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Das Ende des Krieges: Wie geht es jetzt weiter?

Wolfgang erzählt sein Leben als typischer Berliner, 1932 geboren und dort aufgewachsen. Als Jugendlicher wurde er während des Krieges wegen der drohenden Bombardierungen nach Ostpreußen und Thüringen geschickt. 1944 kehrte er zurück nach Berlin, als es dann aber doch gerade mit den Bomben so richtig los ging.


Wolfgangs Heimatstadt Berlin wurde zum Ende des Zweiten Weltkriegs durch Bombenabwürfe völlig zerstört. Als Mahnmal erinnert die Gedächtniskirche bis heute an die Schrecken.

Foto: privat


Da fiel mir ein Ziegel auf dem Kopf

Mein Vater hatte im Herbst 1944 Fronturlaub, da war ich gerade zwölf Jahre alt. Wir waren zurück in Berlin, aber da war ja praktisch nichts mehr da. Also spielten wir Kinder in den Ruinen. Auf einmal fiel ein Ziegel vom Dach, aus der vierten Etage und mir auf den Kopf. Das muss man sich mal überlegen: Zwei Männer kamen gerade von der Arbeit. Überall Ärzte gab es ja nicht. Also hat mir der eine einen dicken Wattebausch auf den Kopf gedrückt. Er fuhr so einen Holzkocher, so einen Wagen mit Holzgas. Mit dem hat er mich dann zur Notfallklinik gefahren. Irgendein Sanitäter oder Arzt hat mich versorgt, die Wunde geklammert und dann nach Hause geschickt. Heutzutage kommt man erst einmal tagelang ins Krankenhaus. Meine Eltern kamen mir dann aber entgegen. Erst wollten sie mit der Straßenbahn fahren, aber dann sind sie einfach zu Fuß gelaufen.


Nach dem Brandangriff auf unser Haus am 26. Februar 1945 lebten wir die letzten Tage des Krieges (1) bei der Großmutter in Mahlsdorf, wo es auch einen Bunker gab. Oben auf dem Dach wehte eine weiße Fahne, und die Flieger flogen darüber, ohne uns zu bombardieren. Als die Russen (2) einmarschierten, dachten wir alle erst: Oh Gott! Aber die meisten Russen verhielten sich korrekt.

Nicht alle, aber die meistern.


Sowjetisches Ehren- und Mahnmal im Tiergarten Berlin

Foto: R.Cerqueira/Pixabay


Von da an ging es für uns zuerst einmal darum zu überleben, da ging das Organisieren los. Ich habe noch einen alten Zeitungsausschnitt, in dem schreibt ein deutscher Autor, dessen Namen ich vergessen habe, zu den Bildern, auf denen kleine Jungs auf den Kohlewagen eines Zuges saßen: „Der Zug stand noch nicht still, da waren die Kinder schon unterwegs, um die Beute zu verteilen und neu loszugehen. Die, die am nötigsten etwas brauchten, bekamen zuerst etwas. Jeder half jedem.“

Heute frage ich mich manchmal, wie das alles funktionieren konnte, organisatorisch und überhaupt. Durch die Bomben waren Gleise und Oberleitungen weg, und doch hatte man den Eindruck, als führen alle am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Essensmarken und Nahrungsmittel haben wir in Mahlsdorf bei den Großeltern nicht bekommen. Denn es hieß, wir seien mit unserem großen Garten Selbstversorger.


Überleben war das Wichtigste

Einmal sind wir zu Tante und Onkel nach Birkenwerder, um nachzusehen, wie es dort mit Nahrungsmitteln stand. Ein paar Russen hatten dort eine Kuhherde übernommen und verteilten Milch. Ich war der Jüngste, bin sogar zweimal hingegangen und habe Milch geholt. Daraus wurde Suppe gekocht, mit Klößen. Ein paar Kartoffeln gab es auch noch. Wer etwas hatte, tauschte oder versetzte es. So haben wir überlebt. Das war das Wichtigste – erst einmal zu überleben. 

Meine Tante und mein Onkel hatten keine Kinder. Der Onkel hatte mir in Aussicht gestellt, mal später seine goldene Uhr zu bekommen. Aber meine Mutter meinte: „Behalte die mal.“

Später hat er sie verkauft – und sie haben sechs Wochen davon leben können. Meine Mutter hat die Versorgerin spielen müssen, Vater war ja noch bis Herbst 1945 in Gefangenschaft.


Symbolfoto: P.Paar/Pixabay


Bei Kriegsende war ich zwölf Jahre alt. Egal wo ich war, Schule war immer. Ein wenig außerhalb Berlins gelegen gab es in Landsberg eine Schule, da bin ich eben dort hingegangen. Das Schöne war ja, dass damals alle Schulhefte und Bücher gleich waren. Man konnte nach Bayern, Ostpreußen oder in den Norden fahren, egal, die Bücher waren alle gleich, bis auf die sogenannten Heimatfibeln.


Berufswunsch Fliegen und Irrwege

Ich wollte immer Pilot werden, das war mein Traum. Üblicherweise kam man zur Flieger-HJ (3) und wurde dann später ausgesucht. Als ich mit zehn Jahren auf das Gymnasium sollte, habe ich mir gesagt: Ihr werdet euch wundern, ich werde doch nicht lernen! Dass ein Abitur besser gewesen wäre, daran habe ich als Junge nicht gedacht. Ich wollte Soldat werden und dann zur Luftwaffe gehen.

Ich habe aber auch manchmal Glück gehabt. Bei den Fähnlein im Jungvolk (4) war ich einer von zwei Jungs, der für die Adolf-Hitler-Schule ausgesucht wurde. Irgend etwas musste ich da ja wohl gekonnt haben! Aber wie gesagt – ich hatte Glück, denn ich hatte dann den „Idiotentest“ nicht bestanden.

Ich sagte mir: Was folgt auf das Dritte Reich? Na ja, das Vierte, sagte ich. Und schon hatte sich das alles für mich erledigt. Aber noch heute denke ich oft: Man weiß nie, wofür manches gut ist! Ich habe den anderen Kumpel, der nicht ausgesucht worden war, nie wieder gesehen. Auch wenn etwas schief läuft, man muss alles positiv sehen und im richtigen Moment an der richtigen Stelle sein.


Kirchenbesuche

Mein Vater hat später einmal erzählt, dass er in der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft bei einem Bauern die Erfahrung gemacht hatte, dass man auf den Dörfern – egal, ob man katholisch oder evangelisch war – oft in der Kirche war. Er habe einmal in eine Kirche hineingeschaut. Alle hätten sich umgedreht. Und hinterher wäre das Stück Fleisch für ihn schon ein kleines Stück größer gewesen. Er hatte es eigentlich nie so mit Kirche, aber das Beten hat er im Krieg gelernt.


1946 bin ich dann bei uns in der Erlöserkirche konfirmiert worden. Das besonders Schöne daran war, dass ich zu den ersten Konfirmanden nach dem Krieg gehörte. Mein Vater ist in derselben Kirche konfirmiert worden. Und auch er war 1919 nach dem Ersten Weltkrieg (5) bei den ersten Konfirmanden. Geheiratet hatten meine Elten in der alten Kirche in Mahlsdorf. Nach 80 Jahren hängt dort übrigens heute noch dieselbe Lampe über einem der Eingangstore!


Den Alltag meistern und Berufsausbildung

1947 war alles noch durcheinander. Die Frauen mussten alles organisieren, beim Aufbau helfen. Die Männer, die älter waren als ich, waren vielfach tot. Die ganz Alten waren oft krank, und die Jüngeren konnten noch nicht richtig helfen.


Irgendwann bin ich mit meiner Mutter durch Berlin gegangen, und wir haben eine Lehrstelle für mich gesucht. Aber die meisten der winzigen Stellen – Betriebe konnte man das nicht nennen – konnten nicht einmal sich selber ernähren. So kam ich dann zur Bahn in Eichkamp, wo auch der Vater schon gewesen war. Dort habe ich viel gelernt, weil ich irgendwann alles machen musste. I


Ausbildung an der Drehbank

Symbolfoto: SinayKata/Pixabay


Ich konnte nicht alles hundertprozentig, aber das Meiste doch sehr ordentlich. Ich bekam eine gute Allgemeinbildung, ob an der Drehbank, oder als Bauschlosser, lernte Schleifen und Tischlern. Drei Jahre lang lernte ich in einer richtigen Lehrwerkstatt bis zum Maschinenschlosser. Und wir haben alle mit Spaß gelernt, haben einmal sogar eine Feldschmiede (6) gebaut und uns an der Nietenherstellung versucht.


In der Freizeit gab es Abendschule, mal dies, mal das. Und es gab die Sportvereine: einen Schwimm-, Turn- und Boxverein. Ich war in einer Clique und wir schauten mal hier und mal dort vorbei. So bin ich beim Fußball hängen geblieben.


Dieser Tage war ich einmal wieder bei meinem alten Verein in Berlin. Da haben sie jetzt Kunstrasen. Ich habe gesagt: „Was macht ihr denn mit Kunstrasen? Ich habe noch auf einem Platz mit knöcheltiefem Sand gespielt und dadurch Kondition gelernt.“


Gewerkschaftserfahrung

Im Oktober 1950 war meine Lehre zu Ende, und ich fand eine Arbeitsstelle in Oberschöneweide bei der NAG (7) an der Spree. Auch dort gab es schon damals einen bemerkenswerten Zusammenhalt. In der Gewerkschaft musste man eigentlich sowieso sein. Einmal hieß es, wir sollten Weihnachtsgeld bekommen, dann plötzlich war das angeblich doch nicht möglich. Alle haben sich gewehrt, sind aufgestanden und haben gesagt: „Wenn wir kein Weihnachtsgeld bekommen, legen wir alle unser Gewerkschaftsbuch hin!“ Alle haben mitgemacht, ob groß oder klein, und wir haben unser Weihnachtsgeld bekommen!




(1) Als Zweiter Weltkrieg (1.9.1939 – 2.9.1945) wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet. In Europa begann er mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen. …. Im Kriegsverlauf bildeten sich militärische Allianzen, die als Achsenmächte und Alliierte (Anti-Hitler-Koalition) bezeichnet werden. Hauptgegner des nationalsozialistischen Deutschen Reiches waren in Europa das Vereinigte Königreich mit dem … Premierminister Winston Churchill an der Spitze sowie (ab Juni 1941) die unter der Diktatur Stalins stehende Sowjetunion. … Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945; die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki führten zur Kapitulation Japans am 2. 9.1945. … Über 60 Staaten auf der Erde waren direkt oder indirekt am Weltkrieg beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen.


(2) Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa beendet war (VE-Day), übernahmen die vier Hauptsiegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien sowie Frankreich die Hoheitsgewalt über das Deutsche Reich und teilten sein Gebiet untereinander in Besatzungszonen auf oder gliederten es aus. Dazu wurden die östlichen Gebiete des Deutschen Reiches, abgesehen vom sowjetisch verwalteten Norden Ostpreußens, unter polnische Verwaltung gestellt. Es entstanden neue deutsche Staaten und die Zeit, in der die vier Mächte die wiedererrichtete Republik Österreich und Deutschland besetzt hielten, nennt man daher auch Besatzungszeit.


(3) Die Reiter-, Motor-, Flieger-, Marine-, Nachrichten-HJ und weitere Sondereinheiten sprachen die technisch begabten und sportlichen Jugendlichen an  … Die Hitler-Jugend (HJ) war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Sie wurde ab 1926 nach Adolf Hitler benannt und unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern (98 % aller deutschen Jugendlichen) ausgebaut …


(4) Das Jungvolk war in der Zeit des Nationalsozialismus eine Jugendorganisation der Hitlerjugend für Jungen zwischen 10 und 14 Jahren. Danach wurde, wer nicht als Jungvolkführer in Übereinstimmung mit höheren Jungvolkführern im Jungvolk bleiben wollte, in die Hitlerjugend überwiesen. Ziel der Organisation war es, die Jugend im Sinne des Nationalsozialismus zu indoktrinieren, in Loyalität zu Adolf Hitler zu erziehen und vormilitärisch auszubilden … sie nannten sich umgangssprachlich für den jüngsten Jahrgang „Pimpf“ … Gleichschaltung aller Lebensbereiche … bestand bis zum Zusammenbruch des Nationalsozialismus im Jahr 1945.


(5) Der Erste Weltkrieg war ein bewaffneter Konflikt, der von 1914 bis 1918 in Europa, in Vorderasien, in Afrika, Ostasien und auf den Ozeanen geführt wurde. Etwa 17 Millionen Menschen verloren durch ihn ihr Leben, wobei die Schätzungen mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Etwa 40 Staaten beteiligten sich am bis dahin umfassendsten Krieg der Geschichte, insgesamt standen annähernd 70 Millionen Menschen unter Waffen. Die wichtigsten Kriegsbeteiligten waren Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich einerseits (Kriegsverlierer) sowie Frankreich, Großbritannien und sein Britisches Weltreich, Russland, Italien und die USA andererseits (Kriegsgewinner).


(6) Die mobile Form der Schmiede ist die Feldschmiede. Es handelt sich dabei um eine kleine Esse auf einem fahr- oder tragbaren Untergestell, einen kleinen Amboss und wenige ausgewählte Werkzeuge … Der Begriff stammt aus der Zeit, als auf Schlachtfeldern noch Schmiede für die Reparatur von Waffen und Gerätschaften, oft im Zusammenhang mit Wagen und Zugtieren, gebraucht wurden. Die Feldschmiede wird heute meist durch eine mobile, gasbeheizte Schmiedeesse ersetzt, beispielsweise bei Reitsportveranstaltungen, wenn die Anwesenheit eines Hufschmieds Pflicht ist.


(7) Oberschöneweide ist ein Ortsteil im Bezirk Treptow-Köpenick in Berlin. Er war einst eines der bedeutendsten städtischen Fabrikviertel Deutschlands. Die Geschichte von Oberschöneweide ist eng mit dem Elektrokonzern AEG verbunden, der seine damalige Weltgeltung von hier aus erlangte. Die Neue Automobil-Gesellschaft AG, auch N.A.G. oder NAG genannt, und 1915 in Nationale Automobil-Gesellschaft umfirmiert, war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ein großer Automobil- und Nutzfahrzeug-Produzent in Berlin-Oberschöneweide … Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten fusionierte die NAG zum 1.1.1931 mit Büssing zur Büssing-NAG Vereinigte Nutzkraftwagenwerke AG.


Alle Quellen: wikipedia


Auzug aus „Icke – ein Berliner Kindl – Erinnerungen an das Leben des Wolfgang F."; aufgeschrieben von Christen T. (2013), bearbeitet von Barbara H. (2023)

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