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DRK statt Munitionsfabrik

Käthe, 1925 geboren und aufgewachsen in Bielefeld mit drei Geschwistern, kam als Vierzehnjährige ins Internat zu den katholischen Ursulinen, um – wie zuvor auch ihre Schwester – „den letzten Schliff“ zu erhalten. Anschließend absolvierte sie das Pflichtjahr (1), musste dann die Ausbildung zur Krankenschwester wegen Erkrankung der Mutter aussetzen. 1944/45 (während des Nationalsozialismus, 2) wurde sie zum DRK-Bahnhofsdienst eingeteilt, um durchfahrende verwundete Soldaten in der Sanitätsstelle zu versorgen. Seit 1952 lebt Käthe in Düsseldorf.



"Nicht über Glauben anderer Menschen lustig machen"

Meinen Eltern gehörte eine Lederwaren- und Gamaschenfabrik in Bielefeld. Einmal war in der Firma auch ein jüdischer Lehrling (3) eingestellt worden. Selbstverständlich war er beim Betriebsausflug dabei, wo auch ich immer mitfahren durfte. Bei Tisch aß er verschiedene Dinge nicht. Ich mokierte mich darüber. Mein Vater machte mir anschließend sehr deutlich klar, dass man sich über den Glauben eines anderen Menschen nicht lustig macht.

Ich habe den Glauben von meiner katholischen Mutter. Ich bin einfach hineingewachsen. Mein Vater war evangelisch und trat unter Adolf Hitler (4) aus der Kirche aus.

Ich erlebte, dass es ein jüdisches Mädchen in der Klasse gab, das eines Tages nicht mehr zur Schule kam, und man hörte auch nichts mehr von ihr. Im Jahre 1936 kam mein Vater eines Tages nach Hause und erzählte meiner Mutter, er kenne eine jüdische Familie, die auswandern und ihr Herrenzimmer (5) verkaufen wolle. Meine Eltern haben das dann gekauft und gut bezahlt.

"Der Führer" fuhr an uns vorbei

Auf dem Weg in die Ferien blieben wir manchmal zwei, drei Tage bei Verwandten in Berlin. So auch 1936, im Jahr der Olympiade. An einem dieser Tage hörten wir, dass Adolf Hitler eine bestimmte Straße entlangkommen sollte, und wir fuhren dorthin. Ich durfte in der ersten Reihe stehen, weil ich noch klein war.

Im chromblitzenden Auto fuhr „der Führer“ an uns vorbei, und ich habe sicher mit meinen zehn Jahren mit erhobenem Arm zum Hitler-Gruß wie alle anderen „Heil Hitler!“ geschrien.

Wohin er uns „geführt“ hat, haben wir ja dann 1945 und danach erlebt. Von ihm selbst habe ich nur in Erinnerung, dass er hässliche dunkle Zähne hatte.

Mit "Sonnenstich" eine Hitler-Rede erspart

Im Ursulinenkloster in Werl, in dem ich zwei Jahre lebte, waren Hitler-Reden Programm. Die Nonnen, da von der SA (6) beobachtet, kontrollierten, ob die Schülerinnen die Reden am Radio verfolgten. Bei Großveranstaltungen der Hitler-Jugend in Bielefeld und dann in Werl musste ich teilnehmen. Der Anlass der Feierlichkeiten interessierte mich mit meinen vierzehn Jahren nie. Einmal war es sehr heiß und ich hatte keine Lust mehr. Ich simulierte einen Sonnenstich, kam ins Lazarett-Zelt und durfte nach Hause.

Pflichtjahr 1943 und Kriegsgefangene als Arbeiter

Nach der Schulentlassung schloss sich ein Pflichtjahr an. Ich wurde auf einen Bauernhof geschickt und hatte dort Hausarbeiten zu erledigen. Für die landwirtschaftlichen Aufgaben waren Ausländer da. Die Bäuerin ging ungezogen mit den Ausländern um, sprach von ihnen als „Untermenschen“ (7). Das konnte ich nicht ertragen, erzählte es meinem Vater zu Hause, der mit mir zu der Bäuerin ging und klarstellte, dass ich aus diesem Grunde nicht mehr dort arbeiten könne.

Mehr als Tee und Trost

Mein Jahrgang 1925 wurde nicht zum Arbeitsdienst herangezogen. Wir Mädchen wurden in Munitionsfabriken oder als Flakhelferinnen eingesetzt. Beides wollte ich nicht. Deshalb meldete ich mich, wie meine Schwester, beim Roten Kreuz in Bielefeld.

Wir arbeiteten an verschiedenen Plätzen. Ich kam zum DRK-Bahnhofsdienst. Im Bahnhofsbereich gab es einen großen Luftschutzbunker. Wenn keine Arbeit im Bunker anlag, half ich mit anderen Rot-Kreuz-Schwestern auf Bahnsteig 3 in einer Sanitätsstelle und versorgte die durchfahrenden Soldaten mit Verbänden, Tee und Trost.

Einmal kam ein Soldat, dessen ganzer Unterarm eine große Wunde war, in der es von Maden wimmelte. Den Arm haben wir mit Wasserstoffsuperoxyd ausgewaschen und frisch verbunden. Einmal kam einer, dessen Hoden war weggeschossen. Er brauchte einen neuen Verband. Ein anderes Mal waren einem Bauarbeiter auf den Gleisen von einem Zug beide Beine abgefahren worden. Aber da waren dann andere zuständig.

Ich habe schon eine ganze Reihe von Menschen sterben sehen, unter allen möglichen Umständen, und ich habe sie gern dabei begleitet.

Ohne Hakenkreuz

Irgendwann im April 1945 hieß es: „Der Feind kommt!“ Wir hörten Schießereien und gingen alle voller Angst in den Keller. Keiner wusste, was jetzt passieren würde. Der Krieg war aus und fremde Soldaten zogen in die Stadt, in der Hauptsache Engländer und Afroamerikaner.

Ich hatte noch nie einen „Schwarzen“ (8) gesehen. In Rot-Kreuz-Tracht ging ich mit meiner Schwester an die Straße und wir winkten mit einem weißen Tuch (9). Am nächsten Tag kamen zwei Soldaten ins Haus, gingen durch die Wohnung und schauten in alle Ecken. Mein jüngerer Bruder hatte ein kleines Flugzeug als Spielzeug, mit Hakenkreuz (10) darauf. Das haben sie mitgenommen. Am nächsten Tag kam einer der beiden Soldaten wieder und brachte ein anderes kleines Flugzeug ohne Hakenkreuz und dazu Schokolade.

Im grauen Kittel

Mein Vater starb 1948. Er musste nach Kriegsende entnazifiziert (11) werden. Viele Leute hatten für meinen Vater gut ausgesagt. Aber seine Firma durfte er nicht mehr leiten. Die übernahm jetzt mein Bruder. Daraufhin zog mein Vater einen grauen Kittel an, stellte sich im Keller an eine Maschine – eine Stanze, die er bedienen konnte – und arbeitete dort.

Mein Vater war Nazi (12). Er war auch in der Partei. Er hat nicht geglaubt, dass die Nazis wirklich das alles taten, was man hörte, zum Beispiel "das mit den Juden (13)".

Meine Mutter war sich der politischen Umstände eher bewusst, konnte aber nicht mit meinem Vater darüber sprechen. Als mein Vater bei Kriegsende feststellen musste, dass es stimmte, hat er es nicht verkraften können. Er wurde immer weniger und weniger. Wir glauben, dass er letzten Endes daran „eingegangen“ ist.



(1) Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung erfolgte nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.

Die Mädchen und Frauen sollten so auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Darüber hinaus konnte so in vielen Haushalten die fehlende Arbeitskraft der Männer, die als Soldaten im Krieg waren, kompensiert werden. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.


(2) Der Nationalsozialismus ist eine radikal antisemitische, rassistische, nationalistische (chauvinistische), völkische, sozialdarwinistische, antikommunistische, antiliberale und antidemokratische Ideologie. Seine Wurzeln hat er in der völkischen Bewegung, die sich etwa zu Beginn der 1880er Jahre im deutschen Kaiserreich und in Österreich-Ungarn entwickelte. Ab 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde er zu einer eigenständigen politischen Bewegung im deutschsprachigen Raum.

Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gelangte unter Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in Deutschland zur Macht, wandelte die Weimarer Republik durch Terror, Rechtsbrüche und die so genannte Gleichschaltung in die Diktatur des NS-Staats um. Dieser löste 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus, in dessen Verlauf die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure zahlreiche Kriegsverbrechen und Massenmorde verübten, darunter den Holocaust an etwa sechs Millionen europäischen Juden und den Porajmos an den europäischen Roma. Die Zeit des Nationalsozialismus endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945.


(3) Juden sind Menschen einer ethnisch-religiösen Gruppe oder Einzelpersonen, die sowohl Teil des jüdischen Volkes als auch Angehörige der jüdischen Religion sein können.


(4) Adolf Hitler (geb. 20.04.1889 in Österreich-Ungarn, gest. 30.04.1945 in Berlin) war von 1933 bis 1945 nationalsozialistischer Diktator des Deutschen Reiches.

Ab Juli 1921 Vorsitzender der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), versuchte er im November 1923 mit einem Putsch von München aus die Weimarer Republik zu stürzen. Mit seiner Schrift „Mein Kampf“ (1925/26) prägte er die antisemitische und rassistische Ideologie des Nationalsozialismus.

Hitler wurde von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30.01.1933 zum deutschen Reichskanzler ernannt. Innerhalb weniger Monate beseitigte sein Regime mit Terror, Notverordnungen, dem Ermächtigungsgesetz, Gleichschaltungsgesetzen, Organisations- und Parteiverboten die Gewaltenteilung, die pluralistische Demokratie, den Föderalismus und den Rechtsstaat. Politische Gegner wurden in Konzentrationslagern inhaftiert, gefoltert und ermordet. 1934 ließ Hitler anlässlich des „Röhm-Putsches“ potenzielle Rivalen in den eigenen Reihen ermorden. Hindenburgs Tod am 2.8.1934 nutzte er, um das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinen zu lassen und regierte seither als „Führer und Reichskanzler“.


(5) Als Herrenzimmer wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert Wohnräume in wohlhabenden bürgerlichen Haushalten bezeichnet, in denen der Hausherr männliche Gäste empfing.


(6) Die Sturmabteilung (SA) war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP während der Weimarer Republik und spielte als Ordnertruppe eine entscheidende Rolle beim Aufstieg der Nationalsozialisten, indem sie deren Versammlungen vor Gruppen politischer Gegner mit Gewalt abschirmte oder gegnerische Veranstaltungen behinderte. Aufgrund ihrer Uniformierung mit braunen Hemden ab 1924 wurde die Truppe auch „Braunhemden“ genannt. Im Vorfeld der Machtergreifung 1933 widmete sich die Organisation, neben der Propaganda, intensiv dem Straßenkampf und Überfällen auf Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden. Dabei wurden Konflikte mit der Staatsmacht sorgfältig vermieden.

Nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 wurde die SA, wie NSDAP und SS, mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 verboten und aufgelöst.


(7) "Untermensch" ist ein Begriff aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten und der Eugeniker. In der menschenfendlichen Ideologie des Nationalsozialismus galten die „Arier“, also besonders die germanischen Völker, den übrigen als "überlegen".

Insbesondere die Juden galten für Nationalsozialisten als "schlimmste Feinde". Schon in Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ wurden sie als „Volksverderber“ oder „Reichsfeinde“ stigmatisiert und verleumdet und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten drangsaliert und verfolgt. Die Nürnberger Rassengesetze von 1935 legten fest, wer als „Jude“ oder „Mischling“ galt und wer „Arier“ war. Aber auch andere „Fremdrassige“, „Schwarze“ oder „Zigeuner“, ferner als „minderwertig“ geltende Minderheiten der deutschen Mehrheitsbevölkerung wie „Asoziale“ wurden als „Untermenschen“ angesehen, verfolgt und waren von Vernichtung bedroht.


(8) Die Bezeichnungen „Schwarze“, „schwarze Menschen“ und „Schwarze Menschen“ werden allgemein für Menschen mit einer dunklen Hautfarbe verwendet. Schwarz ist dabei jedoch nicht nur ein Indikator der Hautfarbe, sondern eine sozial konstruierte Einteilung; ein Begriff des Kolonialismus, der heutzutage eher vermieden wird.


(9) Die weiße Flagge (oder das Tuch), auch Parlamentärsflagge genannt, ist eine einfarbig weiße Flagge, die den Parlamentär als solchen kennzeichnet und die Kombattanten zur Wahrung seiner völkerrechtlich garantierten Unverletzlichkeit verpflichtet. Sie gehört zu den Schutzzeichen des Kriegsvölkerrechts. Die weiße Flagge galt als Zeichen der Kapitulation bzw. des Verzichts auf Gegenwehr. So bedeutet das Heraushängen von weißen Flaggen in Städten oft die kampflose Übergabe an feindliche Truppen.


(10) Das Hakenkreuz, eine Swastika, ist ein Kreuz mit vier etwa gleich langen, einheitlich abgewinkelten Im Deutschen wird ein heraldisches Zeichen, das der Swastika ähnelt, seit dem 18. Jahrhundert „Hakenkreuz“ genannt.

Weil das Hakenkreuz Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus repräsentiert, ist die politische Verwendung hakenkreuzförmiger Symbole seit 1945 in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten verboten. In Deutschland dürfen Hakenkreuze nur zur „staatsbürgerlichen Aufklärung“ und zu ähnlichen Zwecken gezeigt werden.


(11) Als Entnazifizierung wird die ab Juli 1945 umgesetzte Politik der Vier Mächte bezeichnet, die darauf abzielte, die deutsche und österreichische Gesellschaft, Kultur, Presse, Ökonomie, Justiz und Politik von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien. Grundlage für die Entnazifizierung waren die auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 gefassten Beschlüsse sowie die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz von August 1945.

Die gemeinsame Zielsetzung der Entnazifizierung sollte durch ein Maßnahmenbündel erreicht werden, das unter anderem aus einer umfassenden Demokratisierung und Entmilitarisierung bestand. Das wichtigste Ziel war die Auflösung der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen. Dazu zählte auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs begangen worden waren und die Internierung von Personen, die als Sicherheitsrisiko für die Besatzungstruppen erschienen.


(12) Nazi ist ein Kurzwort für Anhänger des Nationalsozialismus.


(13) „Das mit den Juden“ meinte den Holocaust, auch Schoah genannt, das „große Unglück/Unheil“. Damit wird heute zumeist der nationalsozialistische Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen europäischen Juden bezeichnet. Deutsche und ihre Helfer führten ihn von 1941 bis 1945 systematisch, auch mit industriellen Methoden durch, mit dem Ziel, alle Juden im deutschen Machtbereich zu ermorden. Dieses Menschheitsverbrechen gründete auf dem staatlich propagierten Antisemitismus und der entsprechenden rassistischen Gesetzgebung des NS-Regimes. Der endgültige Entschluss zur Ermordung aller Juden fiel im engen Zusammenhang mit dem Vernichtungskrieg gegen die UdSSR ab dem Sommer 1941.

Quelle für Erläuterungen: Wikipedia


Auszug aus „Scherbenbilder – Mehr als Tee und Trost“, erzählt von Käthe, geschrieben von Sibylle S., bearbeitet von Barbara H.

Foto: pretty sleepy/Pixabay

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