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Beim letzten Faschingstanz hat es gefunkt!

Ilse W. wurde 1925 in Seidenberg (1) in Schlesien (2) geboren. Als ihre Mutter verstarb war sie neun Jahre alt. Sie und ihre jüngere Schwester wurden vom Vater und zunächst von der Großmutter, dann später von der Stiefmutter, großgezogen. Nach der Vertreibung führte sie das Schicksal nach Lautawerk (3), wo sie 1947 Horst beim Faschingstanz kennenlernte. Als er sich drei Jahre später nach Westdeutschland absetzte, folgte sie ihm wenige Monate später nach Krefeld, von wo aus sie, nach ihrer Heirat 1952, gemeinsam die ganze Welt bereisten.



Keine Ausreden für Tanzmuffel beim Fasching

In Lauta, an der Senftenberger Straße, gab es die Waldklause, ein Konzerthaus mit angeschlossenem Kino. Mittwochs oder samstags war dort immer Tanz, zu dem ich mit meiner Schwester ging. Da es für uns junge Leute keine anderen Angebote gab, war es beim Tanz natürlich immer voll. Als wir einmal – es war im Jahr 1947 – zum Tanz gingen, waren so viele Leute da, dass es keine freien Sitzplätze mehr gab und wir mit anderen Gästen stehen mussten.


An einem Tisch waren noch zwei Stühle frei. Also ging ich mit meiner Schwester zu dem Tisch hin und fragte: „Sind die beiden Stühle noch frei?“ – „Nee, die sind besetzt!“


Einige Zeit später, als die Kinovorstellung zu Ende war, kam Horst mit seinem Freund und belegte genau diese beiden Stühle mit Beschlag. Ich dachte mir: „Den holst du dir jetzt zum Tanzen“ und forderte Horst auf. Er aber antwortete: „Nein, ich kann nicht tanzen!“ Also suchte ich mir andere Tanzpartner. Ich glaube, damit habe ich ihn ein bisschen eifersüchtig gemacht.


Bei einem Faschingstanz ließ ich seine Absage nicht gelten! Meine Stiefmutter fuhr öfter über Land zum Hamstern. Eine Bekannte aus Berlin kam dann bei uns vorbei, um die gehamsterten Sachen mit in die Hauptstadt zu nehmen. Sie versprach mir und meiner Schwester: „Ich bringe euch zwei schöne Kostüme aus Berlin mit“, denn für Fasching fehlte es uns noch an Kostümen. Mitgebracht hat sie uns dann Kleidung, mit der wir uns als ungarische Mädchen verkleiden konnten. In dieser Kostümierung gingen wir dann zum Faschingstanz. Die Mädchen hatten sich alle verkleidet, aber Horst war in Zivil gekommen. Er tanzte auch wieder nicht! Ich bin ehrlich: Ich habe nie die Tanzstunde besucht. Aber zum letzten Tanz holte ich mir Horst! Da musste er tanzen!


Nach der nächsten Tanzveranstaltung brachte er mich nach Hause. Bei einer späteren Gelegenheit sollten sich die Gäste bei einem Fest im kleinen Saal mit eigenen Beiträgen einbringen. Ich spielte mit meiner Schwester vierhändig auf dem Klavier die „Petersburger Schlittenfahrt“ und das Stück „Die Mühle im Schwarzwald“. Horst war stolz auf mich!


Urlaub im Westen: Ein Bett für eine Nacht

1950, drei Monate, nachdem Horst in den Westen gegangen war, nahm ich Urlaub bei der Post. Meine Kolleginnen vermuteten schon „Dann wirst du ja wohl drüben bleiben.“ „Nee, ich bleib nicht drüben!“ Aber ich hatte schon den Gedanken „Dann fährst du rüber und bleibst auch drüben.“

Als ich hier in Krefeld am Bahnhof ankam, hatte der kein Dach mehr. Man konnte in den Himmel gucken! Ich dachte „Mein Gott, wo bist du hier gelandet?!“ Da ich bis dahin noch nie eine bombardierte Stadt gesehen hatte, war das ein völlig neuer Anblick für mich.

Ich kannte die Adresse von Horst in Tackheide. Mit der Straßenbahn fuhr ich bis zu den Edelstahlwerken und suchte dann seine Unterkunft. Als ich sie endlich gefunden hatte und nach Horst fragte, sagte man mir „Nee, der ist nicht da!“

Er war zu der Zeit mit dem Laster unterwegs und saß mit einem Steckachsenbruch auf der Müllkippe fest. Ich tauchte dann dort mit der Tochter seines Chefs auf. Das war eine Begrüßung!


Nun mussten wir überlegen, wie es am Abend weitergehen sollte. Wo sollte ich hin? Wo sollte ich schlafen? Da wir ja nicht verheiratet waren, konnte ich nicht bei ihm bleiben. Horsts Chef wusste, dass in einer kleinen Wohnung in der Nähe des Fuhrparks der Firma ein Raum frei war. Das Ehepaar, welches dort wohnte, bot an: „Das Fräulein kann die erste Nacht bei uns bleiben.“


Keine Wohnung ohne Trauschein

Als Horst in den Westen ging, kannte ich ihn schon drei Jahre. In all der Zeit hatten wir nie über eine Heirat nachgedacht, hier in Krefeld eigentlich auch nicht.

Horst hatte schnell ein Zimmer auf der Steckendorfer Straße gefunden und erfahren, dass im Nachbarhaus vielleicht eine Wohnmöglichkeit für mich zu finden wäre. Dort wohnte in zwei Zimmern eine junge Frau, deren Freund tödlich verunglückt war, mit ihrem Kind. Die junge Frau war froh über jeden Pfennig, den sie verdienen konnte und bot mir an, sich mit mir die Wohnung zu teilen. Ich schlief bei ihr mit im Ehebett und das Kind schlief zwischen uns beiden.


Während Horst und ich in getrennten Wohnungen lebten, hielt ich immer Ausschau nach einer gemeinsamen Wohnung. Ein alter Postler bot an: „Sie können bei mir ein Zimmer haben. Am Ende der Kölner Straße in Fischeln habe ich ein Zimmer frei.“ – „Das ist schön, aber ich habe einen Freund!“ – „Der kann mit, aber dann müssen Sie verheiratet sein.“


Also heirateten wir am 17.05.1952 noch schnell, um die Wohnung in Fischeln zu bekommen. Zur Hochzeit durften mein Vater und die Eltern von Horst nicht anreisen. Wir heirateten also in Abwesenheit unserer Familien. Trauzeugin war meine Vermieterin, mit der ich auf der Steckendorfer Straße das Ehebett teilte. Trauzeuge war Horsts Kamerad Bernhard aus Lautawerk, den er nach seiner Flucht wiedertraf und dessen Geschwister Horst Arbeit vermittelt hatten.


Bei einem Bäcker, der seinen Laden auf der Rückseite des heutigen Polizeipräsidiums nahe der ehemaligen Kaufmannsschule hatte, kauften wir eine Hochzeitstorte auf Abzahlung. Für besondere Hochzeitskleidung hatten wir kein Geld; für die Trauung zogen wir unsere besten Sachen an.



(1) Zawidów (deutsch: Seidenberg, obersorbisch: Zawidow) ist eine Stadt im Powiat Zgorzelecki („Kreis Zgorzelec“) in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Sie ist Mitglied der Euroregion Neiße.

Die Stadt liegt in Niederschlesien rechtsseitig des Grenzbaches Katzbach (Koci Potok) im Isergebirgsvorland, 16 Kilometer südlich von Görlitz/Zgorzelec unmittelbar an der Grenze zu Tschechien im polnischen Teil der Oberlausitz.


(2) Schlesien (schlesisch: Schläsing, schlonsakisch: Ślůnsk, sorbisch: Šleska, polnisch: Śląsk, tschechisch: Slezsko, lateinisch: Silesia) ist eine Region in Mitteleuropa beiderseits des Ober- und Mittellaufs der Oder und erstreckt sich im Süden entlang der Sudeten und Beskiden. Schlesien liegt nach Veränderungen in den Jahren 1922 und 1945 heute zum größten Teil in Polen. Ein kleiner Teil im Westen der früheren preußischen Provinz Niederschlesien gehört zu Deutschland, das Hultschiner Ländchen im südlichen Teil von Oberschlesien zu Tschechien.


(3) Lautawerk ist der Name einer Gemeinde und späteren Ortsteiles der Gemeinde Lauta. Lauta (sorbisch: Łuty) ist eine Kleinstadt im Norden des sächsischen Landkreises Bautzen. Lauta gehört historisch zur Oberlausitz, wurde jedoch in der DDR, gleichsam wie Hoyerswerda, zur Niederlausitz gerechnet. Die umliegenden Ortschaften, wie Ruhland und Hoyerswerda, bekennen sich heute wieder zur historischen Oberlausitz. In Lauta wird die Zugehörigkeit zur Niederlausitz betont.


Auszug aus „Von Schlesien an den Niederrheinund weiter in die ganze Welt“, erzählt von Ilse und Horst W., geschrieben von Marlies S., Auszug verfasst von Uwe S.

Foto: anncapictures/mmi9 / Pixabay

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