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"Morgen bin ich nicht mehr da, ich gehe nach Düsseldorf"

Ella, am 31.01.1933 in Halle an der Saale geboren flieht 1955 aus der DDR in den Westen.

Sie riskierte damit enorm viel, denn es gab seinerzeit schwer bewachte und bewaffnete Grenzen, den sogenannten Eisernen Vorhang. Wer versuchte, sie zu überwinden und erwischt wurde, bekam harte Strafen; wurde sogar erschossen. Ella hatte den Weg gewählt, über eine Besuchsgenehmigung in den Westen zu kommen. Dies war nicht weniger gefährlich, auch wenn sie dabei wie eine Reisende im Zug saß.




Zittern um zwei Besuchsgenehmigungen

Der Bruder meines Mannes, Klaus, hat die Schwägerin seiner Schwester geheiratet, Margret. Sie alle wohnten in Düsseldorf. Wir wollten wegen der besseren Wohnmöglichkeiten auch dort hin. Erst sollte mein Mann vorfahren, meine Tochter und ich sollten später nachkommen. Ich kaufte meinem Mann eine Fahrkarte und er musste allein nach Düsseldorf fahren und Arbeit und eine Wohnung für uns suchen. Dafür musste er eine Besuchsgenehmigung beantragen, die nur sechs Wochen galt. Danach musste er zurück sein, oder ich und meine ganze Familie würden Repressalien ausgesetzt sein.

Um das Risiko auszuschließen, dass er es in den sechs Wochen nicht schaffte, für uns eine Bleibe zu finden, entschloss ich mich, ihm hinterher zu fahren. Also musste auch ich eine Besuchsgenehmigung beantragen, ohne dass auffiel, dass auch ich in Westdeutschland bleiben wollte. Bei der Antragstellung wurde ich aufgefordert, ein Passbild beizubringen. Die Sachbearbeiterin meinte noch, dass ich das sofort machen sollte.

Als ich mit dem Passbild zurück zu der Antragsstelle kam, nahm sich jemand meine Akte, fügte das Foto bei, schaute sich den Vorgang gar nicht mehr an und gab mir die Genehmigung. So fiel gar nicht auf, dass mein Mann schon eine Genehmigung bekommen hatte und noch in Düsseldorf war. Da habe ich unwahrscheinliches Glück gehabt.


Wiedersehen in Düsseldorf

Es waren fünf Wochen vergangen. Zu meinem Chef habe ich nur gesagt: ‚Morgen bin ich nicht mehr da, ich gehe nach Düsseldorf.‘ Er gab mir sogar 500 DM als Fahrgeld, sagte auf Wiedersehen und wünschte mir alles Gute. Endlich konnte ich fahren, zwar ohne Kind, aber mit einem riesigen Koffer.

Ich hatte mich fein gemacht, einen Hut aufgesetzt und bin nach Düsseldorf mit dem Zug gefahren. In Düsseldorf stand mein Mann am Bahnhof und sagte nur: ‚Wie siehst du denn aus?‘ Er sagte nicht: ‚Schön dass du da bist.‘ Ich sah für ihn herausgeputzt aus, was er von mir nicht gewohnt war. Ich war ihm fremd. Aber ich hatte es geschafft.


Ernüchternde Ankunft

Es war der 25. Oktober 1955, als ich in Düsseldorf angekommen war. Wir haben dann 14 Tage bei meiner Schwägerin gewohnt. Mein Mann hatte schon kurz nach seinem Eintreffen in Düsseldorf eine Stelle als Maler gefunden. Ein Kollege, der ein Haus in Oberkassel besaß, hatte meinem Mann schon gesagt: ‚Wenn deine Frau kommt, könnt ihr ein Mansardenzimmer haben.‘ Als ich die Wohnung dann sah, war ich doch überrascht. Alle Wände waren schräg. Es gab zwei Betten und einen Tisch, zwei Stühle, sonst nichts. Keine Küche, keine Toilette. Die gab es bei der Vermieterin, aber nur von morgens um 7 bis abends um 19 Uhr.“


Auszug aus: "Ella", erzählt von Helga H. (2019), geschrieben und Auszug verfasst von Barbara H.


Anmerkungen


(1) Als Eiserner Vorhang wird in Politik und Zeitgeschichte sowohl der ideologische Konflikt als auch die physisch abgeriegelte Grenze bezeichnet, durch die Europa in der Zeit des Kalten Krieges geteilt war. Er bildete nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den Revolutionen im Jahr 1989 die Trennlinie zwischen den marktwirtschaftlich orientieren demokratischen Staaten im Westen und den planwirtschaftlich geleiteten, realsozialistischen Diktaturen im Osten.




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