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Entsetzliche Grausamkeiten "im Namen der Deutschen"

Seine Kindheit erlebte Gerhard W. in einer schlesischen Familie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen (1) in Waldenburg. Er wurde 1918 geboren. Zur Familie gehörte der um acht Jahre ältere Bruder Otto und die zwei Jahre jüngere Schwester Ilse. Die Stadt Waldenburg war schlesisch, wurde 1945 polnisch und liegt zwischen dem Riesen- und dem Eulengebirge, etwa 65 km südwestlich von Breslau.

Er fühlte sich in seinem Leben so vielen Zwängen ausgesetzt, führte so ein fremdbestimmtes Leben und fühlte sich oft so ohnmächtig und nicht immer Herr seines Schicksals. Diese Erinnerungen waren für ihn ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Teil des kollektiven Gedächtnisses der Deutschen und er fand es wichtig, dass sie aufgeschrieben und gelesen werden.


Warum begeisterte Hitler so die Massen?

Heute verstehen viele Menschen nicht, die nach dem Krieg geboren wurden, wieso es Hitler und dem Nationalsozialismus (2) gelungen ist, so viele Menschen zu begeistern. Darüber denke ich oft nach. Ich war 1933 zwar erst 15 Jahre alt, bin aber mit offenen Augen durch die Welt gegangen.

Die Wirtschaft des Landes lag am Boden durch den Versailler Vertrag (3). Von den ca. 60 Millionen Deutschen waren mehr als 10 % arbeitslos, so wie mein Bruder, der jeden Tag „zum Stempeln“ (4) gehen musste. Auf dem Arbeitsamt bekam er dann Stempelgeld. Es gab viel Elend und Not.

Ins Ausland zu reisen war kaum möglich, man brauchte ein Visum, und das war nicht so einfach zu bekommen. Es gab in Deutschland kaum Ausländer. Ich kann mich nur an einen Russen erinnern, der war nach dem Ersten Weltkrieg nicht in seine Heimat zurückgekehrt. Farbige sah man vielleicht mal im Zirkus.

Um sich über das Tagesgeschehen zu informieren, gab es zwar Zeitungen, aber die wurden von den Nazis (5) nach und nach zu Propagandazwecken instrumentalisiert.

Der Rundfunk steckte damals noch in den Kinderschuhen. Erst allmählich verbreiteten sich Radios. Der kleine Volksempfänger aus Bakelit (6) kostete damals 35,-- Mark und war somit für viele Menschen zu teuer. Ein Telefon hatten nur Behörden und Firmen. Auch private PKW waren selten, erst unter Hitler gab es den Volkswagen für 990,-- Mark. Es wurde empfohlen, für die Anschaffung eines Autos pro Woche 1 Mark zu sparen.

Es gab über 30 politische Parteien, die alle viel versprochen haben. Mein Vater stand den Sozialdemokraten nahe, war allerdings immer skeptisch der Politik gegenüber. Meine Mutter hatte allerdings auch Verständnis für die Nazis, denn sie haben für die kleinen Leute viel getan. Es gab damals viele politische Diskussionen.

Manchmal hat mein Vater mich mitgenommen zu Parteikundgebungen. Und wenn dann eine Parteigröße seine Wahlparolen schrie (Mikrofone gab es nicht), sagte mein Vater zu mir: „Er hat Recht, aber der nächste Redner von der nächsten Partei hat ebenfalls Recht.“ Er riet mir, skeptisch zu sein und nicht alles zu glauben.

Das Eigenheim und der Straßenbau

Als Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht kam, wurde dafür gesorgt, dass Arbeitslose vor allem im Straßenbau Arbeit fanden. Die Arbeit war irgendwo in Deutschland, und die Arbeiter wurden dort in Baracken untergebracht und dort verpflegt. Ihre Familien bekamen Wohlfahrtsunterstützung. Viele Menschen konnten aufatmen, denn es ging ihnen besser. Sie hatten jetzt Perspektiven. Mein Bruder konnte bei der Volkshochschule den Meister machen und fand wieder Arbeit.

Durch die staatliche Förderung des Siedlungsbaus wurde es überall in Deutschland leichter, ein Eigenheim zu kaufen (7). In unserer Gegend hatten die Häuser etwa 600 qm Grundstück. Weil sie auch der Selbstversorgung dienen sollten, gehörte meistens auch ein kleiner Stall und ein Gemüsegarten dazu. Durch Eigenarbeit konnte man die finanzielle Belastung verringern. Das wurde auch von vielen Menschen praktiziert. Und die Familien, die ja früher größer als heute waren, waren dankbar und glücklich über ihr eigenes Häuschen.

Angebote für Jugendliche

Den Jugendlichen wurde in der Nazizeit viel geboten. Die verschiedenen Gruppen der Hitler-Jugend (HJ) (8) lockten die Jungen mit interessanten Angeboten in ihre Organisationen. Sie konnten reiten, fliegen und Motorrad fahren lernen. Mein Schwager war z.B. bei der Flieger-HJ und blieb lange ein begeisterter Nazi.

Auch für die Mädchen bot der Bund deutscher Mädel (BDM) (9) attraktive Freizeitaktivitäten. Die Ideologie dahinter haben sicher nur die wenigsten Menschen erkannt.

Laut Versailler Vertrag durfte Deutschland nur ein 100.000-Mann-Heer haben, das haben Hitler und die Nationalsozialisten aber nicht davon abgehalten, 1933 die allgemeine Wehrpflicht und den Reichsarbeitsdienst (RAD, 10) einzuführen. Dadurch blühte die Waffenindustrie auf, und viele Menschen fanden dort Arbeit. Ich frage mich nur, woher das Geld kam, mit dem diese Entwicklung finanziert wurde.

Diffuse Ängste: Menschen verschwanden

Deutschland war ja eine Diktatur, und es galt das „Führerprinzip“ (11). Wer in der Partei war, hatte Vorteile. Es herrschte Willkür, auch am Arbeitsplatz. So machte sich eine stille Hilflosigkeit breit. In vielen Familien, auch in meiner, kannte man die diffuse Angst, die einen beschlich, wenn jemand plötzlich verschwand. Es wurde dann gemunkelt, diese Person sei in einem Umerziehungslager. Die Menschen wurden mehr und mehr eingeschüchtert und verängstigt. Aber wenn irgendetwas bemängelt wurde, hieß es: „Wenn das der Führer wüsste, dann wäre es anders.“ Dieser Glaube an den „Führer“ war zählebig. Wohin das geführt hat, ist schrecklich, erschütternd und unendlich traurig!

Das Ausland hat tatenlos zugeschaut, als Hitler die „Wehrpflicht einführte“, als das „Sudetenland eingegliedert“ und „Österreich angeschlossen“ wurde, was vielen Menschen gefiel. Manche aber hatten ein ungutes Gefühl.

Konzentrationslager in Mauthausen

Vor einigen Jahren besuchte ich mal mit meiner Frau und meiner österreichischen Schwiegertochter Mauthausen in Österreich (Titelfoto). Das war einfach unbeschreiblich! Das Konzentrationslager (KZ, 12) lag an einem Granitsteinbruch. Die Gefangenen mussten damals die schweren Granitblöcke auf der Schulter über Leitern nach oben schleppen. Unvorstellbare Sklavenarbeit!

Wir sahen die schrecklichen Lagerunterkünfte und die „Buchführung“, wo jeder Gefangene namentlich notiert war. Einen gefangenen russischen General hatte man damals bei Eiseskälte mit kaltem Wasser bespritzt, bis er erfror. So etwas Unmenschliches haben Deutsche, bzw. in diesem Fall Österreicher, getan!

Meine Schwiegertochter hatte für uns eine Ferienwohnung besorgt, und wir lernten einen Mann kennen, der damals mit seinen Eltern vor dem Tor des KZ Mauthausen gelebt hatte. Er hatte als Kind gesehen, wie Fuhrwerke mit Leichenbergen aus dem Tor herausgefahren worden sind. Manchmal war eine Leiche herunter gefallen, so nachlässig war der Wagen beladen worden. Dieser Mann machte Führungen durch das KZ und konnte viel über die damaligen Zustände erzählen.

Ich war kein Nazi

Und ich, Gerhard, war ein erwachsener Mann, als all diese entsetzlichen Grausamkeiten in deutschem Namen geschahen. Dabei hatte ich nicht ein einziges Mal wählen können, weil ich bei der letzten Wahl noch viel zu jung war. Und Soldat war ich nicht freiwillig geworden. Trotzdem spüre ich eine Mitverantwortung für die unvorstellbaren Gräuel und Verbrechen, die in deutschem Namen geschehen sind. Immer, wenn ich Erklärungen suche und glaube, welche zu haben, kommt auch gleichzeitig die Angst hoch, als Nazi verdächtigt zu werden.

Eigentlich sollten doch diese Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg und den Millionen Toten so abschreckend sein, dass es keine Kriege mehr gibt – aber es gibt sie immer noch überall auf der Welt.

(1) Der 1. Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in Europa, in Vorderasien, in Afrika, Ostasien und auf den Ozeanen geführt. Etwa 17 Millionen Menschen verloren durch ihn ihr Leben. Er begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien … und endete am 11. November 1918.

Als 2. Weltkrieg wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet. In Europa begann er am 1. September 1939 mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen … Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945.

Quelle: wikipedia

(2) Adolf Hitler (1889 – 1945) war von 1933 bis 1945 nationalsozialistischer Diktator des Deutschen Reiches.

Ab Juli 1921 war er Vorsitzender der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), versuchte im November 1923 mit einem Putsch von München aus die Weimarer Republik zu stürzen. Mit seiner Schrift „Mein Kampf“ (1925/26) prägte er die antisemitische und rassistische Ideologie des Nationalsozialismus.

Quelle: wikipedia


(3) Durch die Kriegspläne Hitlers wurde die Wiederaufrüstung Deutschlands zu einem der zentralen Inhalte nationalsozialistischer Politik. Die Wiederbewaffnung hatte bereits während der Weimarer Republik heimlich begonnen und wurde seit der Machtübernahme der NSDAP forciert. Am 9. März 1935 verkündete der Reichsminister für Luftfahrt, Hermann Göring, die Existenz einer durch den Versailler Vertrag verbotenen deutschen Luftwaffe. Als massive Proteste aus dem Ausland ausblieben, führte das Deutsche Reich am 16. März 1935 die ebenfalls im Versailler Vertrag untersagte allgemeine Wehrpflicht wieder ein. Die Dauer des Wehrdienstes wurde zunächst auf ein Jahr festgesetzt und im August 1936 auf zwei Jahre verlängert. Das deutsche Friedensheer sollte aus 36 Divisionen mit insgesamt 580.000 Soldaten bestehen und bis 1939 kriegsfähig sein. Die Westmächte protestierten gegen die Wiederaufrüstung. Sanktionen der Großmächte blieben jedoch auch deswegen aus, weil Deutschland seine Wiederaufrüstung als gegen die kommunistische Sowjetunion gerichtet deklarierte.

Quelle: Fußnote aus dem Buch „Man wird gelebt“


(4) Stempelgeld ist eine veraltete umgangssprachliche Bezeichnung für das Arbeitslosengeld. Die Bezeichnung rührt von den Stempeln, mit denen sich ab den zwanziger Jahren Arbeitslose den Besuch auf dem Arbeitsamt auf einer „Stempelkarte“ bestätigen lassen mussten und wobei sie einen bestimmten Geldbetrag ausgezahlt bekamen. Teilweise hatten sich die Erwerbslosen täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich auf der Stempelstelle zu melden.

Quelle: Fußnote aus dem Buch „Man wird gelebt“


(5) Nazi ist ein Kurzwort für Anhänger des Nationalsozialismus

Quelle: wikipedia


(6) Unter dem Namen Bakelit wurde der erste vollsynthetische, industriell produzierte Kunststoff hergestellt und vermarktet, der 1905 vom belgischen Chemiker Leo Handrik Baekeland entwickelt wurde …

Quelle: wikipedia


(7) Im nationalsozialistischen Deutschland spielte der Siedlungsbau eine große Rolle als Gegenpol zu den als „bolschewistisch“ abgelehnten Mietskasernen und den als liberal kritisierten Villen. In Siedlungen sollten die Siedler in kleinen Einfamilienhäusern mit Kleinviehhaltung und Nutzgarten isoliert werden, so dass das Entstehen revolutionärer Strömungen verhindert werden sollte.


(8) Die Hitler-Jugend (HJ) war die Jugend- und Nachwuchsorganisation der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1926 – 1945. Sie wurde ab 1926 nach Adolf Hitler benannt und unter der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland ab 1933 zum einzigen staatlich anerkannten Jugendverband mit bis zu 8,7 Millionen Mitgliedern (98 Prozent aller deutschen Jugendlichen) ausgebaut.

Quelle: wikipedia


(9) Der Bund Deutscher Mädel (BDM) war in der Zeit des Nationalsozialismus der weibliche Zweig der Hitlerjugend (HJ). Darin waren im Sinne der totalitären Ziele des NS-Regimes die Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren organisiert. Außerdem gab es in der HJ den Jungmädelbund (JM) für 10- bis 14-jährige Mädchen, auch Kükengruppen genannt. Aufgrund der ab 1936 gesetzlich geregelten Pflichtmitgliedschaft aller weiblichen Jugendlichen, sofern sie nicht aus „rassistischen Gründen“ ausgeschlossen waren, bildete der BDM die damals zahlenmäßig größte weibliche Jugendorganisation der Welt mit 4,5 Millionen Mitgliedern im Jahr 1944.

Quelle: wikipedia


(10) Von der Reichswehr zur Wehrmacht: Die Heeresstärke wurde nach dem Ersten Weltkrieg auf 100.000 Mann begrenzt, die allgemeine Wehrpflicht verboten. Deutschland war ... durch den Versailler Vertrag militärisch neutralisiert worden. Vom März 1921 an wurden die deutschen Streitkräfte „Reichswehr“ genannt, die Soldaten auf die Weimarer Verfassung vereidigt ... Noch am Todestag Hindenburgs 1934 wurde die Vereidigung der deutschen Soldaten auf Hitler vorgenommen, der 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder einführte und die Reichswehr fortan „Wehrmacht“ nannte. Die Kriegsmaschinerie des Deutschen Reiches war in Gang gesetzt. Die NS-Propaganda erhob den kriegerischen Dienst an der Waffe zur wahren Bestimmung des deutschen Mannes.

Quelle: www.planet-wissen.de

Der Reichsarbeitsdienst (RAD) war eine Organisation im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts wurden ab 1935 verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.

Quelle: wikipedia

(11) Das Führerprinzip … war ein politisches Konzept und eine Propagandaformel im deutschen Nationalsozialismus. Demnach sollte Adolf Hitler nicht nur militärisch, sondern analog auch in allen politischen und rechtlichen Gebieten ohne Kontrollinstanzen die oberste Befehlsgewalt haben. Es ordnet im Allgemeinen eine Gruppe … ohne Einschränkungen den Entscheidungen des jeweiligen Führers unter. Das Führerprinzip beinhaltet die „Autorität jedes Führers nach unten und Verantwortlichkeit nach oben“. Mehrheitsentscheidungen finden nicht statt. Entscheidungen werden von einer einzelnen Person getroffen, der gegebenenfalls Berater beigeordnet sind.

Quelle: wikipedia


(12) Der Begriff Konzentrationslager (KZ) steht seit der Zeit des Nationalsozialismus für die Arbeits- und Vernichtungslager des NS-Regimes. In einem weiteren Sinn werden mit diesem Wort auch Internierungslager im Allgemeinen bezeichnet. Die KZ wurden im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten von Organisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) errichtet. Es bestanden schließlich rund 1.000 KZ. Sie dienten der Ermordung von Millionen Menschen, der Beseitigung politischer Gegner, der Ausbeutung durch Zwangsarbeit, medizinischen Menschenversuchen und der Internierung von Kriegsgefangenen. Das Lagersystem stellte ein wesentliches Element der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft dar. Weite Zweige der deutschen Industrie profitierten direkt oder indirekt von ihm …

Das KZ Mauthausen war das größte KZ der Nationalsozialisten auf dem Gebiet Österreichs, der Ostmark, ab 1942 Alpen- und Donau-Reichsgaue. Es befand sich 20 km östlich von Linz in Mauthausen und bestand vom 8. August 1938 bis zu seiner Auflösung nach der Befreiung seiner Insassen durch US-amerikanische Truppen am 5. Mai 1945. Im KZ Mauthausen und seinen Nebenlagern wurden rund 200.000 Menschen inhaftiert, von denen mehr als 100.000 ums Leben gekommen sind. Auf dem Gelände des ehemaligen KZ befindet sich seit 1947 eine Mahn- und Gedenkstätte der Republik Österreich.

Quelle: wikipedia

Auszug aus „Man wird gelebt“, erzählt von Gerhard W., aufgeschrieben von Rosi A. (2013), bearbeitet von Barbara H., 2022

Foto: dozemode/Pixabay

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