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Bewegtes Leben in Düsseldorf – Schöne Jahre in Benidorm

Drei Mädchen hatte das Ehepaar S. aus Düsseldorf, Katja war die Mittlere und Kleinste von ihnen, galt aber als energisch und immer in Aktion. 1926 geboren hieß es schon früh, im elterlichen Geschäft in Düsseldorf kräftig mitzuarbeiten, so dass sie manchmal am nächsten Tag in der Schule eingeschlafen war, so erschöpft und müde war sie.



Die Eltern

Meine Mutter kam aus der Feinkostbranche und konnte hervorragende Salate herstellen. Der Vater hatte im Ersten Weltkrieg (1) eine Gasvergiftung erlitten. Deshalb war er oft krank und kam zeitweise in Sanatorien.

Er war gelernter Drogist und konnte unter anderem gute Teesorten mischen. Schon 1928 trat er in die Partei (2) ein – aber er ließ uns nie zum Bund Deutscher Mädel (BDM) (3). Wir Kinder mussten in unserer Freizeit im Laden und im Lager arbeiten. Ein jüdischer Arzt hatte dem Vater später Naturmedizin verordnet. Danach spürte er Linderung seiner Beschwerden. Jeden Morgen trank der Vater Wacholderbeersirup, und zwar von mir serviert mit den Worten: „Hier ist dein Ratzekrut.“

Schule und der Nationalsozialismus

1932 war meine Einschulung in die Schule an der Jahnstraße. Dann folgte der Besuch in der Schule an der Florastraße. Ich hatte noch viele Jahre Kontakt mit ehemaligen Schulkameraden. 1938 war das Jahr, in dem ich die „Kristallnacht“ (4) erlebte. Ich fand es seltsam, als ich auf meinem Schulweg plötzlich so viele Möbelstücke auf der Straße liegen sah. Das konnte ich mir damals nicht erklären. Unter anderem lag da ein weißes Klavier – wunderschön, aber alles war zerstört.

Vater wurde zum Sicherheitsdienst (SHD, 5) eingezogen. Aus diesem Grund musste ich 1940 die Schule verlassen und im elterlichen Geschäft arbeiten. Ich begann eine richtige Lehre mit Berufsschule und zusätzlichen Kursen in Stenografie und Schreibmaschine schreiben. Diese Kurse fanden in der Goethe-Schule statt.

Doch im November 1943 wurde ich zum Arbeitsdienst (6) eingezogen.

KRIEG und FLUCHT

Der Krieg näherte sich dem Ende, war schon fast verloren und die Deutschen flohen vor den Russen, die immer näher rückten. Am 22. Juni 1945 hatte ich Düsseldorf wieder erreicht, nach einer sehr langen Fahrt, überwiegend mit dem Fahrrad (ca. 600 km) !

Die Zeit des Arbeitsdienstes in Bad Sülze/Mecklenburg-Vorpommern (7) und die Flucht zurück nach Düsseldorf ist eine andere Geschichte...

Ehe, Arbeit und Schicksalsschläge

Mein Ehemann war mein Traummann, der großes handwerkliches Geschick hatte. 1948 hatten wir in Düsseldorf geheiratet und bald darauf bekamen wir einen Sohn, da war ich 22 Jahre alt. Wir hatten beide heftige Erfahrungen mit dem Krieg und der Flucht machen müssen, aber jetzt sollte es besser werden.

Wir machten erst eine Wäscherei im elterlichen Haus auf, später bot ein guter Bekannter uns eine Wäscherei in Gerrresheim an. Wir hatten 3.000 DM gespart und damit gingen wir 1960 das Wagnis ein. Wir besaßen die Wäscherei 20 Jahre lang und schufteten hart. Mein Mann war oft krank, doch wir fanden wenigstens zeitweise eine gute Hilfskraft.

1975 machte ich „mal eben“ meinen Führerschein. Wir wohnten auf der Benderstraße im Gerresheim, hatten viele Freunde und Bekannte und gründeten einen Kegelclub. Bei aller Arbeit wurden auch schöne Ausflüge und Reisen gemacht.

Als die Eltern gestorben waren, übernahmen mein Mann und ich die Wohnung der Mutter, das war 1973. Nun waren wir wieder im heimatlichen Stadtteil Bilk. Als 1980 eine Versicherungssumme ausgezahlt wurde, hatte ich mir vorgenommen, ein ganzes Jahr nicht zu arbeiten. Aber es kam anders.

Meine Schwester arbeitete damals in einem Lebensmittelmarkt, deren Bezirksleiter eine Kraft für sein Büro suchte mit Kenntnissen in der Buchhaltung und allen anfallenden Büroarbeiten. Meine Schwester vermittelte, ich bekam ein Angebot und griff zu. Für eine Halbtagsstelle erhielt ich 1.000 DM monatlich und war dann eine sogenannte „Springerin“ in der Firma am Kirchplatz. Später arbeitete ich auch in den Filialen am Carlsplatz in der Altstadt und an der Rethelstraße im Stadtteil Zoo. Ich wollte und musste auch alles können und blieb bis 1982. Anschließend ging ich zum VDK, dem Verband der Kriegs- und Wehrdienstopfer und für Behinderte und Sozialrentner Deutschlands. Erst arbeitete ich als Teilzeitkraft, später Vollzeit.

Nach 40 Ehejahren starb 1988 mein Mann an einem Karzinom und es kam noch schlimmer: Mein einziger Sohn verunglückte 1991 tödlich. Aus seiner Ehe gibt es keine Enkelkinder – er war geschieden. Meine Lieben wurden auf dem Waldfriedhof in Gerresheim beigesetzt.

Spanien: Ein neuer Lebensabschnitt

Ich war 62 Jahre alt, als ich Witwe geworden war. Ein Jahr später flog ich nach Spanien und war bis 1996 einige Male auf Teneriffa. Das Leben und die Luft auf den Kanaren gefielen mir und taten mir auch gesundheitlich gut.

Ich half weiter ehrenamtlich beim VDK in Bilk und lernte viele Bekannte und Freunde kennen, auch prominente Düsseldorfer waren darunter. Man traf sich einmal im Monat im „Dröje“ an der Lorettostraße, einem altbekannten Bilker Restaurant. Dann lernte ich „Stani“ kennen der dort als Kellner arbeitete. Als er ein Zimmer für sich suchte, besorgte ich ihm eine Wohnung im Haus meiner Eltern an der Talstraße.

Im Herbst 1996 fuhren Stani und ich gemeinsam nach Bad Godesberg zum Konsulat. Nach langem Warten und vielem Hin und Her bekam Stani seine Einbürgerungsurkunde – aber es war darüber schon Sommer 1997 geworden. Stani war jetzt deutscher Bürger.

Die Finca und Träume

Ein Jahr später flogen wir gemeinsam nach Spanien, ich gab vorher meine große Wohnung in der Talstraße auf – wir behielten aber Stanis kleine Wohnung. 1999 mieteten wir uns von Januar bis April in Benidorm/Spanien (Foto) eine möblierte Wohnung. Und dann beschlossen wir, uns eine Finca zu kaufen und im Dezember des Jahres war es so weit. Wir kauften eine Finca mit Garage und einer Zisterne mit einem Fassungsvermögen von 12.000 l Wasser, knapp 800 qm Garten und 8 Palmen. Wir hatten eine schöne Zeit in Spanien.

Im Herbst 2004 wollten wir das Weihnachtsfest in Deutschland verbringen und planten einige wichtige Arztbesuche. Das Haus in Spanien überließen wir für einige Monate deutschen Freunden. Aber wieder kam alles anders. Wir waren kurze Zeit in Deutschland, da bekam Stani einen Schlaganfall. Er wurde von Klinik zu Klinik gebracht, ohne viel Erfolg und kaum Besserung. Also wurde das Haus in Spanien gut verkauft, da es top in Ordnung und gepflegt war und viele Deutsche ein Haus oder eine Wohnung in Spanien suchten.

Stani ist bis heute ein Pflegefall und wird seit einiger Zeit in einer Düsseldorfer Seniorenresidenz betreut. Ich besuche ihn regelmäßig, jeden Nachmittag, und achte darauf, dass er gut versorgt wird, was leider nicht immer der Fall ist. Dann schlage ich Krach – und das muss auch sein.

Aber auch meine Kräfte und Möglichkeiten sind begrenzt. Seit 2007 stellte man bei mir einen Tumor hinter einem Auge fest, was inzwischen in mehreren Operationen behandelt wurde.

Ergänzung

Irmgard H., die Frau, die diese Geschichte für Katja aufgeschrieben hatte, vermerkte noch, dass Katja auch von Spanien Einzelheiten erzählt hatte: „Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, bin ich auf den Balkon gegangen und habe mir den Sternenhimmel angeschaut. Dann kam Stani und hat für uns beide zwei Gläser Rotwein geholt und gemeinsam haben wir auf den Sonnenaufgang gewartet.“

Katja hatte auch Fotos von den langen Spaziergängen mit dem Hund gemacht und abschließend festgestellt: „Es waren schöne Jahre in Spanien!“ Und sie äußerte ihren Wunsch, eigentlich eher einen Traum: „Noch einmal mit Stani nach Spanien reisen, die Sonne genießen und von vergangenen Zeiten träumen!“

(1) Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, in Vorderasien, in Afrika, Ostasien und auf den Ozeanen geführt. Etwa 17 Millionen Menschen verloren durch ihn ihr Leben.


(2) Mit der „Partei“ war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gemeint, eine in der Weimarer Republik gegründeten politischen Partei, deren Programm und Ideologie (der Nationalsozialismus) von radikalem Antisemitismus und Nationalismus sowie der Ablehnung von Demokratie und Marxismus bestimmt war. Sie war als straffe Führerpartei organisiert. Ihr Parteivorsitzender war ab 1921 der spätere Reichskanzler Adolf Hitler, unter dem sie Deutschland in der Diktatur des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 als einzige zugelassene Partei beherrschte.

(3) Der Bund Deutscher Mädel (BDM) war in der Zeit des Nationalsozialismus der weibliche Zweig der Hitlerjugend (HJ). Darin waren im Sinne der totalitären Ziele des NS-Regimes die Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren organisiert. Aufgrund der ab 1936 gesetzlich geregelten Pflichtmitgliedschaft aller weiblichen Jugendlichen, sofern sie nicht aus „rassistischen Gründen“ ausgeschlossen waren, bildete der BDM die damals zahlenmäßig größte weibliche Jugendorganisation der Welt mit 4,5 Millionen Mitgliedern im Jahr 1944.

(4) Die „Kristallnacht“, auch „Reichskristallnacht“ oder „Novemberpogrome 1938“ genannt, bezieht sich auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Sie waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im Deutschen Reich. Dabei wurden zwischen dem 7. und 13. November im ganzen Reichsgebiet mehrere hundert Juden ermordet, mindestens 300 nahmen sich das Leben. Um die 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume jüdischer Menschen sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden gestürmt und zerstört. Ab dem 10. November 1938 folgten Deportationen jüdischer Menschen in Konzentrationslager. Mindestens 30.000 Menschen wurden dabei interniert. Hunderte starben an den Folgen der mörderischen Haftbedingungen oder wurden hingerichtet.

(5) Der Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD) war im Zweiten Weltkrieg ein Aufgabenbereich des Luftschutzes (LS), der im Deutschen Reich ab 1940 für den Einsatz nach Luftangriffen aufgebaut wurde. In der Ersten Durchführungsverordnung … wurde die Organisation des SHD geregelt. In Luftschutzorten war die Ordnungspolizei für den SHD zuständig. Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes, der Technischen Nothilfe sowie der Feuerschutzpolizei und des Gesundheits- und Bauwesens wurden für den SHD in Anspruch genommen.

(6) Mit dem Arbeitsdienst war der Reichsarbeitsdienst (RAD) gemeint – eine Organisation im nationalsozialistischen Deutschen Reich … Gesetz von 1935: Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen … Zunächst wurden junge Männer (vor ihrem Wehrdienst) für sechs Monate zum RAD einberufen. Vom Beginn des Zweiten Weltkrieges an wurde der RAD auf die weibliche Jugend ausgedehnt. … Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 und dem daraufhin an die Waffen-SS übergebenen Kommando über das Ersatzheer wurde dem RAD die 6-wöchige militärische Grundausbildung am Gewehr übertragen, um die Ausbildungszeit bei der Truppe zu verkürzen. …

(7) Bad Sülze ist eine mecklenburgische Landstadt im Landkreis Vorpommern-Rügen in Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland, – ein anerkannter Kurort.

Drei Mädchen hatte das Ehepaar S. aus Düsseldorf, Katja war die Mittlere und Kleinste von ihnen, galt aber als energisch und immer in Aktion. 1926 geboren hieß es schon früh, im elterlichen Geschäft in Düsseldorf kräftig mitzuarbeiten, so dass sie manchmal am nächsten Tag in der Schule eingeschlafen war, so erschöpft und müde war sie.

Quelle: wikipedia

Auszug aus „Keine Legende – ein gelebtes Leben“, erzählt von Katja F., aufgeschrieben von Irmgard H., bearbeitet von Barbara H. (2023)

Foto: Edina/Pixabay

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