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"Brandbomben, Phosphorbomben und Luftminen – da wurde es ernst"

Geboren wurde Klaus-Dieter C. 1935. Er wuchs in einer Familie (Eltern und zwei Schwestern) auf, der es anfangs gar nicht schlecht ging. Sie wohnten in einer riesigen Wohnung, die sechseinhalb Zimmer hatte. In dem Flur, in dem ein nicht enden wollender Teppich lag, ist er Dreirad und Roller gefahren. Allmählich veränderte sich aber sein Leben, und er bekam schon als Kind mit, wie sich der Nationalsozialismus auch in Leipzig (Foto: Rathaus) ausbreitete und schließlich Krieg herrschte.



Mit Dreirad oder Roller durch den Flur

Es gab den Bund Deutscher Mädel (BDM) (1) und die Hitlerjugend (HJ) (2). Meine Schwestern waren beide im BDM. Die mussten dort hin, da gab es keine andere Wahl. Ich erinnere mich, dass die beim BDM Uniformen und braune Hemden trugen und so Lederknoten hatten, durch die ein blaues Tuch gezogen wurde. Ich glaube zumindest, dass es blau war. Außerdem musste meine große Schwester damals ins Landwirtschaftsjahr. Für mein Alter gab es das noch nicht. Ich war aber in einer Art Vorstufe der Hitlerjugend, beim Jungvolk. Dort war ich ein einziges Mal. Da haben wir auch schon herumgeballert. Es ging also ziemlich vormilitärisch zu. Ich weiß noch, dass wir in den Wald gegangen sind und dann wurde Bogenschießen geübt. Es war also eher spielerisch, hatte aber auch gleich etwas Anrüchiges.


Mein Vater war in der NSDAP (3). Als ich sieben oder acht Jahre alt war, hatten wir zu Hause mal eine Wohnungsdurchsuchung. Das war zivil und dauerte mehrere Stunden. Ich wurde in der Zeit weggesperrt. Später habe ich dann herausgefunden, dass mein Vater in einer Loge (4) war. Logen hatten einen schlechten Ruf, obwohl sie eigentlich etwas Positives waren. Die Mitglieder dort waren alles Macher und haben alle etwas – im positiven Sinne – bewegt.

Was ich über Logen weiß, sind also alles nur positive Dinge, aber sie selbst hatten alle Schweigepflicht. Von denen war nicht zu erfahren, was die wirklich gemacht haben. So eine Geheimniskrämerei war bei den Nazis natürlich nicht gewollt. Wir durften deshalb keine Hakenkreuzfahne mehr hissen und da war man eigentlich wie ein Jude: geächtet, absolut geächtet.


Obwohl mein Vater also kein richtiger Parteimann war, musste er nach dem Krieg zur Wismut (5), in den Erzbergbau. Das ist eigentlich verwunderlich und widersprüchlich, weil er ja eben nicht parteitreu war. Ihm ist die Arbeit dort natürlich sehr schlecht bekommen, und es hat nicht lange gedauert, bis es ihn die Gesundheit gekostet hat.


Wir haben vom Krieg kaum etwas mitbekommen. Ich jedenfalls kaum. Woran man es gemerkt war, dass wir immer Luftalarm hatten. Da gingen dann die Sirenen an, meistens nachts. Es gab sogar unterschiedliche Alarmsignale.

Wir hatten in unserem Haus in Leipzig einen Luftschutzkeller. Ich wollte nie in diesen Keller, aber ich musste mit runter. Das war ein Gewölbekeller, wie man das heute in ganz alten Häusern noch hat. Der war richtig bogenförmig ausgemauert, denn das war besonders stabil. Unser Keller war ein Gemeinschaftsluftschutzraum. Am Ende der beiden Kellerseiten – unser Haus war ja ein Eckhaus – waren Durchbrüche. Dort wurde die Mauer mal aufgebrochen und dann behelfsmäßig wieder zugemauert. Mit einem festen Schlag konnte man die Mauer wieder aufbrechen, um bei Gefahr in das Nachbarhaus zu kommen. Die anderen Häuser hatten einen normalen Keller.

In den Keller ging man drei Treppen hinunter, und es war fast immer kalt. Deshalb musste ich mich jedes Mal ganz anziehen.

Außerdem durfte ich mein Kopfkissen mitnehmen und einen Teddy. In einem der Kellerräume standen Feldbetten. Ich weiß nicht mehr so genau, wie viele es waren. Auf jeden Fall wurden die eigentlich nicht benutzt. Aber ich lag immer in einem dieser Feldbetten und habe dann dort geschlafen. Der Alarm ging laufend und das nervte natürlich.


Ausgebombt durch Phosphor- und Brandbomben

Am 4. Dezember 1943 wurde es dann ernst. In dieser Nacht wurden wir ausgebombt, was natürlich nicht schön war. Bei uns fielen Phosphorbomben, und Phosphor brennt ja überall. Brandbomben, Phosphorbomben und Luftminen haben sie in Leipzig abgeworfen. Luftminen waren gemein, weil da gar nichts übrig blieb.

In das Dach unseres Hauses fielen Brandbomben und haben von oben her das Haus abgebrannt. Die Bewohner, auch von den Nachbarhäusern, haben bei uns noch im Haus eine Eimerkette gebildet und es wurde versucht, das Feuer von oben zu löschen. Die Nebenhäuser waren schon nicht mehr zu retten. Der Erfolg war zumindest der, dass die Eichenholztreppe bis zur vierten Etage, wo der Speicher war, erhalten blieb. Noch lange nach dem Krieg, als wir aus der Evakuierung kamen, also gut zwei Jahre danach, war die Treppe immer noch da. Mein Vater hatte sich dann einen Schreiner organisiert, der aus der Treppe Möbel machen sollte, doch als der die Treppe abholen wollte, war sie weg – geklaut.


Meine jüngere Schwester – sie wurde „kleine Schwester“ von mir genannt – ist noch mehrmals hoch in die Wohnung in der dritten Etage gegangen. Und das als das Haus schon brannte. Sie hat noch irgendwelche Dokumente geholt. Dabei ist sie wohl sogar über die Diele gesprungen, die schon ein großes Loch hatte.


Meine Mutter konnte sich nicht darum kümmern. Sie war im Luftschutzkeller. Dort war eine Rot-Kreuz-Station, in der sie bis zur OP-Schwester ausgebildet worden war. Ich durfte in diesen Raum eigentlich nicht hinein. Aber zu dem Zeitpunkt, als schon Bomben gefallen waren, wollte ich irgend etwas Dringendes von ihr und bin deshalb reingegangen. Sie hat mich sofort wieder rausgeschmissen. Ich sah dann nur, wie meine Mutter einer Frau gerade einen Arm abgesäbelt hat.


Mein Vater war auch nicht da. Er war sofort in die Stadt zu seinem Geschäft gelaufen. Als er nach Stunden wiederkam, war er so am Ende, dass ich ihn fast nicht wiedererkannt habe. Die ganze Firma, das Geschäft und die beiden Restaurants, alles war in der selben Nacht abgebrannt. Es war alles hin, der ganze Besitz. Als mein Vater dann nach Hause kam und das brennende Wohnhaus sah, versuchte er noch, die gerade auftauchenden Feuerwehrleute zu bestechen, dass die unser Haus löschten.


Als es dann immer turbulenter wurde und die Leute aus den Nachbarhäusern kamen, brachte mich meine kleine Schwester über die Straße in eine Schule. Dort war ein öffentlicher Luftschutzkeller. Auf dem Weg haben wir gesehen, dass an unserem Haus, in der ersten Etage im Fensterbrett, eine Phosphorbombe lag. Ich sehe das noch heute vor mir, wie die da noch schräg im Fensterbrett lag. Der ganze Phosphor tropfte runter und lief die Wand entlang, auch nach innen, wie sich später herausstellte. Die Bombe konnte niemand mehr aus dem Haus herausstoßen. Eigentlich war dadurch das Haus schon weg.


Auf jeden Fall musste ich dann in den öffentlichen Luftschutzkeller. Meine Schwestern und andere Leute sind dann auch dort hin gekommen und irgendwann war er überfüllt. Da hatte ich ein ganz schlimmes Erlebnis. Ich weiß noch, dass eine Frau hysterisch geworden ist. Die kam rein und konnte sich gar nicht artikulieren. Ein Mann – da waren ja kaum Männer – hat sich dann um sie gekümmert. Dabei kam heraus, dass das Haus, in dem die Frau gewohnt hatte, von einer Luftmine getroffen worden war. Ihr zehn-/zwölfjähriges Mädchen, steckte bis zum Hals in den Trümmern. Lebend! Es konnte nicht gerettet werden. Es war so eingeschlossen, dass keiner helfen konnte. Das hat mich als Kind, da war ich acht Jahre alt, unglaublich bewegt. Dass so etwas möglich war. Also, diese Nacht war ziemlich heftig.


Treck aus Leipzig

Irgendwann wurde ich aus dem Luftschutzkeller abgeholt und dann bewegte sich schon auf der Straße ein Treck Menschen stadtauswärts. Die Straßenbahnleitungen waren heruntergerissen. Es sah alles aus – es war schlimm! Trümmer lagen herum, überall brannte es, es war kalt, windig und der ganze Treck bewegte sich. Das wurde alles gesteuert, wurde irgendwie organisiert. Wir liefen dann ca. 3 km nach Connewitz, einem Stadtteil von Leipzig, zum Bahnhof. Die Menschen liefen mit allem Hab und Gut, was jeder hatte. Ich weiß noch, dass wir auf der Flucht unsere Sachen mit dem Kinderwagen transportierten. Den hatten wir noch irgendwo im Keller. Früher hat man ja alles aufgehoben. Über Lautsprecher wurde dann verkündet, wie viele Leute mit welchem Zug mitkommen sollten. Dann fuhr der Zug vor und alle wurden hineinquetscht. Den Kinderwagen mussten wir am Bahnhof stehen lassen, weil der nicht mit in den Zug passte. Alle hatten irgend etwas zum Schleppen. Jeder hatte ja so viel wie möglich mitgenommen.


Wir wussten gar nicht, wo es hin ging. Das wurde nicht verkündet. Wir fuhren von einer Station zur anderen. Als erstes sind wir nach Altenburg gekommen. Das war nicht so weit. Dort wurden wir in einer Turnhalle untergebracht, in der es nur Stroh gab. Es war einfach Stroh ausgelegt und es gab eine Decke und fertig. Ende der Fahnenstange. Das war ein ganz primitives Leben. In Altenburg waren wir nur ein paar Tage bzw. ein paar Nächte. Die Stadt war irgendwie unheimlich. Ich habe kaum Erinnerungen. Von dort ging es dann nach Plauen ins Vogtland. Auch dort waren wir nur ein paar Tage. Es folgte Lichtenstein in Sachsen. Unser Quartier dort war auch in einer Turnhalle mit Stroh und dort blieben wir länger. Das war sozusagen der Endpunkt, von dem aus alle verteilt wurden.


In Lichtenstein fielen zwar keine Bomben, wir haben dort aber doch noch einiges vom Krieg mitbekommen. In Glochau, das 30 km weit weg war, gab es nachts Bombardierungen, wenn der Himmel dunkel war. Die Wehrmacht hatte Riesenscheinwerfer aufgestellt, mit denen sie in den Himmel leuchteten um dadurch die Bomber-Flugzeuge ausfindig zu machen. Wir haben das schon ab und zu in der Ferne gesehen. Und bei uns in der Nähe haben sie auch Flugzeuge getroffen. So etwas ist schlimm.

Wir Kinder hatten im Wald eine Art Pfadfinderlager. Das war eine total einsame Gegend. Als wir dort spielten, haben wir auch abgeschossene Flieger gesehen. Das war also grausig für uns Kinder. Die Flieger hingen leblos, also tot, mit ihren Fallschirmen in den Bäumen. Die hatten den Abschuss nicht überlebt.


Christbäume, die nichts mit Weihnachten zu tun hatten

Meistens waren es Amerikaner oder Engländer in den Flugzeugen, die in Verbänden flogen. Wir haben dann manchmal gesehen, wie die so genannte Christbäume gesetzt haben. Das sind Lichtelemente, die wie Tannenbäume aussahen. Die wurden aus den vorderen Flugzeugen der Fliegerverbände geworfen, so dass der Himmel voller Lichter war. Dann sanken die Christbäume zu Boden und die hinteren Flieger konnten sich einen Einblick verschaffen und wussten Bescheid, wo sie ihre Bomben abwerfen mussten. So wurde praktisch das Ziel gekennzeichnet. Vorher ist natürlich ausgekundschaftet worden, wo die Christbäume gesetzt und die Bomben hingeworfenen werden sollten. Die Bomben wurden über Orten abgeworfen, die wirtschaftlich irgendwie relevant waren, beispielsweise Talsperren oder Brücken. Vor allem waren auch Industriegebiete das Ziel, zum Beispiel die Firma Krupp oder Bergwerke, weil das ja alles mit Rüstung zu tun hatte. Es wurde versucht, alles zu bombardieren, was die Wirtschaft zum Erliegen brachte, um den Krieg zu beenden. Wir haben da also vom Krieg noch einiges mitbekommen. Das waren die letzten Kriegstage und die waren noch sehr beeindruckend und nicht so toll.



(1) BDM – Der Bund Deutscher Mädels war in der Zeit des Nationalsozialismus der weibliche Zweig der - Hitlerjugend


(2) HL – Die Hitlerjugend war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der - NSDAP (1926 - 1945)


(3) NSDAP – Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei; gegründet 1920, deren Programm und Ideologie von radikalem Antisemitismus und Nationalismus sowie Ablehnung von Demokratie und Marxismus bestimmt war. Sie wurde 1945 aufgelöst.


(4) Loge wird eine diskrete Gesellschaft genannt, früher auch Geheimbünde.


(5) Die Wismut AG, oder ab 1954 SDAG (Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft Wismut), war ein Bergbauunternehmen, das sich zwischen 1946 und 1990 zum weltweit viertgrößten Produzenten von Uran (nach UdSSR, USA und Kanada) entwickelt hat.


Erzählt von Klaus-Dieter C. „Ein Leben in Bewegung“ geschrieben von Alexandra P., Auszug bearbeitet von Barbara H.


Foto: Elias Turyani/Pixabay

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