Zieh dich anständig an, Schlips nicht, aber ordentlich!
Raimund, geb.1927, wuchs in Düsseldorf-Oberkassel auf und zog 1940 mit seiner Familie in die Altstadt. Nach der Schulzeit begann er eine Lehre als Tischler. Nach erfolgreichem Abschluss musste er den Arbeitsdienst und Wehrdienst ableisten An seinem 18.Geburtstag kehrte er gesund nach Hause zurück. Danach arbeitete er wieder in der familiengeführten Schreinerei und legte später seine Meisterprüfung ab.
Dann lernst du Schreiner!
1941 wurde meine Schule bombardiert. Ich hatte damals schon nicht mehr so großes Interesse für die Schule. Außerdem wurden die Schüler als Flakhelfer einberufen. Meinem Vater war das gar nicht recht. Er hat mich von der Schule abgemeldet und sagte: “Dann lernst du Schreiner!“ Ich war mit dieser Entscheidung einverstanden, denn meine beiden Brüder interessierten sich nicht für unseren Handwerksbetrieb und so blieb ich übrig. Mein Vater hatte sich als Kaufmann um die Firma gekümmert und sie von Möbelherstellung auf Sargbau umgestellt. Mein Vater und auch mein Großvater, ein Schreinermeister, legten Wert auf meine schnelle Berufsausbildung.
Wenn man eine Lehrstelle haben wollte, musste man ordentlich gekleidet sein
Als es um eine geeignete Lehrstelle für mich ging, hat mein Großvater den Schreinermeister P. angesprochen, der mich zu sich bestellte. Mein Großvater sagte: „Raimund, morgen ziehst du dich anständig an. Schlips nicht, aber ordentlich. Und dann gehen wir mal da hin.“
So war es damals: wenn man eine Lehrstelle haben wollte, musste man „ordentlich“ gekleidet sein. Und so einfach mit den Lehrstellen war es damals auch nicht. Es klingt heute immer so, als ob es früher besser gewesen wäre, war es aber nicht.
Lehrzeit in einer „Luxusschreinerei“
1941 habe ich also die Lehre angefangen, in der wunderbaren Werkstatt der Schreinerei P. Das war eine Luxusschreinerei! Wir hatten gute Kundschaft; viele Gaststätten wurden eingerichtet und edle Möbel gefertigt. Es gab zwölf Schreiner, und drei davon waren richtige Künstler. Ich hatte das Glück, mit einem von ihnen zu arbeiten. Damals wurden kleine Möbelstücke noch mit der Handkarre ausgeliefert. Mein Mit-Lehrling J. war froh, wenn er mit der Karre rausfahren konnte. Und ich fand es gut, wenn ich nicht raus musste. Die Lehrzeit hat mir Spaß gemacht, weil wir schöne Sachen herstellten, nicht nur so einfache Stücke.
Dann kamen die ersten Bombenangriffe, und es mussten überall Fenster und Türen repariert werden, die herausgeflogen oder abgebrannt waren. Für ein Haus haben wir wunderschöne Holzfenster angefertigt und waren stolz, dass wir das in kurzer Zeit geschafft hatten. Nur drei Wochen später kam ein neuer Bombenangriff, und da war das ganze Haus ausgebrannt! Auch die Gesellen, die da mitgearbeitet hatten, waren einfach fertig.
Ich war 16 Jahre alt, als ich mein Gesellenstück gemacht habe: eine Herrenkommode aus massiver Eiche. Darin bewahre ich auch heute noch meine Wäsche auf.
Am 30. März 1944 war meine Lehre zu Ende, und prompt eine Woche vorher hatte ich die Einberufung zum Arbeitsdienst bekommen.
Auf der Werkkunstschule
Nach meiner Rückkehr vom Wehrdienst am meinem 18. Geburtstag habe ich in unserer Schreinerei gearbeitet. Als unser Meister sich selbständig gemacht hatte, übernahm ich seine Stelle.
Eines Tages erfuhr ich von der Möglichkeit, an der Werkkunstschule (1) Innenarchitektur zu studieren und die Meisterprüfung abzulegen. Am 1. Oktober 1948, direkt nach der Währungsreform (2), habe ich mich dort angemeldet. Ich wusste, dass in jedem Semester nur zwölf Leute aufgenommen wurden. Wer konnte es sich damals leisten zu studieren? Das Semester kostete ungefähr 180 D-Mark (3). Ich konnte nicht so gut zeichnen, hatte deshalb ein bisschen Angst, aber handwerklich war ich gut und wurde aufgenommen.
Unsere Schule war der Vorläufer der Fachhochschule, und wir machten ein staatliches Diplom. Wir hatten einen ausgezeichneten Professor in Baukonstruktion und Statik. Er hat mit uns zusammengearbeitet, uns aber auch gefordert. Er war souverän, aber nicht überheblich – eine tolle Persönlichkeit!
Meine Meisterprüfung
Während der Studienzeit hatte ich nebenher einige Lehrgänge an der Handwerkskammer mitgemacht, um mich auf die Meisterprüfung vorzubereiten. Nach dem vierten Semester habe ich einige Wochen vor den Ferien geschwänzt und in dieser Zeit meine Meisterprüfung abgelegt. Da war ich erst 23 Jahre alt, also verhältnismäßig jung. Mein Großvater war besonders stolz auf mich. Bei der Meisterfeier war Bundeskanzler Konrad Adenauer der Festredner. Es war die erste Meisterfeier, die nach dem Krieg gehalten wurde. Der Meisterbrief wurde mir an diesem Tag aber noch nicht ausgehändigt, weil ich noch keine 24 Jahre alt war!
Morgens mussten wir immer pünktlich sein
Nach dem Ende des Studiums bin ich in die Firma zurückgekommen. Ich konnte sehr gut mit meinem Vater zusammenarbeiten, auch nach dem Tod des Großvaters, 1952. Mein Vater war sehr großzügig, ließ uns an alles ran – aber es musste auch alles klappen! Und morgens mussten wir immer pünktlich sein.
(1) Werkkunstschule: Ausbildungsstätte für angewandte Künste ohne Hochschulstatus. In den 1970 er Jahren angegliedert an Fachhochschulen
(2) Währungsreform: Am 20. Juni 1948 wurde in den westlichen Besatzungszonen die Deutsche Mark (D-Mark) als alleiniges Zahlungsmittel eingesetzt und im Verhältnis 1:1 gegen die bisher gültige Reichsmark zwangsumgetauscht.
(3) D-Mark: von 1948 bis 1998 bzw. 2001 offizielle Währung der Bundesrepublik Deutschland.
1 D-Mark = 100 Pfennig
Quelle: wikipedia.org
Auszug aus „Raimund S. – ene Alde Düsseldorfer“, erzählt von Raimund S., geschrieben und Auszug verfasst von Marion PK
Foto: Kate Cox/Pixabay
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