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"Das letzte Weihnachtsfest, bevor der Krieg zu uns kam"

Barbara D., 1930 in Oberschlesien – heute Polen – geboren, hatte selbst keine Kinder, wuchs aber in einer Lehrerfamilie mit sechs Geschwistern auf. Sie nimmt lebhaften Anteil an den Lebensläufen ihrer Brüder, Schwestern, Neffen, Nichten und deren Kindern und ist in diese Familien fest integriert. Ihren Eltern ist sie dankbar und bewundert sie sehr dafür, dass sie ein so gutes Familienleben vorgelebt hatten.

Symbolfoto: Silviarita/Pixabay


Weihnachten meiner Kindheit

Ich komme aus Oberschlesien, aus einem kleinen Bauerndorf namens Gammau, das ein paar Kilometer von Ratibor (1) entfernt liegt. Ich war das vierte Kind meiner Eltern, es folgten drei weitere.

Vater war Schulleiter der kleinen Dorfschule, wo wir auch wohnten. Außerdem war er auch Amtsvorsteher, Standesbeamter und Schiedsmann für unser Dorf Gammau und für das kleinere Nachbardorf Silberkopf, wo es eigentlich nur einen großen Gutshof gab. Er stammte aus einer Familie mit vierzehn Kindern, die auf einem großen Hof mit einer Jagd lebten. Meine Mutter war Hausfrau. Heute würde man sagen: „Sie leitete ein kleines Familienunternehmen“. Ihre Eltern hatten die Gastwirtschaft im Ort und die Post.

Der erste Stern am Himmel

Am Mittag des Heiligabends gab es meistens nur eine Schnitte mit Ölsardinen. Am Heiligen Abend durfte – wie freitags – kein Fleisch gegessen werden. Das Weihnachtsessen begann, wenn der erste Stern zu sehen war, meist war das schon um 16 Uhr.

Zuerst aßen wir eine klare Gemüsesuppe mit Nudeln. Es gab Heiligabend immer Karpfen, Sauerkraut (das wir Kinder nicht mochten), „polnische Soße“ und Brot. Die polnische Soße wurde mit Rosinen, Mandeln, Pfefferkuchen und dunklem Bier gemacht, war also ein wenig süßlich. Mein Vater bekam vom Karpfen immer den Schwanz mit den meisten Gräten, die Kleinsten bekamen das vordere Stück mit den größten Gräten. Bevor mein Vater fertig war, durften wir Kinder nicht den Tisch verlassen.

Kaum hatte Vater den letzten Bissen im Mund, sprangen wir Kinder auf und warteten gespannt an der Küchentür, während mein Vater ins Esszimmer ging, um die Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden.

Der Baum war am Tag zuvor von uns mit Kerzen und Kugeln und viel Lametta geschmückt worden. Vaters Aufgabe war es, noch zusätzlich Schokoladenkringel für das Christkind in den Baum zu hängen.

Wenn Vater nun mit einem Glöckchen klingelte, rissen wir die Tür auf und stürmten hinein; Gotthard, mein ältester Bruder, immer als erster.

Wünsche gingen in Erfüllung

Wir Kinder bekamen immer mehr Geschenke als die Bauernkinder. Für die gab es vielleicht ein Paar Socken oder Handschuhe, sonst nichts. Bei uns war das anders. Jeder von uns Kindern hatte einen Platz, wo die individuellen Geschenke lagen. Unten lag – für die Mädchen – meistens ein Stoff für ein neues Osterkleid. Dann gab es Mütze, Schal, Handschuhe und Kniestrümpfe, und darauf lag ein spezielles Geschenk, das wir uns gewünscht hatten, zum Beispiel ein Buch, ein Instrument oder eine Puppe.

Symbolbild: privat/Barbara H.


Auf dem Tisch standen große Teller mit Süßigkeiten und Gebäck für alle. Mein Vater behauptete immer, er habe das Christkind dafür bezahlt, dass es uns so viel brachte. Einmal habe ich, als ich durchs Schlüsselloch geschaut habe, das Christkind gesehen, zumindest sein Kleid. Wenn wir alle Geschenke ausgiebig bestaunt hatten, setzte sich mein Vater an das Klavier, und dann wurde gesungen.

Am nächsten Tag, dem 1. Weihnachtstag, kamen immer mein Onkel Karl und meine Tante Traudel mit den beiden Kindern Gerhard und Hubert aus Ratibor. Im Esszimmer gab es dann eine lange Tafel, wo wir gemeinsam gespeist haben. Es gab immer Gans und am 2. Weihnachtstag Wild, oft Hasen.


Symbolbild: Pixels/Pixabay

Das war noch bevor der Krieg (der Zweite Weltkrieg, 2) sich bei uns bemerkbar machte. Anfang 1945, ich war fünfzehn Jahre alt, wurde alles anders. Die Front näherte sich – das Gymnasium wurde geschlossen und wir blieben dann zu Hause. Meine jüngste Schwester, Johanna, war 1940 geboren worden, mein ältester Bruder 1924. Es war ein sehr kalter Winter mit viel Schnee.

alle Quellen: wikipedia

(1) Ratibor ist eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Schlesien (heute Racibórz). Sie liegt in Oberschlesien an der oberen Oder, etwa 23 Kilometer westlich von Rybnik und rund 60 Kilometer südwestlich von Kattowitz. Im Süden verläuft die Grenze zu Tschechien.


(2) Als Zweiter Weltkrieg (1939 – 1945) wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet. In Europa begann er mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen. …. Im Kriegsverlauf bildeten sich militärische Allianzen, die als Achsenmächte und Alliierte (Anti-Hitler-Koalition) bezeichnet werden. Hauptgegner des nationalsozialistischen Deutschen Reiches waren in Europa das Vereinigte Königreich mit dem … Premierminister Winston Churchill an der Spitze sowie (ab Juni 1941) die unter der Diktatur Stalins stehende Sowjetunion. …

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945; die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki führten zur Kapitulation Japans am 2. 9.1945. … Über 60 Staaten auf der Erde waren direkt oder indirekt am Weltkrieg beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen.

Auszug aus „Mittendrin – Das Leben der Barbara D.““, erzählt von Barbara D., aufgeschrieben von Rosi A. (2017), bearbeitet von Barbara H. (2023)

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