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Ich war die "Csárdásfürstin"

Dorothea, 1924 geboren, wuchs in Myslowitz/Schlesien auf, das mal zu Deutschland und mal zu Polen gehörte. Gemeinsam mit ihrem Mann flüchtete sie nach Düsseldorf. Sie bekamen Kinder, schufen sich mit einer Drogerie eine neue Existenz und machten Urlaub in Ungarn.



Das Leben geht weiter

Mein Mann und ich hatten mit mehreren Paaren einen Klub gebildet, einen Kegelklub. Als wir die Möglichkeit hatten, bei einer Fachmesse in Düsseldorf unsere Vorstellung einer modern eingerichteten Drogerie auszustellen, konnten wir am Ende der Messe aus dem Erlös des Weiterverkaufs der gezeigten Produkte Geld in die Kegelkasse geben und davon nach Ungarn reisen. Wir hatten schwer dafür gearbeitet, nämlich tagsüber wie immer im Geschäft und nachts in der Messe.

Ungarisches Flair

In Ungarn wohnten wir im großen Hilton Hotel Budapest und wurden zum Mittagessen in ein altes Schloss gefahren. Nach dem guten Essen sind wir mit Pferdewagen in die Puszta gebracht worden. Es gab strohgedeckte Hütten in unterschiedlichen Größen. Das heißt, die größeren Hütten waren für die Pferde, dann gab es die für Kühe, Schafe und für immer kleinere Tiere wie Schweine.

Dann trat Csikós auf. Er zeigte verschiedene Kunststücke auf den Pferden, ohne Sattel, ohne Geschirr. Das war wirklich beeindruckend.

Nachdem uns das vorgeführt worden war, teilte sich unsere Kegelgruppe auf in die, die selbst reiten wollten. Es war ein sehr großes Gelände. Csikós sprach mich an: „Gnädigste, wollen Sie nicht auf das Pferd?“ – „Natürlich, gern“, antwortete ich sofort.

Er hatte wohl mitbekommen, dass ich keine Angst hatte und gerne reiten wollte. Ich bat ihn, mir zu helfen, er reichte mir seine Hand und schon saß ich auf dem Rücken des Pferdes. Csikòs bemerkte noch, dass ich wohl nicht das erste mal auf einem Pferd gesessen hatte. Das stimmte, denn auf dem Bauernhof, auf dem wir als Flüchtlinge gelebt hatten, bin ich schon mal geritten, allerdings nie ohne Sattel und Zaumzeug.

Der Ritt auf dem Pferd in die Ebene der Puszta begann. Ich bemühte mich um eine gute Haltung, versuchte aber auch, mich durch Druck auf die Schenkel festzuhalten. Das Fell des Pferdes war durch seinen Schweiß spiegelglatt. Dadurch spürte ich am nächsten Tag einen Muskelkater, wie ich ihn noch nie gehabt hatte. Doch das merkten die anderen Kegelfreunde nicht. Sie wunderten sich, wie ich das gemacht hatte.

Wenn sie versucht hatten, auf das Pferd zu steigen, waren sie im Nu auf der anderen Seite wieder unten gewesen.

Und mein Mann, den die Kegelfreunde schnell geholt hatten, meinte: „Um Gottes Willen! Dass dir nur nichts passiert. Es genügt, wenn die Kinder einen Vater haben, der im Krieg seinen Arm verloren hat. Nicht dass du auch noch zum Krüppel wirst!“

Kein anderer Tourist schaffte es auf das Pferd. Ich freute mich, dass ich das geschafft hatte. Am nächsten Tag beim Frühstück im Hotel wurde ich von unserer Reisegruppe als „Csárdásfürstin“ (1) begrüßt, da hatte ich einen Namen weg.

Ich habe häufig im Kreis der Familie davon erzählt, wie das damals war. Mein Enkel hat mir später ein Bild geschenkt, das er aus dem damals erschienenen Zeitungsfoto gemacht hat und die Csárdásfürstin aus der Operette zeigt. Das Bild hängt heute noch bei mir an der Wand.

Wir hatten dort noch eine sehr schöne Zeit, auch in den Weinkellern, die wir aufsuchten. Abends wurde immer getanzt. Auch daher war wohl eine Anlehnung an die Rolle der Figur der Csárdásfürstin entstanden.

Vielleicht hat mir wirklich geholfen, dass ich keine Angst hatte. Ich dachte damals: Sterben muss ich so oder so. Mein Mann hatte es da schwerer, er litt unter acht Verwundungen.


(1) „Die Csárdásfürstin“ ist eine Operette in drei Akten von Emmerich Kálmán. Die Uraufführung fand 1915 in Wien statt. Es gab immer wieder neue Verfilmungen und Inszenierungen: 1934 mit Mártha Eggerth und Hans Söhnker sowie 1951 mit Marika Rökk und Johannes Heesters. Dorothea hat besonders die Musik und die darin vorherrschende Lebensfreude gefallen, wie sie erzählte. Da die Handlung in Budapest und Wien spielte, hatte sie einen Bezug zu der Person der Csárdásfürstin. Besonders der ungarische Revuestar Marika Rökk hatte es ihr angetan. Sie soll Männern das Herz gebrochen und es immer wieder geschafft haben, die Männer zu faszinieren. Bei der Erwähnung der Lieder „Das ist die Liebe, die dumme Liebe“, „Tanzen möcht‘ ich, jauchzen möcht‘ ich“ oder „Nimm Zigeuner deine Geige“ ging beim Erzählen ein Strahlen über Dorotheas Gesicht.

Auszug aus „Ein weiter Weg – von Myslowitz nach Flehe“, erzählt von Dorothea G. (2015), aufgeschrieben und bearbeitet von Barbara H.

Foto: RebeccasPictures/Pixabay

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