Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Elfriede wurde 1925 in Glogau/Schlesien geboren und wuchs als uneheliche Tochter bei ihren Großeltern auf, in ärmlichen, aber liebevollen Verhältnissen. Sie war praktisch veranlagt und machte nach der Schulzeit eine Lehre als Verkäuferin im Einzelhandel. Gegen Kriegsende gelang es ihr, nach einer schrecklichen, entbehrungsreichen Flucht über Berlin ins Rheinland zu kommen. Hier fand sie neue Arbeit und eine neue Heimat und Familie.
Nachdem ich 1940 mein Pflichtjahr (1) endlich beendet hatte, begann ich eine Lehre als Verkäuferin in einem großen Haushaltswaren- und Porzellangeschäft in Glogau. Nebenbei besuchte ich noch Kurse, um Stenographie und Schreibmaschinen schreiben zu lernen, denn später wollte ich gern in einem Büro arbeiten.
In der Lehrzeit mussten wir damals noch alles machen: Fenster putzen, den Hundedreck vor der Tür wegmachen, und den Schrebergarten des Chefs umgraben.
Alle paar Monate wurde das Linoleum im Geschäft geputzt. Zuerst mussten wir das alte Wachs mit viel Lauge und einer Bürste entfernen. Danach wurde sofort mit neuem Bohnerwachs neu eingewachst und so lange poliert, bis alles glänzte. Natürlich wurden jeden Abend die Fußspuren entfernt und der Boden wieder blank geputzt. Die Fransen der Teppiche, die teilweise im Geschäft lagen, wurden mit Sauerkraut abgerieben, damit sie nicht so grau aussahen. Wir haben alles gemacht!
Was ich dort besonders gut gelernt habe, war das Packen von Paketen. Das Porzellan musste so verpackt werden, dass beim Transport nichts kaputt ging.
Wir arbeiteten jeden Tag acht bis neun Stunden, und wir machten alles, was so anfiel. Dafür bekam ich im ersten Lehrjahr 10 Reichsmark, im zweiten 20 und im dritten 30 Reichsmark, Jede Woche ging ich in die Berufsschule, die ich 1943, nach drei Jahren, mit ‚Befriedigend‘ bestand.
Wieder ein Anfang
Um nach Bad Godesberg zu ziehen, brauchte ich als erstes eine Zuzugsgenehmigung. Die benötigte man, um Lebensmittelmarken zu erhalten. Eine Zuzugsgenehmigung bekam man aber nur, wenn man Arbeit gefunden hatte. Also ging mein erster Weg zum Arbeitsamt, wo mir eine Stelle im Haushalt einer Familie angeboten wurde. Gewohnt habe ich in einem möblierten Zimmer, das mir zugewiesen wurde. Bei der Familie blieb ich bis 1947.
Ich wollte gern in einem Büro arbeiten und suchte mir deshalb eine Stelle bei einer dortigen Firma. Als 1948 die Währungsreform kam, wurde ich allerdings entlassen. Bald fand ich eine neue Arbeit bei der Firma D., die Hustenbonbons herstellte und war bis 1959 in der Kontokorrentbuchhaltung beschäftigt.
(1) Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes. Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.
Die Mädchen und Frauen sollten so auf ihre zukünftigen Rollen als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Darüber hinaus konnte so in vielen Haushalten die fehlende Arbeitskraft der Männer, die als Soldaten im Krieg waren, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.
Auszug aus „Ein nicht üblicher Lebensweg“, erzählt von Elfriede U., geschrieben von Ute M-P., Auszug verfasst von Marion PK.
Foto: Ute Friesen/WikiMediaImages / Pixabay
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