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Das ist SIE: Da konnte der Schwiegervater nicht mehr Nein sagen

Edith, 1936 im früheren Ostpreußen, und Reinhard, 1934 in Polen geboren, erlebten Kindheit, Krieg und Flucht mit ihren Familien unabhängig voneinander. Nach dem Krieg flohen sie samt Familien in den Westen der Bundesrepublik Deutschland und fanden beide Arbeit in der Gerresheimer Glashütte (Foto von den Restbeständen 2022) in Düsseldorf. Dort begegneten sie sich erstmals.



Die Hütte

„Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf“, diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen von Reinhard und Edith T.

Edith:

Ich kam 1956 wieder nach Düsseldorf zurück. Ich hatte nichts richtig gelernt, vornehmlich Erfahrungen in der Hauswirtschaft gesammelt. Ich wollte aber Geld verdienen und auf eigenen Füßen stehen. Ich nahm eine Stelle in der sogenannten „Hütte“ an, der großen Firma, die Glas in der Gerresheimer Glashütte produzierte, erst in der Sortierung von Kunststoffflaschen für medizinische Zwecke und später im Versand.

Reinhard:

1953 begann ich meine Arbeit als Schlosser in der Gerresheimer Glashütte, nachdem mein Vater dort als ungelernter Arbeiter in der Glasproduktion Arbeit gefunden hatte.

Es geschah in der Werkskantine der Gerresheimer Hütte. Edith und ich haben ja beide dort gearbeitet. Ich habe sie da am Tisch mit ihren Kolleginnen gesehen. Na ja, ich hab gleich gewusst: Das ist SIE. Edith hatte schon ein paar Mal weggeguckt. Also, gesehen hatte sie mich auf jeden Fall schon.

Es war 1956, da sind meine Schwester, deren späterer Mann sowie ein Onkel und ich einmal ausgegangen, und zwar in eine Nachtbar. Da sehe ich das Weib mit ihrer Familie. Nun kannte ich sie von der Hütte, zumindest vom Sehen. Immer wenn ich sie anschaute, hatte sie weggeguckt. Na, da habe ich sie einfach zum Tanzen aufgefordert. Ich konnte ja tanzen, das hatte ich in Rendsburg gelernt. Ich habe mich verbeugt, auch vor den Eltern, und um Erlaubnis gefragt. Und sie konnte aber auch gut tanzen. Wenn ich von ihr heute höre, dass sie auf der Straße während der Zeit im Lager tanzen gelernt hatte, war das dafür sehr gut und passte.

Nach ein paar Wochen habe ich dann nachgehakt. Ich wohnte damals im Stadtteil Eller und hatte durch eine Nachbarin mitbekommen, dass sie auch in der gleichen Abteilung der Kunststoffwerkstatt wie Edith arbeitete. Dadurch wusste ich, wann und wo Edith nach Dienstschluss aus der Hütte kam. Also habe ich meinen Roller vor das Werkstor in der Heyestraße in Düsseldorf-Gerresheim gestellt und aufgepasst, wann sie Feierabend machte. Ich hatte nämlich eine andere Schicht. Bald bekamen das auch meine Arbeitskollegen mit und riefen: „Pass auf, Reinhard, da kommt sie! Hör mal, die ist scharf auf dich!“.

Ich glaube, sie hatte schon damit gerechnet, dass ich sie ansprechen würde, das war nun fällig. Sie kamen zu zweit aus dem Hüttentor. Die Kollegin von Edith sah mich wohl als erste. Sie sagte zu Edith: „Da isser.“

Ich erkannte das an ihrem verstohlenen Blick und den wenigen Lippenbewegungen. Sie hat sich schleunigst verabschiedet und verschwand plötzlich in die andere Richtung. Aber in Wirklichkeit hatte Edith da etwas nachgeholfen – auf einmal kam sie allein auf mich zu. Da wusste ich, jetzt hast du gewonnen. Ich habe sie auf den Roller gepackt und so sind wir nach Unterrath gebraust, wo Edith zu der Zeit wohnte. Ich musste aber ganz heimlich hinten an der Torzufahrt anhalten, damit uns keiner sah. Ja, und dann wiederholte sich das immer öfter, so bis Ende 1957.

Das musste so kommen, alles passte

Edith:

Ob ER mir gefallen hat? Ja, ER war in Ordnung. Das musste einfach so kommen, weil alles zusammenpasste.

Reinhard:

Wir haben uns natürlich erst einmal gesiezt und uns Fragen gestellt. „Wo kommen Sie her?“ – „Aus Ostpreußen, Masuren – Kennen Sie nicht?“ Kannte ich tatsächlich gar nicht.

Wir tauschten uns darüber aus, wie und wo wir vom Osten in den Westen geflüchtet waren, was wir überall erlebt hatten. Und Edith erzählte mir, dass sie in Hohn bei Rendsburg als Zwölfjährige im Krankenhaus gelegen hatte. Mir war klar, dass wir uns treffen mussten, das ging nicht anders, denn gleich um die Ecke zum Krankenhaus hatte ich zu der Zeit in der Prinzenstraße in Rendsburg gewohnt.

Nestbau

Reinhard:

Nach der Verlobung im März habe ich den Anbau an das Haus der Eltern von Edith mit aufgebaut. Da war ich am richtigen Fleck. Ich half beim Ausschachten und habe die Elektrik, die Wasser- und Gasleitungen gelegt. Und klar, da war ich bei dem künftigen Schwiegervater willkommen. Das hat er richtig honoriert, besser konnte es gar nicht gehen.

Er brauchte keinen Elektriker und keinen Schlosser. Ich wollte dem Schwiegervater in spe mal so richtig zeigen, was für ein Kerl ich war. Aber er meinte nur: „Das will ja erst noch ein Mann werden!“ Vieles ging hier aber auch in Nachbarschaftshilfe.

Anfang 1958 habe ich offiziell um Ediths Hand angehalten. Ich hatte so gut gearbeitet, da konnte der Schwiegervater nicht mehr Nein sagen. Im August 1958 heirateten wir und sind in den Anbau eingezogen. Die Küche lag im Keller, der Wohnraum im Parterre. Ansonsten wohnten in dem Haus ja noch die Schwiegereltern und die Mutter der Schwiegermutter. Ediths Schwester zog zur gleichen Zeit aus und ging mit ihrem Mann nach Angermund. Und im Parterre des Haupthauses war außerdem noch eine Wohnung vermietet. Also war alles ganz schön beengt. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf.

Edith:

Schon wieder ein Umzug? So negativ haben wir das nicht gedacht, da es für uns ganz normal war. Wir waren das durch das Flüchten gewohnt. Immer wieder gab es etwas Neues. Es war eben so, keiner hat geklagt. Schon dadurch hatten wir eine Menge Gemeinsamkeiten. Ich habe so lange gearbeitet, bis Reinhard dann sagte: „Schluss jetzt, wenn wir geheiratet haben, hörst du auf zu arbeiten!“

1958 herrschten noch strenge Sitten

Edith:

Freitag früh, 1958, heirateten wir standesamtlich am Rather Kreuzweg. Da sagte abends meine Oma noch zu mir: „Heute Abend fährt Reinhard doch wohl zu sich nach Hause, ne?“

Die kirchliche Trauung fand erst einen Tag später, am Samstag, in der Petruskirche in Unterrath statt – und nur das zählte für sie. Das war zu der Zeit eben selbstverständlich. Erst nach der kirchlichen Trauung durfte ich meine Schwiegereltern duzen. Die Hochzeitsfeier fand hier in Unterrath mit ca. 40 Personen statt.

Wie streng die Sitten damals waren, merkten wir, als wir 1959 Urlaub am Chiemsee machten. Da erlebten wir, dass ein Pärchen eine Ferienwohnung nur bekam, nachdem bestätigt wurde, dass sie verheiratet waren.

1961 sind wir in eine Werkswohnung nach Gerresheim gezogen.


Die Werkswohnungen Gerrix Glas in Gerresheim (2022)



Unser Sohn Frank war schon geboren. Als Johanna 1964 kam, konnten wir sogar in eine sehr schöne größere Werkswohnung ziehen. Dann wurde 1969 die Mietwohnung in der Fehmarnstraße hier im Haus meiner Eltern frei. Da haben wir die Gelegenheit ergriffen und sind wieder zurück nach Unterrath gezogen.

Reinhard:

Unsere Kinder Frank und Johanna sind also 1960 und 1964 geboren. Edith hat sich sehr um die Kinder gekümmert und sie auch viel in Bezug auf die Schule gefördert. Sie war immer die Ansprechpartnerin für die Kinder. Ich war eher in meinem technischen Bereich zu Hause und habe das Geld verdient.

Auszug aus „Reinhard und Edith T. erzählen aus ihrem Leben in Kriegs- und Nachkriegszeiten“; aufgeschrieben von Bernhard S. (2016), bearbeitet von Barbara H. (2022)

Fotos: Barbara H.

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