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Kranken Menschen zu helfen ist etwas Schönes

Annelies M. wurde im August 1926 in Gaablau im Riesengebirge/Niederschlesien geboren. 1947 musste sie mit ihren Eltern, einem Bruder und einer Schwester, ihre schlesische Heimat verlassen musste. Zuerst kamen sie nach Sachsen-Anhalt, von dort floh sie später in den Westen, wo sie über das Münsterland 1952 nach Düsseldorf gelangte. Dort arbeitete sie zuerst in dem noch heute bestehenden Marienhospital (1) als Haushaltshilfe und begann später eine Ausbildung zur Krankenschwester im Marienhospital und lernte ihren Mann Franz M. kennen.



Meine lebensverändernde Entscheidung

Die ersten zwei Jahre meiner Arbeit im Marienhospital war ich auf der Chirurgischen Männerstation. Man unterhielt sich immer wieder mit Patienten über dieses oder jenes. Da kam auf einmal der Gedanke eines Patienten: „Sagen sie mal“, das galt mir, „warum sind sie eigentlich nicht Krankenschwester geworden, das wäre doch der richtige Beruf für sie. Anstatt hier zu putzen, wären sie eine gute Krankenschwester, davon bin ich überzeugt.“


Nun ließ mich dieser Gedanke nicht mehr los. Das hörte sich gut an, es war mal was anderes. Ich habe diese Idee dann meiner Mutter geschrieben, aber sie hat mir abgeraten. Sie meinte: „Nein, das ist kein Beruf für dich, dafür sind deine Nerven nicht geeignet.“

Ich schrieb dann auch noch meiner früheren Lehrerin, die ja jetzt in Vinnum/Münsterland lebte, und sie war ganz begeistert von dem Gedanken. Ich war also fest davon überzeugt, es versuchen zu wollen. Die Nonnen waren ebenfalls ganz angetan, als ich mit der Bitte zu ihnen kam.

Im Marienhospital konnte man auf den einzelnen Stationen auch alles in der Krankenpflege lernen. Am 1. April 1954 war es dann soweit: ich trat in die Krankenpflegeschule (2) ein.

Ich weiß nicht mehr, wie viel schlaflose Nächte ich davor hatte, denn es begann für mich ein ganz neues Leben.

Etwas sehr positives muss ich hier noch erwähnen: Von dem Tage an, als man die Schwesterntracht anhatte, wurde man überall im Haus als ein ganz anderer Mensch behandelt, man war auf einmal „Wer“. In den ersten Wochen war es schon eine große Überwindung, anstatt mit dem Putzlappen zu arbeiten, oder Küchenarbeit zu erledigen, Fieber zu messen, die Patienten auf „den Thron“ (3) zu setzen, Betten herzurichten und Urin ins Labor zu bringen.


Der neue Alltag

In den zwei Jahren Lehrzeit bekam ich, außer freier Kost und Logis, keinen Pfennig Geld. So waren wir auf die Spendenfreudigkeit der Patienten angewiesen. Ich habe mir durch Nachtwachen bei frisch operierten oder hilfsbedürftigen Patienten etwas dazuverdient. Dies wurde damals mit durchschnittlich 10 DM von den Patienten bezahlt. Natürlich musste ich nach einer Nachtwache, die von 20 bis 7 Uhr ging, sofort zum Dienst auf meine Station.

Ich hatte aber eine wunderbare Stationsschwester: „Schwester Gerlinde“, die mir die Möglichkeit gab, mich für eine Stunde hinzulegen. Sie war auch Nonne, in meinem Alter und hatte auch sonst für alles Verständnis.

Nun war das damals im Krankenhaus noch ganz anders als heute, nicht so komfortabel für die Patienten. So gab es bei uns auf der Frauenchirurgie fünf Zimmer, drei Achtbettzimmer und zwei Vierbettzimmer. Es war nicht so einfach zu entscheiden, welche Patientin wo am Besten aufgehoben war. Schwester Gerlinde hatte aber eine sehr gute Menschenkenntnis und fand oft die richtige Lösung. In den großen Zimmern gab es aber trotzdem ab und an Reibereien. In diesen Zimmern haben hauptsächlich Frauen mit Knochenbrüchen und leichteren Operationen, wie Blinddarm oder Leistenbruch, gelegen. In den Vierbettzimmern lagen Patientinnen mit größeren Operationen.

Auf unserer Station gab es zwei examinierte Krankenschwestern, zwei Schwesternschülerinnen, zwei Hausmädchen und die Stationsschwester.


Die Arbeit begann morgens um 7 Uhr mit Frühstück verteilen, dabei halfen die Hausmädchen mit. Danach bekamen wir unser Frühstück. Das dauerte so eine halbe Stunde und dabei wurde alles besprochen, was am Vormittag zu tun war.

Die examinierten Schwestern wechselten wochenweise die Arbeit. Eine Woche war eine für die Spritzen und Verbände zuständig, und die andere Woche für die Vorbereitung der zu operierenden Patientin. Die Schwesternschülerinnen halfen dabei.

Mittags, wenn wir mit unserer Arbeit fertig waren, konnten wir im Schwesternzimmer essen und danach hatten wir zwei Freistunden. Eine von uns musste aber immer auf Station bleiben.

Zwischen 14 und 16 Uhr war Besuchszeit, besonders sonntags war es sehr voll. Manchmal war es dann schwer, die Besucher um 16 Uhr hinaus zu bekommen. Dann war unser letzter Versuch, wir stellten einen Ständer mit „Thrönchen“ ins Zimmer, das half. Um 16 Uhr wurden noch einmal die Betten gemacht, es gab Abendbrot und danach wurden die Medikamente für die Nacht verteilt.

Oft gab es von Schwester Gerlinde dann noch „Seelenmassage“, die war meist wichtiger als die Medikamente. Wenn alles normal verlief, durften wir um 20 Uhr gehen.

Obwohl ich viel Arbeit hatte, war es für mich eine wunderschöne Zeit. Den Menschen in ihrer Krankheit zu helfen ist etwas Schönes, ich werde diese Jahre nie vergessen.


Mit Musik geht alles besser

Im Marienhospital habe ich dann mein Examen gemacht und bin geblieben, bis ich geheiratet habe. Alle waren so nett zu mir, besonders die Patienten, ich habe sie natürlich auch verwöhnt.

Zuerst war ich auf der chirurgischen Männerstation, später auf der Frauenchirurgie, von 1956 bis August 1958. Es war die Station mit der meisten Arbeit. Meine Kollegin Helga fuhr abends immer nach Hause und dann war Schwester Gerlinde allein auf Station.

Abends waren aber oft alte Frauen, die das Bett nass machten, und da fragte sie mich, ob ich nicht noch eine Stunde bleiben könnte, um ihr zu helfen. Ich habe natürlich geholfen und bin manchmal sogar bis 22 Uhr geblieben, denn es hat mir Freude gemacht.

Manchmal habe ich mich abends auf den Flur gesetzt und Gitarre gespielt. Alle Türen zu den Zimmern waren offen und viele der Patienten sagten, das wäre besser als all die Tabletten. Ich bin dort richtig aufgeblüht, weil meine Arbeit geachtet wurde.


Die „Tante“ bei der „Salathexe“

Etwas möchte ich noch sagen über unser Privatleben als Schwester. Als wir die Lehre antraten, waren wir zu sieben. Sie kamen aus sämtlichen Gegenden Westdeutschlands. Die meisten kamen von einer Fachschule, ich war die Älteste, 24 Jahre alt. So wurde ich von allen als „Tante“ betitelt, das ist geblieben, bis wir uns nach dem Examen trennten.

Unsere Zimmer waren im Dachgeschoß des Krankenhauses und wir mussten uns zu viert ein Zimmer teilen. Abends erzählte jede ihre Erlebnisse des Tages, da war es nie langweilig, Fernsehen gab es damals noch nicht, aber das haben wir nicht vermisst. Wir hatten untereinander ein gutes Verhältnis, das hat sich bis zu unserer Trennung nach dem Examen nicht verändert.


Wenn ein Schwesternkurs bestanden hatte, gab es immer eine Examensfeier, zu der alle eingeladen waren: alle Ärzte, Schwestern und auch die Nonnen. Ausgerichtet wurde die Feier immer von den Schwesternschülerinnen des darauf folgenden Jahrgangs.

Als unser Kurs mal an der Reihe war, die Feier zu gestalten, haben wir ein Theaterstück aufgeführt, es hatte den Titel: „Die Salathexe“, ich musste als Magd auftreten.

Als ich zur Tür rein kam, wurde ich schon mit Beifall empfangen, auch die Ärzte hatten ihren Spaß. Ich muss eine gute Figur abgegeben haben, Theaterspielen war für mich schon immer etwas Schönes.

Jedenfalls haben wir für diese „Salathexe“ viel Beifall geerntet. Sogar unser Chefarzt der Chirurgie konnte herzlich lachen, das war man im Alltag von ihm nicht gewohnt. Egal wo er sich aufhielt, im Operationssaal oder auf Station, er konnte oft beim Personal oder den Patienten die Beherrschung verlieren.


(1) Das Marienhospital Düsseldorf ist ein katholisches Krankenhaus, das 1870 durch Nonnen des Franziskanerordens in Betrieb genommen wurde.


(2) Krankenpflegeschule „heute auch Gesundheits- und Krankenpflegeschule, historisch Schwesternschule (wegen der Berufsbezeichnung Krankenschwester), ist eine Berufsfachschule zur Ausbildung in bestimmten Pflegeberufen. Es gibt sowohl private als auch staatliche Krankenpflegeschulen.“


(3) „Thrönchen“ ist ein umgangssprachlicher Begriff für einen Nachttopf oder eine Bettpfanne. Dieser wird speziell in der Krankenpflege bei bettlegerigen Patienten verwendet.


Auszug aus „Von Ost nach West – Die spannende Reise von Annelies M. Aus der alten Heimat in eine neue“, erzählt von Annelies M., geschrieben und Auszug von Gaby G.

Foto: GDJ/Pixabay

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