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Schule zerstört: Das Unfassbare erklären

Gerda K. wurde 1933 als drittes Kind geboren. Da waren ihre Geschwister schon elf und zwölf Jahre alt. Der Vater war Maschinenschlosser in der GEG-Seifenfabrik im Düsseldorfer Hafen und verdiente nicht viel Geld. In ihrem Geburtsjahr wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Umbruch von einer Demokratie zu einer Diktatur nahm seinen Lauf. Gerda war acht Jahre alt, da starb ihre geliebte Mutter. Schulbesuche waren während des Krieges und auch danach teilweise gar nicht möglich gewesen.


Schulalltag nach dem Krieg in Düsseldorf

Nach einer langen Flucht – mein Vater hatte mich nach einer Kinderlandverschickung nach Hause geholt – integrierte ich mich allmählich wieder in den Alltag in Düsseldorf. In die Schule brauchte ich zunächst noch nicht zu gehen. Ich sollte mich erst einmal erholen.

Sirenen hatten den Alltag bestimmt. Der ständige Wechsel zwischen Alarm und Entwarnung, das Aufsuchen des Kellers oder Bunkers ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Es war noch vor Kriegsende, 1944, als ich erstmals wieder zur Schule gehen wollte. Da standen wir Kinder eines Morgens sprachlos vor unserer Schule auf der Brehmstraße (Foto oben: Haus auf der Brehmstraße hinter den Schulgeländen nach dem Luftangriff vom 12. Juni 1943 / Quelle: Stadtarchiv Düsseldorf). Sie war nur noch ein schwach rauchender Trümmerhaufen. Keine Wände, keine Fenster, keine Klassenräume, kein Schulhof mehr, nur eine Trümmerwüste. Steine über Steine, hier und da ein Holzbein von einem Schülerpult, dort ein schwach qualmender Wandrest eines Klassenzimmers.

Wir standen da und konnten es nicht begreifen. Über Nacht war unsere Schule zerstört, es gab keinen Ort mehr, wo wir lernen konnten.

Die Lehrer kamen auf uns zu, auch ihnen stand der Schreck in den Gesichtern. Sie versuchten, uns das Unfassbare zu erklären und uns zu beruhigen. „Es ist niemand umgekommen!“, versicherten sie uns.

„Was ist mit unseren Pulten und Bänken? Sind alle Tafeln kaputt?“, wollten einige jüngere Kinder wissen, während andere schon sahen, dass nichts mehr zu retten war.

„Wo sollen wir jetzt hin?“, fragten wir. Die Erwachsenen erklärten, dass sie dies erst regeln müssten, aber es bestände eventuell die Möglichkeit, dass wir zur Nachbarschule am Paulusplatz gehen könnten, falls diese nicht auch zerstört worden sei. Daraus wurde erst einmal nichts, denn alle Schulen wurden im Oktober 1944 geschlossen, wegen Lehrer- und Schulgebäudemangel und wegen der vielen Bombenangriffe.

Die Schulen blieben geschlossen bis zum nächsten Jahr, bis zum Ende des Krieges.

Veränderungen: Lehrpläne entnazifizieren und Lehrer suspendieren

Nach dem Krieg sollte in der Schule alles anders werden. Düsseldorf war von den Amerikanern besetzt worden, und diese stellten die Auflage, dass vor Wiederaufnahme des Unterrichts alle Lehrer und auch Lehrpläne und Lehrmittel entnazifiziert werden sollten.

Da fast alle Lehrer in der NSDAP (1) waren, konnte man dies nicht so schnell realisieren. Die Besatzungsmächte ordneten trotzdem an, dass in allen Zonen die Schulen im Laufe des Herbstes 1945 wieder eröffnet werden sollten, hauptsächlich, um die Kinder und Jugendlichen von der Straße zu bringen und eine geistige Umerziehung zu bewirken.

Aber wie war es möglich, nach dem Krieg überhaupt Schule zu halten? Viele Lehrer waren tot, viele wurden wegen intensiver NS-Zugehörigkeit (2) suspendiert. Es wurden berentete Lehrer eingestellt, um die Lücken zu schließen.

Es herrschte zudem ein großer Mangel an Büchern und Schreibmaterial. Und es gab nicht genügend Schulgebäude. Allein in Düsseldorf sind mindestens 28 Schulen während des Krieges zerstört worden, viele waren zweckentfremdet genutzt worden als Lager für Zwangsarbeiter, als Räumlichkeiten für ausgebombte Behörden, als Unterkunft für die Wehrmacht (3), einige dienten als Lazarett oder als Übergangsunterkünfte für obdachlos gewordene Menschen.

So weit ich mich erinnere, gab es an der Paulusschule (Foto von 2021 / Quelle: privat) nicht so viele Zerstörungen während des Krieges.



Am 6. Juli 1945 nahm die Paulusschule wieder ihre Arbeit mit 128 Kindern unter der Leitung von Rektor H. auf. Wir Kinder von der Brehmschule erhielten davon Kenntnis und so gingen auch wir zur Paulusschule und wurden dort in den bereits existierenden Schulbetrieb integriert. Da wir viele Schüler waren, gab es Schichtunterricht. Die einen begannen in der ersten Woche mit dem Unterricht von 8 bis 12.30 Uhr, in der zweiten Woche von 13 bis 17 Uhr, bei den anderen war es umgekehrt. Dies wurde viele Jahre so praktiziert.

Im Unterricht: Zittern vor Kälte

Wie sah unser Schulalltag aus? Der Krieg war zwar vorbei, und wir brauchten nicht mehr in die Keller zu fliehen. Wir konnten ungestört im Klassenzimmer bleiben und brauchten nicht länger um unser eigenes Leben und das Leben unserer Familie zu zittern. Trotzdem zitterten wir, denn der Winter 1945 war sehr kalt, eisig kalt. Es gab oft kein Heizmaterial, die Fenster waren nicht mehr verglast. So machten wir Freiübungen vor jeder Unterrichtsstunde, damit wir wenigstens etwas warm wurden. Es wurde in vielen Schulen nur drei bis vier Stunden unterrichtet, da die Kinder vor Kälte und Erschöpfung nicht mehr lernen konnten.

Da Lebensmittel total knapp waren, wurde die Schulspeisung eingeführt. Aus Armeebeständen der Alliierten erhielt jedes Kind kostenlos etwas zu essen. Jeder von uns musste einen Behälter und einen Löffel mitbringen. Zumeist gab es Suppen. Manchmal schmeckten sie aber so unmöglich, dass wir sie trotz des großen Hungers nicht herunter kriegen konnten.

Vieles wurde anders

1945 war das Jahr der großen Veränderungen. Am 17. April 1945 besetzten die amerikanischen Truppen Düsseldorf nahezu kampflos. Ab Juli herrschte in Düsseldorf ein Ausgehverbot. Niemand durfte sich in dieser Zeit im Freien aufhalten, sonst drohte Verhaftung und strenge Bestrafung. Im August bis September 1945 durfte man sich zwischen 20 bis 5 Uhr morgens nur in den Häusern aufhalten.

Im Juli wurden die Wohnungen rationiert. Ab dem 12. Juni 1945 übernahm Großbritannien das Militärregime für Düsseldorf von den USA. Im Juni fuhr die erste Straßenbahn wieder von Düsseldorf-Zentrum zu den Stadtteilen Benrath und Gerresheim.

Wenn ich heute zurückblicke, so ist es ganz logisch, dass meine Generation aufgrund der Kriegs- und Nachkriegswirren nie die Chance hatte, eine gute Schulbildung zu erlangen.

(1) Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) wurde 1920 gegründet, deren Programm und Ideologie von radikalem Antisemitismus und Nationalismus sowie Ablehnung von Demokratie und Marxismus bestimmt war. Sie wurde 1945 aufgelöst.


(2) NS-Zugehörigkeit bedeutet: Mitglied in der NSDAP zu sein.


(3) Wehrmacht ist die Bezeichnung für die Gesamtheit der Streitkräfte im nationalsozialistischen Deutschland. Die Wehrmacht ging durch das Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 aus der Reichswehr hervor und wurde seit August 1946 offiziell als aufgelöst betrachtet. Sie gliederte sich in Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe.


Auszug aus: „Meinem Leben auf der Spur“, erzählt von Gerda K., geschrieben von Christa A. (2010), bearbeitet von Barbara H.

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