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Die halbe Welt an der Düsseldorfer Brücke

Zufall und Unternehmungsgeist haben Madeleine, geb. 1942 in Belgien, an viele Orte der Welt geführt, die durch Veränderungen der politischen Umstände, der Umwelt, der Familie und der Liebe inzwischen einen großen Wandel erfahren haben. Die Verhältnisse im Kongo hatte die Familie veranlasst, nach Belgien zurückzukehren. Erwachsen wurde Madeleine in Deutschland, die auch heute noch ihren leicht französischen Akzent hat. Die Liebe eröffnete ihr, ein neues Land kennen zu lernen: Indien


Indische Küche (Symbolfoto: Anil sharma/Pixabay)


Studium in Belgien

Zurück nach Europa, nach Lüttich in Belgien. Ich war fast 19 Jahre alt und begann an der FHS (Institut) zu studieren. Ich hatte bis zum Abitur eine humanistische Ausbildung gehabt mit Latein und Altgriechisch und hätte gern Archäologie studiert, das ging aber nicht, zu lang, zu teuer... also nahm ich Englisch (auch „commercial english“), Literatur, Französisch, Schreibmaschine (etwas anderes kannten wir noch nicht) und Stenographie.


Neue Arbeit, neues Land, neue Sprache

Mit 23 hatte ich mein Diplom in der Hand, und jetzt sollte ich mir eine richtige Arbeit suchen (keinen Job mehr hier und da).

Wie es der Zufall wollte, lernten wir, meine Familie und ich, einen Herrn B. aus Deutschland kennen, der gerade eine Panne mit seinem Auto hatte und meinen Vater um Hilfe bat. Herr B. sprach etwas Französisch und fing an, sich mit mir zu unterhalten. Wir plauderten über dies und jenes und dann bot er mir ganz spontan eine Stelle in seiner Firma an. Ich war sprachlos, denn ich beherrschte kein Wort Deutsch, wie sollte ich da in seiner Firma arbeiten?

Für ihn schien das kein Problem zu sein. Ich sollte für ihn die französische Korrespondenz erledigen, wenn er „en voyage“ (auf Reisen) war, sowie das Telefon bedienen etc. Perplex war ich schon, aber warum nicht, ich konnte dabei wieder was Neues lernen, nämlich Deutsch! Wenn man jung ist, springt man einfach so ins Wasser. Also nahm ich den Vorschlag an und wenig später ging es los nach Deutschland.


Im Büro von Herrn B. arbeitete eine Engländerin, mit ihr konnte ich mich wenigstens auf Englisch unterhalten; wir wurden Freundinnen und später (nachdem mein Bruder mich besuchte hatte und ein paar Tage bei mir geblieben war) wurde sie „Anne W.“, meine Schwägerin. Während seines Besuches hatte sich mein Bruder in Anne verliebt.

Die deutsche Sprache ist ganz schön kompliziert und es wurde eine enorme Herausforderung für mich, die Sprache zu lernen. Jeden Tag, nachdem ich aus dem Büro kam, versuchte ich, mir anhand von Büchern und eines alten Fernsehers, den ich mir gekauft hatte, Deutsch beizubringen. Zuerst verstand ich nichts, aber peu à peu (nach und nach), mit vielen Fehlern und viel Mühe konnte ich mich einigermaßen verständigen. Manchmal haben sich die Leute über meinen mangelnden Wortschatz kaputt gelacht: So wollte ich eines Tages in einem Geschäft Schinken kaufen. „Jambon“ verstand keiner und mein Wunsch konnte erst aufgeklärt werden, als ich mir ein paarmal verzweifelt auf meinen Oberschenkel geklopft hatte und dabei „jambon, jambon“ rief.


Lange blieb ich nicht in dieser Firma, ein paar Monate vielleicht, ich fühlte mich einfach nicht wohl. Der kleine Ort in der Nähe von Gummersbach im Sauerland war nichts für mich. Die Leute haben mich angeschaut, als käme ich von einem anderen Planeten, keiner verstand Französisch und Düsseldorf erschien mir viel attraktiver.


Neuer Arbeitsplatz: Düsseldorf

An einem schönen Junitag hatte mir meine Freundin Annemarie vorgeschlagen, einen Ausflug nach Düsseldorf zu unternehmen. Sie besaß ein eigenes Auto, einen VW und versicherte mir, Düsseldorf sei „Klein-Paris“.

Ich war ziemlich begeistert von dieser Stadt. Die Sonne schien, alles war wunderschön, also entschied ich mich, mir dort eine Stelle zu suchen.

Ich wurde bei einer französischen Firma auf der Friedrichstraße eingestellt, zwar für wenig Geld, da ich immer noch nicht richtig Deutsch sprechen konnte, aber immerhin war ich in einer Stadt und nicht mehr in einem Dorf, wo ich mir wie eine „Exotin“ vorgekommen war.

Ich wohnte bei einer alten Dame in einem möblierten Zimmer mit einem alten Öl-Ofen, einem Sofa (drauf schlief ich auch), einem Stuhl, einem alten Sessel, einem Tisch mit einem ZweiPlatten-Kochherd darauf und einem Schrank für meine Kleidung. Abends hörte ich immer Radio.

Dort blieb ich etwa ein Jahr, denn die alte Dame war nicht besonders freundlich, und ich sollte immer ihre Fenster putzen, wann und wie sie es wollte. Um mit ihr zu „diskutieren“ war mein Deutsch nicht ausreichend, also ließ ich es geschehen.

Dann endlich zog ich in ein besseres Zimmer mit Balkon. Ich kaufte mir wieder einen Fernseher und lernte mit Hilfe der damaligen drei Programme weiter die Sprache.


In jener Zeit fühlte ich mich recht allein, ein wenig einsam sogar. Freunde hatte ich keine, und eingeladen wurde ich auch nicht. Die Kollegen waren zwar nett, aber mehr auch nicht. Irgendjemand erzählte mir von einem Treffpunkt: „Die Brücke“, dorthin sollte ich gehen, denn sämtliche Ausländer aus Düsseldorf trafen sich dort am Wochenende. Also schaute ich mir die Brücke an, wo die halbe Welt vertreten war: Engländer, Amerikaner, Japaner (apropos, Düsseldorf hat die größte japanische „Gemeinde“ außerhalb Japans, über 8.000 Menschen), Inder (einer davon sollte später mein Ehemann werden) etc.

Es wurde viel unternommen: Tanzen, Wanderungen, Flirten, man spielte Theater... die Hauptsprache war Englisch, bei so vielen Nationalitäten war auch nichts anderes möglich.


Der Inder, mein späterer Ehemann

Eines Tages beim Einkaufen, das Geschäft hieß damals „Otto Mess“, hörte ich eine Stimme, die zu mir sprach: „Was machen Sie hier?“, - „Das Gleiche wie Sie“, sagte ich zu der Stimme und gleichzeitig drehte ich mich um... es war einer von den Indern, die regelmäßig in der Brücke verkehrten, er sah gut aus und war mir sympathisch.

„Wir sollten zusammen einen Kaffee trinken gehen“, sagte er, „ich wohne direkt hier in der Nähe, nur eine Straße weiter“. Ich antwortete: „Ich ein paar Häuser weiter, es trifft sich gut!“

In einem Bistro fingen wir an über Gott und die Welt zu reden, wobei er mich bat, Englisch mit ihm zu sprechen, da mein Deutsch (noch) so armselig war. Von da an trafen wir uns öfter und ich fing an, ihn zu mögen.

Eines Tages schlug er mir vor, gemeinsam Freunde zu besuchen. „Es wird Dir gefallen, denn wir sind eine ganze Clique Inder, die mit deutschen Frauen verheiratet sind und manche haben sogar schon Kinder.“ Die Idee gefiel mir, ich fand es aufregend wieder neue Leute kennenzulernen. Wir hatten viel Spaß alle zusammen, es wurde gekocht, meistens kochten die Männer, denn sie wollten „indisch“ essen, sich wie zu Hause fühlen, fast alle waren aus Bengal, d.h. dass ab und zu etwas „Bengali“ zu hören war.


Heirat nur standesamtlich

Es war eine schöne Zeit für mich, ich war nicht mehr allein, fühlte mich „aufgehoben“ und verliebte mich immer mehr in Bolai B., der von allen Benny genannt wurde und zu diesem Zeitpunkt fast der einzige Junggeselle der Gruppe war.

Er war ca. 9 Jahre älter als ich. Ob er jemals in mich verliebt war, werde ich nie beantworten können, eins aber steht fest: irgendwann fragte er mich, ob wir heiraten wollten. Mir war ein wenig mulmig im Magen, warum auch immer, aber ich sagte ja und am 28. Mai 1968 war es soweit: wir heirateten in kleinem Kreis im Standesamt Düsseldorf.



Düsseldorfer Standesamt (Foto: Barbara H.)


Kirchlich konnten wir nicht heiraten, denn der Bischof von Köln hatte sein Veto gegen eine Heirat in der Kirche ausgesprochen, obwohl sich mein Mann mit allen Bedingungen einverstanden erklärt hatte. Er war als Hindu sehr liberal – also NEIN!

Das brachte mich dazu, aus der Kirche auszutreten, denn wenn sie mir die Hochzeit in der Kirche verwehrten, sollten sie auch kein Geld von mir bekommen. Meine Abneigung gegen die katholische Kirche wurde mit der Zeit immer stärker und bis heute empfinde ich dem Katholizismus gegenüber keine Sympathie.


Meine Großfamilie in Indien

Jetzt war ich mit „Indien verbunden“. Gedanken machte ich mir darüber wenige, da ich in Afrika aufgewachsen war. Das „Fremde“ machte mir keine Angst. Im Gegenteil. Ich war neugierig darauf, alles ganz genau kennenzulernen. Ich fing an, mich mehr und mehr für das Land zu interessieren. Die Kultur war mir ziemlich unbekannt, mit einem Inder verheiratet zu sein, heißt noch lange nicht, dass man die Sitten des Landes versteht.




Auszug aus „WAS, WO, WIE ich gelebt habe …", erzählt von Madeleine B., aufgeschrieben von Madeleine B. und Anne P. (2020), bearbeitet von Barbara H. (2024)





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