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Kindheit im Krieg: "Familienzusammenhalt nahm mir die Angst"

Die Eltern von Inge B. änderten ihr Leben, als sie 1932 ihre Tochter bekamen. Die Mutter arbeitete bis dahin als Direktrice im Kaufhaus Alsberg in Dresden, der Vater verdiente das Geld in einem Mühlenbetrieb, war oft auf Montage, auch im Ausland. Um „in Familie“ zu machen, zogen die Eltern erst nach Fürth in Bayern und 1936 nach Krefeld in Nordrhein-Westfalen. 1939 kam der Bruder zur Welt, in dem Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg (1) begann.


Rheinbrücke bei Krefeld (Foto: NinaDreamer/Pixabay)

Puppenspiele

Ungefähr 1937 bekam ich eine Puppe, mit der ich gerne spielte. Sie bekam den Namen Ursula. Ich weiß nicht mehr, ob ich den Namen selbst aussuchte oder meine Mutter ihn vorschlug. Mein Bruder, der 1939 geboren wurde, hätte nämlich als Mädchen auch Ursula heißen sollen. Einen Puppenwagen hatte ich auch, um mit ihr spazieren zu gehen, es gab ja gegenüber unserer Wohnung den Park an der Linner Burg.


Symbolfoto: Barbara H.


Da mein Vater Schreiner war, baute er mir einen Puppenschrank. Darin hingen dann die Kleider, die meine Mutter für die Puppe schneiderte. Immer so im Oktober oder November wurde mir meine Ursula weggenommen und nach Dresden geschickt zu meiner Großmutter.

Zu Weihnachten kam sie dann mit neuen gehäkelten Kleidchen wieder zurück. Meine Mutter nähte sogar kleine Mäntelchen, mit Lammfellkragen, das war schon was Besonderes! Als Kind wusste ich natürlich nicht, dass nicht alle Kinder solche Spielsachen hatten, für mich war das ja normal.


Genauso wunderte ich mich später, dass es in der Schule Kinder gab, die keine Schlafanzüge oder Nachthemden hatten und in Unterhose und Unterhemd ins Bett gingen. Bei uns wurde sich abends gewaschen und wir zogen einen Schlafanzug an. Was ich als Kind hasste, war der Friseurbesuch.

Ich hatte als kleines Mädchen so einen Bubikopf und vorne eine Schmalzlocke, die wurde mit einem Kamm festgesteckt. Das musste ja geschnitten werden. Und weil ich das so furchtbar fand, bekam ich einen Lutscher versprochen, damit ich stillsaß. Normalerweise gab es bei uns keine Lutscher, meine Mutter wollte das nicht, aus Angst da könnte ja Dreck drankommen und ich lutsche das dann.

Aber da saß ich still, bis ich dann den Lutscher kriegte. Für einen Lutscher tat ich alles!


Symbolfoto: Barbara H.


Nachdem 1939 mein Bruder Manfred geboren worden war, zogen wir innerhalb Krefelds von Linn um in die Wohnung am Rheinhafen. Mein Vater blieb noch im Gesangsverein in Linn. Dort wurde ich später als Backfisch in die Gesellschaft eingeführt und lernte auch das Tanzen. Mein Vater tanzte prima. Das war dann kurz nach dem Krieg, als es ja nicht viel Unterhaltung gab.


Glück: Vater musste nicht in den Krieg

Mein Vater war Jahrgang 00, „Lokus-Jahrgang“, wie er immer sagte. Er hatte ein Augenleiden und trug eine dicke Brille. Er war also im ersten Weltkrieg zu jung und im zweiten zu alt, um Soldat zu sein. Außerdem war er wichtig für die Firma, eine Mühle, die Getreide zu Mehl verarbeitete, denn das Volk musste ja ernährt werden. Wir waren also während der ganzen Kriegsjahre mit den Bombenangriffen immer als Familie zusammen. Und Bombenangriffe gab es hier viele.


Der Rheinhafen war mit den vielen Fabriken, wie Rheika, Oelwerke Alberdingk Boley, IG-Farben, heute Bayer Werke, und so weiter ein bevorzugtes Ziel für Bombenangriffe. Das war auch zum Ende des Krieges so, als man fast jeden Abend in den Keller gehen musste.

Meine Mutter brauchte keine Angst um ihren Mann zu haben, das ist mir erst später als erwachsene Frau klar geworden, wie friedlich das für uns Kinder war. Denn eine Frau, deren Mann im Krieg war und die ständig die Sorge haben musste, ob der Mann zurückkommt und was mit ihr und den Kindern wird, wenn er nicht zurückkommt, diese Belastung mussten meine Mutter und damit auch wir Kinder nicht erleben.


Symbolfoto: Fachdozent/Pixabay


Da mein Vater Schreiner war, reparierte er damals auch alles selbst: ob ein Fenster rausgeflogen war oder die Dachziegel runter gefallen waren. Auch den Ausbau des Kellers zum Luftschutzraum im Haus am Rheinhafen führte er durch. Wir wohnten in einem Doppelhaus, dort wurde dann die Wand durchgeschlagen zwischen den beiden Waschküchen. Im Nebenhaus wurde die Waschküche durch Stützen zum Luftschutzkeller umgebaut, vor die Fenster kamen Stahlplatten und der andere Raum blieb Waschküche für beide Häuser.


Glück: Wir mussten nie hungern

Auch hatten wir das Glück, dass wir während des Krieges und auch während der Nachkriegszeit nie hungern mussten. Mein Vater erhielt Deputat (2) von seinem Arbeitgeber. Unsere Mahlzeiten waren zwar sehr einseitig, mit Mehl, Grütze und Grieß, aber hungern mussten wir nie.


Symbolfoto: Pexels/Pixabay

Meine Mutter konnte sehr gut kochen und auch sehr gut nähen. Sie war überhaupt eine sehr intelligente Frau. Mir tut es heute noch leid, dass sich eine Frau mit ihrem Intellekt zu der Zeit nur hochgearbeitet hatte von der Verkäuferin zur Direktrice, heute sagt man Abteilungsleiterin, obwohl sie eigentlich gerne Lehrerin geworden wäre. Doch das ließ sich damals nicht verwirklichen, es fehlte das Geld, denn ihre Mutter war Witwe.


Mein Vater war musisch sehr begabt, bei uns lief immer das Radio. Er konnte alle Tenöre oder Bässe sofort an der Stimme erkennen. Ich erinnere mich noch genau, wie er sich mit dem Ohr näher zum Radio lehnte und sagte: „Das ist doch der Peter Anders (3)!". So habe ich als Kind auch schon die klassische Musik aufgesogen, ob es Opern waren oder Operetten.


Seit dem Umzug nach Krefeld hatten meine Eltern ein Abonnement am Theater in Krefeld. Dort besuchte ich auch mein erstes Weihnachtsmärchen „Schneeweißchen und Rosenrot“. Unser Bücherschrank stand voller Bücher, es wurde immer viel gelesen zuhause.



(1) Als Zweiter Weltkrieg, 1939 bis 1945, wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte im 20. Jahrhundert bezeichnet.

In Europa begann er am 1. September 1939 mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen. … Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945, die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki führten zur Kapitulation Japans am 2. September 1945 und damit zum Kriegsende.

Über 60 Staaten auf der Erde waren direkt oder indirekt am Weltkrieg beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen …

(2) Der Deputatlohn ist in der Wirtschaft ein aus Naturalleistung bestehender Anteil des Lohns oder Gehalts.

(3) Peter Anders war ein deutscher Opernsänger (Tenor), 1. Juli 1908 – 10. September 1954. … 1938 wurde er Mitglied der Bayerischen Staatsoper München, 1939 folgte ein Engagement an der Berliner Staatsoper. Er wurde auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste von Reichspropagandaminister Goebbels als wichtiger Künstler aufgenommen ...

[zurück] Alle Quellen: wikipedia

Auszug aus „Schwanengesang“, erzählt von Inge B.; aufgeschrieben von Birgit L.; bearbeitet

Auszug von Barbara H.(2023)


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