, schließlich musste man sich irgendwie beschäftigen.


Einige Kongolesinnen waren dort versammelt, ihre Babys in Tüchern auf dem Rücken festgebunden. Es war anscheinend Waschtag, denn eifrig wuschen sie ihre „Lélés“ bzw.

„Boubous“ und redeten und lachten laut. Als sie mich sahen, blieben sie stumm. Sie hatten, außer Monique und André, bis dahin keine „Weißen“ gesehen, geschweige denn ein weißes und noch hinzu blondes Mädchen! Sie kamen auf mich zu und guckten mich mit großen Augen an. Eine der Frauen hob mein Kleid hoch, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Nur ein Höschen trug ich und die Frauen betrachteten mich mit großer Neugier. Das blonde Haar brachte sie zum Lachen, sie fassten es an und konnten nicht verstehen, wie so etwas möglich war. Angst hatte ich keine, warum auch? Die Frauen waren friedlich und nett. Sie erzählten mir lange Geschichten, die ich nicht verstand und dann lachten wir alle zusammen. In dieser Zeit muss ich etwa 8 Jahre alt gewesen sein. Für mich war die Welt in Ordnung. Schwarz-Weiß halt.


Meine Mutter sagte einst zu mir: „Weißt Du was? Wenn ich darüber nachdenke, waren die Jahre in Afrika die schönsten meines Lebens.“ Vielleicht hatte sie schon vergessen, welche Mühsal es oft gab und wollte sich nur an das Schöne erinnern...

Adieu Afrika! Danach ging es zurück nach Belgien und anschließend nach Düsseldorf..



Alle Quellen: wikipedia.org

(1) Als Zweiter Weltkrieg (1.9.1939 – 2.9.1945) wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet. In Europa begann er mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen. …. Im Kriegsverlauf bildeten sich militärische Allianzen, die als Achsenmächte und Alliierte (Anti-Hitler-Koalition) bezeichnet werden. Hauptgegner des nationalsozialistischen Deutschen Reiches waren in Europa das Vereinigte Königreich mit dem … Premierminister Winston Churchill an der Spitze sowie (ab Juni 1941) die unter der Diktatur Stalins stehende Sowjetunion. … Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945; die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki führten zur Kapitulation Japans am 2. 9.1945. … Über 60 Staaten auf der Erde waren direkt oder indirekt am Weltkrieg beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen.


(2) Die Tuareg … sind ein zu den Berbern zählendes Volk in Afrika, dessen Siedlungsgebiet sich über die Wüste Sahara und den Sahel erstreckt. … Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind viele inzwischen sesshaft geworden. Sie zählen, bei stark schwankenden Angaben etwa 1,5 bis 2 und nach Eigenangaben bis 3 Millionen Menschen. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Aufständen der Tuareg, die sich behindert fühlen, ihre hirtennomadische Lebensweise fortzuführen.


(3) Die Geschichte der Demokratischen Republik Kongo beschreibt die Geschichte der Region, die später zum Territorium der Demokratischen Republik Kongo werden sollte. Die Grenzen wurden im Wesentlichen von der Kolonialmacht Belgien geprägt….nach drei Jahrhunderten durch den europäischen und arabischen Sklavenhandel gingen sie im Wesentlichen in einer belgischen Kolonialherrschaft unter … Nach deren Ende 1960 und einem nachfolgenden Bürgerkrieg litt das Land ab 1965 unter einer über drei Jahrzehnte währenden Diktatur. Deren Ende 1997 war zugleich der Beginn einer Folge von Kriegen, die die ehemalige amerikanische Außenministerin Madeleine Albright den „ersten Weltkrieg in Afrika“ nannte … 5,4 Millionen Menschen das Leben kostete.


(4) Das Tutu ist ein Balettkostüm in Form eines Rocks aus mehreren Schichten. …


(5) Zu Procureur du Roi: In Belgien sind der Staatsanwalt und sein Stellvertreter als Staatsanwälte vor dem Gericht erster Instanz, dem Polizeigericht und dem Gesellschaftsgericht tätig. Zusammen bilden sie die Staatsanwaltschaft.


(6) Katanga war ein international nicht anerkannter Staat auf dem Territorium von Kongo während der Kongo-Krise von 1960 bis 1963. Er umfasste die rohstoffreiche Provinz Katanga des ehemaligen Belgisch-Kongo.


(7) Zu Indepéndence: Zur Geschichte der demokratischen Republik Kongo: In der Nachkriegszeit … ließ die autoritäre Kolonialpolitik Belgiens ab den 1950er Jahren den Widerstand der Kongolesen gegen die Fremdherrschaft erstarken. Dieser war allerdings weniger als nationalistische Unabhängigkeitsbestrebungen des ethnisch heterogenen Kongo zu verstehen, sondern eher als eine gemeinsame antibelgische Bewegung. Um dieser zu entgehen, initiierten die Belgier eine Reihe von Reformen, um dem Widerstand die Spitze zu nehmen. Die Demokratische Republik Kongo wurde ursprünglich als Belgisch Kongo von einer gesetzgebenden Versammlung und regionalen Versammlungen verwaltet, in denen nur von Kolonialbehörden ernannte Europäer saßen. Gegen Ende der 1950er Jahre gab es zwar eine größere Beteiligung von Afrikanern, aber bis zur Unabhängigkeit kein volles Wahlrecht. Ab 1958 erlaubte Belgien die Gründung der ersten politischen Parteien … Ein Kongress dieser sowie verschiedener ethnisch-regionaler Parteien und nationaler Bewegungen forderte 1959 die sofortige volle Unabhängigkeit des Kongo … am 27. Januar 1960 kündigte Belgien Wahlen und Selbstverwaltung an und erklärte, dass es sich innerhalb von sechs Monaten aus dem Kongo zurückziehen werde. Das Versprechen wurde gehalten – am 30. Juni 1960 erhielt der Kongo seine Unabhängigkeit …


(8) Nelson Rolihlahla Mandela (1918 – 2013) war ein führender südafrikanischer Aktivist und Politiker im Jahrzehnte andauernden Widerstand gegen die Apartheid und von 1994 – 1999 der erste schwarze Präsident seines Landes. Ab 1944 engagierte er sich im African National Congress (ANC). Aufgrund seiner Aktivitäten gegen die Apartheidpolitik in seiner Heimat musste er von 1963 bis 1990 insgesamt 27 Jahre als politischer Gefangener in Haft verbringen. Mandela gilt als herausragender Vertreter im Freiheitskampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Er war der wichtigste Wegbereiter des versöhnlichen Übergangs von der Apartheid zu einem gleichheitsorientierten, demokratischen Staatswesen in Südafrika. 1993 erhielt er deshalb den Friedensnobelpreis. Bereits zu Lebzeiten wurde Mandela für viele Menschen weltweit zum politischen und moralischen Vorbild. Er gilt als großer afrikanischer Staatsmann im 20. Jahrhundert.


(9) Mobuto Sese Seiko Kuku Ngbendu wa Zabanga (1930 – 1997) war von 1965 bis 1997 diktatorisch regierender Präsident der Demokratischen Republik Kongo … Er kam durch einen Putsch an die Macht … ergriff das Amt des Präsidenten und verbot alle politischen Aktivitäten. Dieser Staatsstreich im Kontext der Kongowirren und des Kalten Krieges gelang nur mit substantieller Hilfe westlicher Geheimdienste und täuschte die Öffentlichkeit über die Blutrünstigkeit und Brutalität seiner Herrschaft hinweg.


Auszug aus „WAS, WO, Wie ich gelebt habe … „ erzählt von Madeleine B., aufgeschrieben von Madeleine B. und Anne P. (2020), bearbeitet von Barbara H. (2024)

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