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Einmal bei der Post, (fast) immer bei der Post

Ilse W. wurde 1925 in Seidenberg (1) in Schlesien (2) geboren. Als ihre Mutter verstarb, war sie neun Jahre alt. Sie und ihre jüngere Schwester wurden vom Vater und zunächst von der Großmutter, dann später von der Stiefmutter, großgezogen. Nach der Vertreibung führte sie das Schicksal nach Lautawerk (3), wo sie 1947 Horst beim Faschingstanz kennenlernte. Als er sich drei Jahre später nach Westdeutschland absetzte, folgte sie ihm wenige Monate später nach Krefeld, von wo aus sie, nach ihrer Heirat 1952, gemeinsam die ganze Welt bereisten.



Berufsausbildung im Krieg – vom Postschalter ins Telegrafenamt

Als ich nach dem Pflichtjahr (4) nach Seidenberg zurück kam, wusste ich nicht, was ich beruflich machen sollte. Ich besuchte häufig eine Freundin, deren Vater Vorsteher bei der Post in Seidenberg war. Eines Tages sprach der Vater mich an: „Du weißt doch nicht, was du beruflich machen sollst, oder? Ich suche hier jemanden.“ „Ich kann ja mal versuchen, ob es mir gefällt, hier bei der Post.“ Und so kam ich zu meinem Beruf bei der Post.

Bei der Post gefiel es mir gut, die Arbeit war abwechslungsreich. Manches Mal musste ich auch beim Verladen helfen, aber hauptsächlich arbeitete ich postintern. Mittags brachten die Briefträger die Post, die von uns abgestempelt werden musste. Danach durfte ich die Kunden am Schalter bedienen. Zusätzlich unterrichtete mich der Vorsteher ein wenig. Als Postbedienstete hatte ich auch immer freie Fahrt mit dem Bus bis Görlitz.

Wenn in Seidenberg nicht genug zu tun war, wurde ich manchmal für einige Wochen in Waldenburg im Glatzer Bergland auf der Post eingesetzt. Auch in Marklissa, in der Nähe von Seidenberg, arbeitete ich oft bei der Poststelle. Ich wohnte sogar einige Zeit in Marklissa und teilte mir dort ein Zimmer mit einer jungen Postkollegin. Ich erinnere mich, dass uns, damit wir baden konnten, eine Zinkwanne ins Zimmer gestellt wurde.

Zusätzlich zu meinen bisherigen Ausbildungsinhalten wollte ich auch die Telegraphie lernen. Da es diese Abteilung bei der Post in Seidenberg nicht gab, musste ich für das letzte halbe Ausbildungsjahr nach Görlitz wechseln. Zuerst arbeitete ich auch im Telegrammdienst, aber dann änderte sich die Situation wegen des nahenden Kriegsendes. Viele Städte in der Umgebung waren schon geräumt worden, die Menschen waren weggezogen. Ich wurde ins Telegraphenamt versetzt und leistete im Fernamt viel Nachtdienst. Bereits zu der Zeit konnte man den Geschützdonner in der Ferne hören.


Eine furchtbare Situation werde ich nie vergessen! Eines Tages, als wir aus dem Nachtdienst kamen, hingen an den Bäumen am Marktplatz Soldaten. Die hatte man aufgehängt, weil man sie als Deserteure bezeichnete.


Nach der Flucht aus der DDR: Schnellamt, Fernamt … Hauptsache Post

Drei Monate, nachdem mein Freund Horst in den Westen gegangen war, nahm ich Urlaub bei der Post. Meine Kolleginnen vermuteten schon „Dann wirst du ja wohl drüben bleiben.“ – „Nee, ich bleib nicht drüben!“ Aber ich hatte schon den Gedanken: „Dann fährst du rüber und bleibst auch drüben.“

Eines Tages setzte ich mich in den Zug und fuhr bis zur Grenze. Den Helfern, die die Flüchtlinge über die Grenze brachten, musste man 50 Mark bezahlen. An der Grenze mussten wir ewig lange warten, bis die Helfer endlich kamen und sagten: „Ihr könnt jetzt los, die Grenzer sind weg!“

Wir Flüchtlinge liefen über eine Wiese und wateten durch einen breiten Bach. Auf der anderen Seite des Baches hieß es „Ihr seid schon im Westen!“ Wir hatten es geschafft, alle mit nassen Füßen. Wir wurden in das Lager Poggenhagen bei Hannover gebracht.

Das war ein spezielles Flüchtlingsjugendlager für minderjährige Flüchtlinge ohne Familienanschluss aus der SBZ (5) bzw. DDR. Vom Lager aus schrieb ich an Horst, er möge mir doch bitte fünf Mark schicken. Warum ich gerade diese fünf Mark haben wollte, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich wollte ich nur etwas Geld in der Tasche haben.


Nach der Entlassung aus dem Lager wollte ich mit dem Zug nach Krefeld fahren. Am Bahnhof kam auch ein Zug angefahren, und in den stieg ich ein. Als der Schaffner kam, teilte er mir mit “Sie sind hier falsch!“ – „Wieso? Der Zug geht doch nach Krefeld!“ – „Nein, der Zug hier geht nach Kleefeld!“ Also verließ ich den Zug und fuhr mit dem Gegenzug wieder zurück.


Irgendwann kam ich tatsächlich in Krefeld an! Als ich hier in Krefeld am Bahnhof ankam, hatte der kein Dach mehr. Man konnte in den Himmel gucken! Ich dachte: „Mein Gott, wo bist du hier gelandet?!“ Da ich bis dahin noch nie eine bombardierte Stadt gesehen hatte, war das ein völlig neuer Anblick für mich. Ich erinnere mich heute noch gut an den Bahnhof ohne Dach, wo man bis in den Himmel gucken konnte.


Im Laufe der Überlegungen, wie es nun weitergehen sollte, wurde auch erwähnt, dass ein Kaffeehaus auf der Martinstraße eine Haushälterin suchte. Ich ging dann auch sofort los und bewarb mich. Glücklicherweise wurde ich genommen und hatte außer der Arbeit auch gleich ein Zimmer beim Kaffeehaus. Ich arbeitete dort ein halbes Jahr und verdiente monatlich 60 Mark. Drei Monate musste ich auf ein Paar Kunstlederstiefel sparen, auf die ich ganz scharf war!


Während meiner Beschäftigung im Kaffeehaus bewarb ich mich wieder bei der Post. Als Antwort bekam ich den Satz: „Schalterdienst ist nicht, aber Fernamt wäre eine Möglichkeit.“

Da ich in Görlitz ja auch beim Fernmeldeamt gearbeitet hatte und die erforderlichen Kenntnisse besaß, kündigte ich beim Kaffeehaus, nahm das Angebot der Post an und wurde zum 1. April 1951 eingestellt.


Ich begann meine Arbeit beim Fernmeldeamt Krefeld auf dem Jungfernweg. Meine erste Arbeitsstelle war ein Platz im Schnellamt. Dort ging es um Telefongespräche, die schnell vermittelt werden konnten, z.B. um Ortsgespräche oder Gespräche in umliegende Orte.


Die Leistung der Telefonistinnen wurde geprüft und beurteilt, indem sich Prüferinnen in die Gespräche aufschalteten. Bei einer guten Benotung konnte man ins Fernamt wechseln. Obwohl eine gute Leistung für einen Wechsel ins Fernamt Bedingung war, wurde die Arbeit im Fernamt nicht besser bezahlt. Beim Fernamt wurden Telefongespräche vermittelt, die in weiter entfernte Städte gingen, z.B. nach Berlin oder ins Ausland. Die Mitarbeiter sowohl für das Schnellamt als auch für das Fernamt saßen im gleichen Saal, allerdings auf zwei verschiedenen Seiten.


Als das Fernamt in Krefeld aufgelöst wurde, musste ich mich entscheiden, ob ich zum Fernamt nach Düsseldorf oder zur Post in Krefeld wechseln wollte. Ich entschied mich für die Post in Krefeld. Zuerst war meine Arbeitsstelle im alten Postgebäude auf der Steinstraße. Als eine neue Post auf der Hubertusstraße Ecke Blumenstraße eröffnet wurde, wechselten wir dorthin. Von der Steinstraße und der Hubertusstraße aus radelte ich täglich in der Mittagspause nach Hause. 180 Mark verdiente ich damals bei der Post.



(1) Zawidów (deutsch Seidenberg, obersorbisch Zawidow) ist eine Stadt im Powiat Zgorzelecki („Kreis Zgorzelec“) in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Sie ist Mitglied der Euroregion Neiße.

Die Stadt liegt in Niederschlesien rechtsseitig des Grenzbaches Katzbach (Koci Potok) im Isergebirgsvorland, 16 Kilometer südlich von Görlitz/Zgorzelec unmittelbar an der Grenze zu Tschechien im polnischen Teil der Oberlausitz.


(2) Schlesien (schlesisch Schläsing, schlonsakisch Ślůnsk, sorbisch Šleska, polnisch Śląsk, tschechisch Slezsko, lateinisch Silesia) ist eine Region in Mitteleuropa beiderseits des Ober- und Mittellaufs der Oder und erstreckt sich im Süden entlang der Sudeten und Beskiden. Schlesien liegt nach Veränderungen in den Jahren 1922 und 1945 heute zum größten Teil in Polen. Ein kleiner Teil im Westen der früheren preußischen Provinz Niederschlesien gehört zu Deutschland, das Hultschiner Ländchen im südlichen Teil von Oberschlesien zu Tschechien.

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(3) Lautawerk ist der Name einer Gemeinde und späteren Ortsteiles der Gemeinde Lauta. Lauta (sorbisch Łuty) ist eine Kleinstadt im Norden des sächsischen Landkreises Bautzen. Lauta gehört historisch zur Oberlausitz, wurde jedoch in der DDR, gleichsam wie Hoyerswerda, zur Niederlausitz gerechnet. Die umliegenden Ortschaften, wie Ruhland und Hoyerswerda, bekennen sich heute wieder zur historischen Oberlausitz. In Lauta wird die Zugehörigkeit zur Niederlausitz betont.


(4) Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes. Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.

Die Mädchen und Frauen sollten so auf ihre zukünftigen Rollen als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Darüber hinaus konnte so in vielen Haushalten die fehlende Arbeitskraft der Männer, die als Soldaten im Krieg waren, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.


(5) Die Sowjetische Besatzungszone (SBZ), Sowjetzone oder Ostzone (umgangssprachlich auch Zone genannt) war eine der vier Besatzungszonen, in die Deutschland 1945 entsprechend der Konferenz von Jalta von den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges aufgeteilt wurde. Zur SBZ gehörten die mitteldeutschen Länder Sachsen und Thüringen, die Provinz Sachsen-Anhalt, ein großer Teil der Provinz Brandenburg sowie Mecklenburg und Vorpommern. Nicht dazu gehörten die deutschen Ostgebiete, die von Polen und der Sowjetunion bis zu einer friedensvertraglichen Regelung verwaltet werden sollten.


Auszug aus „Von Schlesien an den Niederrhein – und weiter in die ganze Welt“, erzählt von Ilse und Horst W., geschrieben von Marlies S., bearbeitet von Uwe S.


Foto: Gentle07/Pixabay

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