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Faszination Indien: Die bengalische Braut

Zufall und Unternehmungsgeist haben Madeleine, geb. 1942 in Belgien, an viele Orte der Welt geführt, die durch Veränderungen der politischen Umstände, der Umwelt, der Familie und der Liebe inzwischen einen großen Wandel erfahren haben. Die Verhältnisse im Kongo hatte die Familie veranlasst, nach Belgien zurückzukehren. Erwachsen wurde Madeleine in Deutschland, die auch heute noch ihren leicht französischen Akzent hat. Die Liebe eröffnete ihr, ein neues Land kennen zu lernen: Indien


Madeleine frisch verheiratet

Foto: Madeline B.


Meine Großfamilie in Indien

Jetzt war ich mit „Indien verbunden“. Gedanken machte ich mir darüber wenige, da ich in Afrika aufgewachsen war. Das „Fremde“ machte mir keine Angst. Im Gegenteil. Ich war neugierig darauf, alles ganz genau kennenzulernen. Ich fing an, mich mehr und mehr für das Land zu interessieren. Die Kultur war mir ziemlich unbekannt, mit einem Inder verheiratet zu sein, heißt noch lange nicht, dass man die Sitten des Landes versteht.


Hochzeit mit der indischen Familie

Foto: Madeline B.


Kurz nach der standesamtlichen Hochzeit in Deutschland flogen mein Mann und ich nach Indien, ich sollte meine Schwiegereltern samt Familie kennenlernen. Ich war so nervös und neugierig gleichzeitig, wie werden mich diese Leute empfangen, werden sie mich mögen oder doch kritisieren...? So viele Fragen bewegten sich in meinem Kopf!


Würde ich Land und Leute verstehen und die indische Familie mich?

Endlich landeten wir in Neu-Delhi (1), dort wohnte der älteste Bruder meines Mannes. „Borda“, was „älterer Bruder“ bedeutet, war demnach mein Schwager und holte uns am Flughafen ab, ein seriöser Mann, vor dem ich sofort Respekt hatte. Er brachte uns zu seinem Haus, wo ich seine Frau, die ich „Didi“ nennen sollte, kennenlernte.


Auch wenn das Kasten-System (2) offiziell nicht mehr existiert, wurden diese Leute immer noch mehr oder weniger als „Elite“ angesehen. Für mich spielte das keine Rolle, ich musste zuerst anfangen, das Land zu verstehen, die Kultur, die Religion, alles war so anders. Wie sollte ich mich benehmen?

Borda und Didi waren sehr freundlich, sie wohnten in einem großen Haus am Rande des Zentrums. Borda hatte ein Auto mit Chauffeur, ein Privileg, aber er war schließlich der Direktor des National Museums von New-Delhi, daher das große Haus, das Auto etc.

Großes Haus hin oder her: Ich habe mich dort zu Tode gefroren, denn im Dezember und auch im Januar, ist es extrem kalt dort, etwa 2°C, und es gab keine Heizung im Haus. Beim Essen saßen wir in unseren Wintermänteln am Tisch. Am Tage, wenn die Sonne rauskam, wurde es mit 12° – 14°C etwas angenehmer, nachts hatte Didi uns heiße Ziegelsteine ins Bett gelegt. Und ich dachte, dass Indien immer warm, sogar heiß wäre... wie unwissend war ich doch.


Besuch des National Museums und Tempel der Mogulzeit

Wir blieben ein paar Tage dort. Borda hatte mir aufgrund seiner Position eine seiner Assistentinnen zur Verfügung gestellt, so dass ich stundenlang von der jungen Dame durch das National Museum geführt wurde und mir alles zeigen und erklären lassen konnte. Ich war ganz angetan von ihrer Freundlichkeit, verbrachte wunderschöne Stunden in ihrer Gesellschaft und lernte viel durch ihr Wissen.


In der Umgebung von Neu-Delhi gibt es eine Menge Tempel und andere Gebäude aus der „Mogul-Zeit“ (3) zu besichtigen, so dass mein Mann und ich jeden Tag „auf Tour“ waren. Wir fuhren bis Jaipur, „The pink City“, nach Agra, und und und... Sicher hatte ich davor schon über Indien (auch von Rabindranath Tagore) gelesen und viele Fragen gestellt bezüglich der Mogul-Kultur im Norden von Indien, aber was ich entdeckte, war non-plus-ultra.


Überraschung: Der Zwilling

Nachdem wir Neu-Delhi und Umgebung mehrere Tage besichtigt hatten, flogen wir nach Kalkutta (4), im Buch von Dominique Lapierre „The City of Joy“ genannt (heute: Kolkatta). Dort wohnt der Zwillingsbruder meines Mannes mit seiner reizenden Frau.

Oh Gott, wie seltsam war es für mich, plötzlich einen zweiten Ehemann vor mir zu sehen! Die Ähnlichkeit war so verblüffend, dass ich sprachlos war... gleiche Stimme, gleiches Gesicht, gleiche Gestik, ich konnte es nicht fassen und war gleichzeitig sehr irritiert. Es wurde mir erzählt, dass man die zwei Brüder früher nicht auseinander halten konnte, zumindest die Großmutter nicht.

Wenn die Kinder aus der Schule zurück nach Hause kamen, bekamen sie immer eine Tasse Milch bzw. Kakao von der Oma. Nur ein Muttermal am linken Ohr meines Mannes gab der Großmutter die Möglichkeit, die Zwillinge zu unterscheiden, so dass sie erkennen konnte, wer seinen Kakao schon bekommen hatte.


Mein Mann stammt aus einer großen Familie mit acht Kindern: sechs Brüder und zwei Schwestern. Alle hatten eine gute Schulausbildung erhalten. So wurde ich von vielen Menschen inklusive Schwiegereltern, sehr nett aufgenommen.

Ich verstand mich schnell besonders gut mit „Baba“, meinem Schwiegervater, obwohl er ein zurückhaltender Herr war, der früher als Jurist gearbeitet hatte und angeblich (laut meinem Mann) ein sehr strenger Vater gewesen war. Er sah sehr vornehm aus mit seinem langen weißen Bart und wie er mit seinen Enkelkindern umging, schien er mir ganz sanft zu sein. Ich empfand viel Respekt vor ihm, wie auch vor dem Rest der Familie. Ich versuchte, ihm entgegen zu kommen, indem ich abends „Sari“ trug, was zwar wirklich wunderschön aussieht aber relativ unbequem ist, wenn man nicht daran gewöhnt ist.


Die Hochzeitszeremonie

Mein Mann und ich wurden noch einmal gemäß dem „Hindu-Ritual“ verheiratet. Ich wurde wie eine richtige bengalische Braut angezogen (mit dem dafür vorgesehenen roten Sari) und allem, was dazu gehört: Henna, Schmuck etc., mein Mann ganz in weiß. Ein Priester sprach seine Litaneien in Hindi, von denen ich absolut kein Wort verstand. Es war keine offizielle Zeremonie, nur für die Familie und ich wurde zu nichts verpflichtet, was ganz in meinem Sinne war. Die Hindus sind in dieser Hinsicht sehr tolerant, ich wurde zu gar nichts gezwungen, man erwartete von mir gutes Benehmen, Respekt und Höflichkeit, das gab ich und bekam es auch zurück.


Wenn wir ausgingen trug ich ein „Panjabi–dress“, bestehend aus Hose und Tunika, was natürlich sehr bequem und passend war für Besichtigungen oder um in der Stadt herumzulaufen, außerdem sieht es noch gut aus!

Mit einem Bruder meines Mannes ging ich ins Theater und zu Konzerten, er war kulturell sehr interessiert. Da das Theaterstück in Bengali-Sprache aufgeführt wurde, hatte ich Bedenken, er aber nicht, denn er war überzeugt, dass es mir gefallen wurde. Er erklärte mir kurz in englisch, worum es ging und ich kam am Ende des Stückes vollständig begeistert aus dem Theater. Sprache allein ist keine Barriere.


Mein Schwiegervater: mit langem weißen Bart

Morgens wartete „Baba“ im Garten auf mich, mit der Zeitung in der Hand. Wir tranken heißen Tee und diskutierten über Gott und die Welt. Wenn mir etwas merkwürdig vorkam oder nicht gefiel, besonders bezüglich des Status der Frauen, ging ich sofort zu ihm und erklärte ihm „mein Problem“. Er nahm sich Zeit, hörte ruhig zu, überlegte und sprach erst dann.

Oft lachte er sogar, denn ich war so impulsiv und er war von seinen anderen Schwiegertöchtern nicht gewohnt, „Rebellion“ zu erleben. Als weiser Mann versuchte er aber immer, mir eine plausible Erklärung zu geben, ohne zu vergessen, mir vor Augen zu halten: „Monisha,“ (so war mein indischer Name) „I fully understand you, but India needs more time, everything will change slowly, but you will see, it will change, believe me.“ (Ich verstehe Dich, aber Indien braucht noch viel Zeit, die Dinge ändern sich langsam, aber sie ändern sich, glaube mir, Du wirst es erleben.)


Kamelritt und Schwimmen im Meer, dem Golf von Bengalen

Nach einiger Zeit verließen wir Kalkutta und flogen nach Bombay (5). Damals war „Mumbay“ schon eine moderne Stadt am Meer. Sie gefiel mir aber nicht besonders, warum auch immer, daher blieben wir nur wenige Tage dort und besuchten einen Cousin meines Mannes. Am Strand ritt ich auf einem Kamel, was mir nicht gut bekam, ich wurde seekrank. Also ging die Reise weiter nach Madras (6), heute „Chennai“. Dort lebte der zweitälteste Bruder meines Mannes mit seiner Familie. Sie wohnten in einem netten kleinen Haus nicht weit entfernt vom Meer, was für mich fantastisch war, ich liebe das Meer und das Schwimmen.


Es war warm, in Südindien ist es immer warm. Mit den zwei Nichten meines Mannes konnten wir uns in den riesigen Wellen des Indischen Ozeans austoben. Ich mochte diese Familie und fühlte mich sehr wohl bei ihnen zu Hause. Südindien ist so anders als der Norden, schon allein die Sprache, die klingt als würden sich Steine in einer Kiste wälzen (so sagen Inder, die diese Sprache nicht verstehen).

Die Hautfarbe der Menschen ist meistens wesentlich dunkler, bedingt durch die starke Sonne und die große Hitze, das Essen ist extrem scharf, damit man noch mehr schwitzt (was wiederum gesund gegen die Hitze ist). Alles in allem rühmt sich der Süden seiner eigenen Lebensart und ist ein farbenprächtiges Land. Wir blieben länger dort, wir wollten unbedingt soviel wie möglich sehen und erleben.


Faszinierende Eindrücke: Tempel und Saris und die Stadt der Düfte

Unsere Entdeckungen fingen mit „Mahabalipuram“ an, der Wiege der drawidischen Tempelbaukunst direkt am Meer. Ich war fasziniert, obwohl es mir als Nicht-Hindu nicht erlaubt wurde, die Tempel zu betreten. Aber einfach dort zu sein, gibt einem etwas Unbeschreibliches. Indien ist ein Subkontinent voll atemberaubender Schönheit (und im Durschnitt weniger dicht besiedelt als Belgien oder England.) Die Natur ist grün und üppig, die Inderinnen tragen farbenprächtige Saris und weiße Blumen im Haar... In der Tat befand ich mich in einer anderen Welt. In einem Land, 5000 Jahre alt und Wiege der unterschiedlichsten ethnischen Gruppen, Sprachen und Religionen.


Von Madras reisten wir weiter nach Mysore (7), wo rundherum die schönsten Sehenswürdigkeiten des Landes liegen. Die körperlichen und seelischen Anforderungen an einen Indienbesucher sind hoch und hin- und wieder muss man mit Magenverstimmung rechnen, aber die Reise lohnt sich dennoch.


Es ging weiter nach Bangalore (8), die Gartenstadt oder „die Stadt der Düfte“. Damals wohnten viele Engländer dort, besonders im Sommer, der in Südindien für Europäer fast „mörderisch“ ist. So entstand eine sehr britische Stadt. Heute ist Bangalore für Software und IT-Industrie weltbekannt als indisches „Silicon Valley“.


Zugfahrten auf Holzbänken: Klasse der Armen

Mein Mann und ich reisten viel mit dem Zug, da man auf diesem Weg das Land am Besten entdecken kann; auch in der dritten Klasse (Klasse der Armen) auf Holzbänken, nicht nur voll mit Menschen, sondern auch mit Hühnern etc. So trifft man sehr interessante Menschen, wie Studenten, die immer bereit waren, sich mit uns zu unterhalten. Ich sollte mal Indien wie eine „arme Frau“ erleben, sagte mein Mann und nicht nur mit meinen europäischen Augen. Recht hatte er, aber nach 36 Stunden in dieser Lage hatte ich genug und meine Knochen ebenfalls! Im Nirwana befand ich mich sicherlich nicht während dieser Reise. Insgesamt war ich drei Monate in Indien und lebte nur unter Indern, trotzdem bin ich der Meinung, dass ich nur wenig von diesem riesigen Land gesehen habe, vielleicht reicht ein halbes Leben - wenn nicht ein ganzes - nicht dafür.


Mein Sohn reiste zwei Mal nach Indien (ohne mich). Das erste Mal machte er die Reise mit der Asche seines verstorbenen Vaters, der für die Ewigkeit im Ganges ruhen sollte. So wäre es sein Wille gewesen. Durch und durch war mein Mann Inder geblieben, obwohl er perfekt Deutsch sprach, Bier trank, alles aß (auch Rindfleisch, was verpönt war bei den Hindus). Nach außen hin hatte er sich wunderbar an sein Leben in Europa, in Deutschland angepasst, ich bleibe aber der Meinung, dass er nie sehr glücklich darüber war, Indien für immer verlassen zu haben. „Om mani padme hum!“


Indien ist ein tolles Land, mit vielen Kontrasten, man liebt und hasst es gleichzeitig. Die Spiritualität dieses Landes ist einmalig, mal fühlt sich in eine andere Dimension transportiert, irgendwie, es ist schwer zu erklären; hinzu kommt die unendliche Freundlichkeit der Menschen. Es war eine Erfahrung, die ich niemals missen möchte, auch wenn ich häufig überfordert wurde.


 

Alle Quellen: wikipedia

(1) Neu-Delhi ist die Hauptstadt Indiens, Sitz der indischen Regierung, des Parlaments und der obersten Gerichte und ist ein relativ kleiner Teil der Megastadt Delhi, der mit 31,87 Millionen einwohnern drittgrößte Metropolregion der Welt (Stand 2021).


(2) Kaste bezeichnet in der Ethnologie und Soziologie ein vorrangig aus Indien bekanntes und religiös begründetes und legitimiertes soziales Phänomen der hierarchischen Einordnung und Abgrenzung gesellschaftlicher Gruppen. Heute wird es zunehmend als ein umfassendes System zur sozialen Unterdrückung gesehen. Die Einteilung nach Sozialstrukturen betrifft vor allem Status, Heirat und Arbeitsteilung… aber auch auf einzelne Gruppierungen anderer moderner Gesellschaften angewandt.


(3) Das Mogulreich war ein von 1526 – 1858 auf dem indischen Subkontinent bestehender Staat … Auf dem Höhepunkt seiner Macht am Ede des 17. Jahrhunderts umfasste das Reich fast den gesamten Subkontinent und Teile des heutigen Afghanistans … Die muslimischen Herrscher werden heute im Deutschen als „Mogul“ … bezeichnet … Er war dem Titel eines Kaisers vergleichbar…. Machtkämpfe zwischen der islamischen Herrscherkaste und der unterworfenen Mehrheitsbevölkerung der bäuerlichen Hindus begünstigten Abstieg … 1858 wurde der letzte Großmogul von Delhi von den Briten abgesetzt. Sein Territorium ging in Britisch-Indien auf. Der Nachwelt erhalten geblieben sind reiche Zeugnisse einer von persischen und indischen Künstlern geprägten Architektur, Malerei und Dichtung.


(4) Kolkata, deutsch häufig noch Kalkutta ist die Hsauptstadt … des Bundesstaates Westbengalen in Indien … mit 4,5 Millionen Einwohnern siebtgrößte Stadt Indiens. … Mit der Gründung eines Stützpunktes der Britischen Ostinien-Kompanie im Jahr 1690 wurde Kolkata zu einem Zentrum des britischen Besitzes in Indien. .. Heute ist sie Industriestadt Verkehrsknoten und Kulturzentrum mit Universitäten, Theatern, Kinos, Museen und Galerien. Der Kalighat-Tempel zu Ehren der Göttin Kalika macht die Stadt zu einem der bedeutendsten hinduistischen Wallfahrtsorte.


(5) Mumbai, bis 1995 offiziell Bombay, ist die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Maharashtra und die wichtigste Hafenstadt des Subkontinents … Das Stadtzentrum befindet sich auf einem schmalen Lanstreifen, der von der sumpfigen Küste in das Arabische Meer hineinragt. … ist das wirtschaftliche Zentrum Indiens, Verkehrsknoten und Kulturzentrum mit Universitäten, Theatern, Museen und Galerien.


(6) Chennai, bis 1996 Madras, ist die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Tami Nadu. Sie liegt an der Ostküste Südindiens am Golf von Begalen … mittlerweile auf geschätzte 6,5 Millionen angestiegen.


(7) Mysuru, eingedeutscht auch Masur … ist eine Stadt mit knapp 890.000 Einwohnern im indischen Bundesstaat Kamataka …


(8) Bengaluru ist die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Karnataka im Südwesten des Subkontinents … 11,4 Millionen Einwohner … drittgrößte Stadt Indiens … Zentrum der zivilen und militärischen Luft- und Raumfahrtindustrie und Forschung Indiens. … in jüngster Zeit auch wichtigstes IT-Zentrum des Landes … Wegen der zahlreichen Parkanlagen „Gartenstadt“ genannt.


Auszug aus „WAS, WO, WIE ich gelebt habe …", erzählt von Madeleine B.,naufgeschrieben von Madeleine B. und Anne P. (2020) bearbeitet von Barbara H. (2024)

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